“Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt!”, lautet eine Volksweisheit. Das beherzigend, verzichte ich auf eine Prognose zu den anstehenden Bundesratswahlen. Dafür skizziere ich hier meine vier Szenarien, von denen jedes etwas an sich hat. Konkreter werde ich heute Abend in einem Vortrag vor der Neuen Helvetischen Gesellschaft in Bern.
Erstens, der Status Quo: Der neue Bundesrat wäre demnach, parteipolitisch gesprochen, der alte. Die Vakanz auf dem SP-Sitz von Micheline Calmy-Rey wuürde durch eine Vertretung der SP aus der Romandie ersetzt. Vorteil dieses Szenarios ist die personelle Stabilisierung des Bundesrates, der in den letzten 4 Jahren fast vollständig ausgewechselt worden ist. In vier Jahren kann man besser beurteilen, ob sich auch die BDP weiter etabliert hat und zu einer vergleichbaren Kraft geworden ist wie die FDP oder die CVP, und ob der Taucher der SVP bei der jüngsten Wahl mehr als eine Episode war. Je nachdem kann man dann verbindliche Entscheidungen, etwa im Sinne von Szenario 2 oder 3 treffen. Klar ist, dass die SVP mit diesem Szenario nicht zufrieden sein kann und der Machtkampf zwischen ihr und den anderen Parteien andauern wird. Immerhin, die Partei bekäme so die Chancen, einen oder zwei ausgewiesene und breit akzeptierte Bundesratskandidaturen aufzubauen. Selbstredend hat vor allem die BDP ein Interesse an dieser Perspektive, auch wenn man die neue Regierung nur noch beschränkt nach dem Konkordanzmuster hergestellt kritisieren würde.
Zweitens, die Rückkehr zur Zauberformel: BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf würde dem neuen Bundesrat nicht mehr angehören. Da sie ihre Kandidatur angemeldet hat, wird sie in dieser Perspektive abgewählt. An ihre Stelle tritt sofort ein Politiker der SVP. Der Vorteil dieser Variante ist evident: Die Grösse der Parteien würde zum entscheidenden Kriterium für die Zugehörigkeit im Bundesrat. Indes, die vier Parteien sind nicht mehr die gleichen wie 1959, als man die Formel begründete. Und damals wurde sie eingeführt, um die Vorherrschaft der FDP/SVP von Mitte/Links her zu brechen. Jetzt wäre es ziemlich anders, denn die SVP und FDP erhielten im Bundesrat ein Mehrheit. Das führt zur Schwäche der Variante: Beide Parteien verfügen weder im Parlament noch in der Bevölkerung über eine Mehrheit; sie könnten aber den beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie empfindlich bremsen. Zudem würden ausgerechnet die beiden grössten Wahlverlierer in der Regierung gestärkt. Unzufrieden wären die Linksparteien und die UmweltschützerInnen. Interessiert an dieser Variante sind die SVP und die FDP.
Drittens, die Etablierung der neuen Mitte zwischen den Polen: In diesem Szenario bleibt BDP-Bundesrätin Widmer-Schlumpf in der Bundesregierung. CVP, BDP und GLP treten in eine lockere Fraktionsgemeinschaft ein. Sie bleiben eigenständige Parteien, die je eine Fraktion bilden. Sie bilden aber ein übergeordnetes Gremium, das mit einem qualifizierten Mehr übergeordnete Standpunkte diskutieren und beschliessen kann, die für alle drei Fraktionen Gültigkeit bekommen. Gemeinsam melden sie den Anspruch auf zwei Sitze im Bundesrat an, welche das Zentrum abdecken – und zwar zu Lasten der FDP, die als Mitte/Rechts-Partei eine Sitz verlöre. Zur Hälfte ist dieses Szenario gleich wie das zweite; die SVP erhielte als grösste Partei der Schweiz zwei Sitze. Allerdings würde dies nicht gegen Bundesrätin Widmer-Schlumpf gerichtet sein, sondern gegen Johann Schneider-Ammann. Vorteilhaft wäre, dass die Zusammensetzung den Kräfteverhältnissen unter den Bundeskuppel angepasst würde. Nachteilig selbstredend, dass nach der SVP auch die FDP an der Konkordanz Zweifeln würde. Nutzniesser dieser Variante sind letztlich alle – ausser der FDP.
