Schwierige Abstimmungsvorlagen – hohe Stimmenthaltung? Was die Abstimmungsforschung dazu weiss …

Frage nach dem Abstimmungssonntag, wo das dreifache Nein bei tiefer Beteiligung nachwirkt aus dem Kreis meiner Follower auf Twitter: Gibt es eine Studie, die zeigt, wie hoch der Anteil Stimmberechtigter ist, der bei schwierigen Vorlagen nicht mitentscheidet.

Hier meine Antwort: Eine Studie im engeren Sinne kenne ich nicht. Relevante Informationen jedoch sehr wohl.
Generell hilft in solchen Fällen das Projekt “VOX-Trend” weiter. Es stellt ausgewählte Daten aus dem VOX-Projekt zu den eidg. Abstimmungen im Abstimmungsvergleich auf dem Internet zur freien Konsultation zur Verfügung. Gut ausgebaut ist der Teil zur Entscheidfindung. Das hilft hier!

Bezogen auf die aktuelle Fragestellung, kann man eine Anwort in fünf Punkten wie folgt entwickeln:

Erstens, relevanter Indikator ist der zu den individuellen Entscheidungsschwierigkeit. Er gibt an, wie gross der Anteil Stimmberechtigter ist, für den die Entscheidung eher schwer resp. eher leicht zu fällen war. Der Einfachheit halber beziehe ich mich hier auf Behördenvorlagen (weil sie im Schnitt etwas schwieriger zu beurteilen sind).
Vorteil des Indikators: Er bezieht sich nicht nur auf die Teilnehmenden, nein auf alle, die sich eine Meinung bilden sollten.
Hauptergebnis ist hier, dass es eine beträchtliche Schwankungsbreite gibt. Die Extrem sind: Partnerschaftsgesetz aus dem Jahre 2005, was für 82 Prozent einfach zu beurteilen war, während die Förderabgabe im Jahre 2005, welche das Steuersystem ökologisieren wollte, für 55 Prozent Schwierigkeiten bot, eine Entscheidung zu fällen.

Zweitens, die Beispiele sind symptomatisch. Denn es gilt als einfache Regel im aufgeworfenen Zusammenhang: Je alltagsnäher eine zu fällende Entscheidung ist, desto einfacher ist es für die Bürgerschaft, dies zu tun. Je ferner eine Abstimmung für die NormalbürgerInnen ist, desto schwieriger wird es.
Die Begrüdung ist recht einfach: Je mehr man sich in seinem Alltag mit einem Thema schon vor einer Abstimmung beschäftigt hat, desto eher hat man eine klare Meinung, die man auch begründen kann, und umso eher wird diese bei einer Abstimmungsentscheidung wirksam.
Es gibt aber auch noch einen zweiten Einflussfaktor: Konkrete Sachen kann man schneller und einfacher entscheiden als abstrakte. Das gilt auch für Themen mit geringer Alltagsnähe.
Somit gilt: Vorlagen mit einem hohen Bezug zum Alltag der BürgerInnen, die Konkretes beinhalten, werden als leicht empfunden, Abstraktes, mit geringer Verbindung zum Bevölkerungsalltag, gelten als schwierig.
Die nebenstehenden Tabellen zeigen die 10 Beispiele mit den Extremwerten.


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Drittens, bei den einfachen Entscheidung fällt auf, dass viele Fragen der Elternschaft darunter sind. Mutteschaftsurlaub, Familienzulagen und Fristenregelung gehören dazu. Es finden sich aber auch Einbürgerungsthemen auf dieser Liste, und sogar zwei aussenpolitische Vorlage, so der UNO-Beitritt, lange diskutiert, und auch die Entscheidung zu den Abkommen von Schengen/Dublin. Das Beispiel ist an sich am schwierigsten zu erklären. Ohne Rückgriff auf den Abstimmungskampf geht das nicht. Denn weder war die Vorlage konkret, noch alltgsnah. Indes, sie wurde mit der Kampagne konkretisiert, und zwar so, dass sich eine Bezug zum täglichen Leben ergab. So plakatierte die befürwortenden Seite die Sicherheitsfrage, und die Affiche zeigt einen Menschen mit Handschellen, der offensichtlich verhaftet worden war.


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Viertens, die schwierigen Entscheidungen aus BürgerInnen-Sicht haben ein ganz anderes Profil. Es dominieren Steuervorlagen. Denn auf der Liste sind das Steuerpaket, die Unternehmenssteuerreform, die Energielenkungsabgabe und der Neue Finanzausgleich (mit zwei Teilvorlagen). Selbstredend, das Interesse ist hier gross; doch sind die zur Entscheidung vorgelegten Gegenstände das Produkt einer Willensbildung im Parlament. Ohne genauere Informationsbemühungen sind sie kaum entscheidbar. Zudem, viele der Vorlagen zerfallen in mehrere relevante Punkte, ein Faktum, das eine eindeutige Ja/Nein-Antwort erschwert.
Darüber hinaus finden sich Abstimmungsthemen aus verschiedenen Domänen, deren Gemeinsamkeit war, dass sie alle recht abstrakt formuliert daher kamen.

Fünftens, in einem Punkt hilft die Zusammenstellung nicht wirklich weiter: In der Frage der Auswirkung auf die Stimmbeteiligung. Zwar gilt: Die leicht zu entscheidenden Vorlagen haben eine im Schnitt höheren Beteiligungswert, die schwierigen einen tieferen. Damit stimmt die geäusserte Vermutung grundsächlich. Doch gibt es zahlreiche Ausnahmen, sodass der Zusammenhang statistisch nur schwach gesichert werden.
Der Grund liegt in der Sache selber: Die Stimmbeteiligung hängt nämlich nicht nur von einer Vorlage, sondern vom Paket der Entscheidungen, die an einem Abstimmungstag zu fällen sind. Denn es kann gut sein, dass eine dieser Vorlagen als schwierig angesehen wird, indes, andere Zugpferde sind, und die Gesamtbeteiligung hoch ausfällt.

Schönen Tag noch, …

Claude Longchamp