Viertens, jeder gegen jeden: Auch in diesem Szenario kommt es zur Wiederwahl der BDP-Bundesrätin Widmer-Schlumpf. Danach brechen aber alle Dämme. Die SVP attaktiert erfolgreich die FDP. Johann Schneider-Ammann würde aus dem Amt gedrängt, indes erneut kandidieren, und zwar im letzten Umgang als Nachfolger für SP-Bundesrätin Calmy-Rey. Hier würde er reüssieren. Die so ausgelösten Turbulenzen sind das Ende des Wiederbelebungsversuch der Konkordanz. Die Regierung wäre weniger aus Strategie entstanden, eher als Unfall. Sie würde einzeln zum Parlament passen, gesamthaft aber nicht. Mit einer erhöhten Diskussion über die Wahl des Bundesrates, sei es aus einer Volkswahl heraus oder aber mit einer Listenwahl im Parlament, wäre zu rechnen. Geführt würde die Debatte kaum mehr von der SVP, dafür von der SP und der GPS und vielleicht auch der GLP, welche die Zeche bezahlen würden. Mit Instabilitäten der Regierung wäre zu rechnen, mit Protesthaltungen aus der Romandie aus. Gewinnerin dieser Wahl wäre das bürgerliche Lager, das so vielleicht wieder zusammen finden würde – allerdings zu Lasten eine Variante, die man nicht mehr konkordant bezeichnen könnte.
Und zum Schluss noch dies: Vielleicht kommt es noch mehr anders, als man denkt. Dann zum Beispiel, wenn die Reihe der Wahlen nicht nach der Anciennität erfolgen würde, sondern im offenen Kampf. Das würde mit Sicherheit zu einer neuen Regierung führen. Sie hätte, genau wie das Verfahren, wohl den Mackel, unberechenbar zu sein.
Claude Longchamp
Und das Ganze nur wegen der Egomanin Wdimer-Schlumpf. Sind Intrigen die besten Voraussetzung für eine Zusammenarbeit?
Nein, nicht nur wegen ihr, auch wegen allen anderen, die ein Anrecht haben, von einer Regierung gewählt zu werden, die diesen Namen für die nächsten 4 Jahre zumindest verdienen, ohne dass der Opportunismus einzelener Parteien alles bestimmt.
@Anton
Antwort: Ja. Sie hat bewiesen, dass sie besser arbeitet als ihr Vorgänger.
Und als jeder SVP-Bundesrat seit Ogi.
Und: Da man die Konkordanz nun je nach Gutdünken von jeder Partei wieder anders interpretiert hört, ist sie lediglich noch eine Worthülse.
Wäre ich chef der SP, würde ich einen Sitz hergeben. dann wäre Ruhe.
Und nachher auf allem Rumhacken, was die SVP nicht macht, aber immer nur davon redet.
Die Strategie der SVP ist folgende: man schlage einen nichtwählbaren Hardliner vor. Das Parlament wählt dann einen anderen, wie eben bei EWS.
Nachher folgt wieder der Parteiauschluss (wie bei EWS). Und ein paar “Abtrünige ” gründen wieder einen neue Partei, die 5% gewinnt , die SVP aber nur 2% verliert.
So hat sie alle vier Jahre 3% zugelegt, denn wodurch unterscheiden sich die Ausgeschlossenen durch die verbliebenen SVP-ler?
@ Recolb
Was wohl Frau Sommaruga von Deinem Lobgepreise halten würde?
Anderes Szenario: Man schmiedet erneut eine Intrige und wählt Herrn Blocher in den Bundesrat.
Da die Statuten seit Annahme der Wahl von Frau Widmer vorsehen, dass jeder der nicht offiziell aufgestellt ist und das Amt annimmt, zur Partei ausgeschlossen wird, wär doch das ein schönes Szenario.
Bitte unter Erheiterung des Tages abbuchen.
liebe Ate, dein anderes Szenario gefällt mir. das gäbe ein Theater!
Wie wir aber die SVP der nahen Vergangenheit kennen, sind die einerseits winschlüpfrig und andererseits Windfahnen geworden.
Die würden das sofort als persönlichen und parteitechnischen Erfolg umdefinieren.
Der Sommaruga wärs wahrscheinlich egal, und der Micheline sowieso. Hingegen dem Levrat, dem würde wohl der Magen etwas drücken.
Szenario 1 und 3 sind eigentlich identisch — nur auf der Zeitachse verschoben. Ich setze darauf, dass am 14. Dezember die gleiche Regierung wie bisher gewählt wird, mit einem SP-Ersatz für Micheline Calmy, beim ersten Rücktritt eines FDP-Bundesrates Szenario 3 eintrifft. Dann muss man niemanden abwählen, und die SVP hat Zeit, einen guten Kandidaten, der auch Bundesrat werden will, vorzubereiten.
Richtig, denn beide Szenarien gehen von einem Wandel im Parteiensystem aus, der in den Bundesrat übersetzt werden soll.
Szenario 3 betont das Ziel, das mit einer Abwahl verbunden ist, oder bei einem Rücktritt aus den FDP Reihen zum Zuge kommt. Ein solches steht indes nicht gerade sichtbar ins Haus, sodass die Verschiebung auf der Zeitachse gross ist. Es könnte auch sein, dass andere Rücktritte schneller kämen. Immerhin, im Szenario 3 hätte die neue Mitte die beiden amtsältesten Regierungsmitglieder in ihren Reihen.
Welch Genuss, eure Kaffeesatzleserei mitzuverfolgen!
Nein, ein FDP-Rücktritt steht absolut nicht frei im Raum, warum auch?
Einen Rücktritt wird es auch nicht geben, warum auch, wird doch das Ego, seine eigene egoistische Selbsterhaltung höher eingeschätzt, als das auf das es im Grunde genommen ankommen sollte. Bühne frei! Ists denn nicht der Selbstdarsteller der sich den grössten Applaus erhofft?
Und auf den Rest, den Rest bezogen, verliere ich nun grade meine Stimme, ich werd heiser, kann nicht mehr sprechen, demzufolge kann ich euch auch das Szenario der SVP nicht übermitteln.
Hämmerle, der diese Intirge in Fluss brachte, wurde urplötzlich krank, seine Stimme versagte. Vieleicht war das eine Eingebung des Himmels, da er ja mit der CVP zusammenspannte. Vieleicht nahm ihm Gott seine Stimme weg um zu sagen, dass alles das er aussagt falsch und verlogen ist.
@Bernd
>Dann muss man niemanden abwählen, und die SVP hat Zeit, einen guten Kandidaten, der auch Bundesrat werden will, vorzubereiten.
Haha, die SVP hätte nun schon 4 jahre Zeit gehabt (solange meldet sie mindestens den Anspruch an), einen Kandidaten aufzubauen.
ich zweifle nicht daran, dass es sie auch gibt. Nur hat die SVP-Elite eine etwas sonderbare Ansicht, was “gut” ist, und die deckt sich nicht ganz mit dem Rest der Welt.
@Ate
Die Hämmelre-“Intrige” ist (wenn es eine Intrige war) etwas das gleiche wie die Abwahl von Metzler, bei der Blocher den Vorteil errungen hat, und die (Nicht)Wahlen von Uchtenhagen, die Blonde?, Dreyfuss, Stich, Schmid usw…. mit dem Unterschied, dass bei Blocher zum ersten mal ein unfähiger Bundesrat abgewählt wurde.
Die Blonde war Frau Brunner und die hat auf ihren Sitz zu Gunsten von Frau Dreyfuss verzichtet.
Teile Blocher als unfähigen Bundesrat ein, Tatsache ist aber in unserer Gesellschaft, jeder der besser ist der wird gebodigt, den versucht man auszumobben, um der Tatsache zu umgehen, dass man selbst ein Stümper ist. Ist in der Wirtschaft gleich. Die SP hats aber auch im Griff.
Genervt hat mich, dass Bastian Girod mein Thema, zwar in abgeändeter Form auf SonnTalk vorbrachte. Ist der nicht fähig Eigenes in die Runde zu werfen? Muss er von mir abkupfern?
Und zu guter Letzt, spinne ich doch in Gedanken schon seit Wochen rum, dass man die Politik auslagern sollte, neutralen Personen das Zepter in die Hand geben sollte, denn:
“Die Politik ist zu WICHTIG um sie Politikern zu überlassen.”
da hast du recht.
Wer aber ist neutral, und warum wird ein Mensch Politiker?
Wer wird gewählt, wenn er sich nicht schon in der Partei (also nicht mehr neutral) “bewiesen” hat?