Von der Initiativskepsis zum Initiativoptimismus

Lange glaubte man nicht mehr an den durchschlagenden Erfolg von Volksinitiativen. Zwischenzeitlich ist das wieder anders, sodass auch die Zahl der Volksinitiativen sprunghaft zunimmt. Und das nicht nur wegen des kommenden Wahljahres.

SCHWEIZ UNO INITIATIVE
Die Zustimmung zur UNO-Beitrittsinitiative leitete den Wandel in der Einschätzung des Mobilisierungspotenzials von Volksinitiativen ein.

Seit den Nationalratswahlen 2007 nimmt die Zahl der vorbereiteten Volksinitiativen sprunghaft zu. Allein seit diesem Jahr gibt es 25 neue Projekte. 16 waren es im Vorjahr, 13 im Vorvorjahr. Das alles sind Rekordzahlen.

Die Hoffnung des Verfassungsgebers, der die geltende Bundesverfassung ausarbeitete, haben sich damit nicht bestätigt. Die formale Neugestaltung des schweizerischen Grundgesetzes bewirkte nicht, dass die Zahl angestrebter Teilreformen zurückgegangen wäre.

Volksinitiativen sind zunächst Ausdruck ungelöster Konflikte, die so auf die Politagenda gesetzt werden. Die Minaretts-Initiative steht vorbildlich hierfür. Dann können Initiativen auch Ausdruck der Interessen von Akteuren sein, die sich im Parlament untervertreten sehen, in der Bevölkerung aber getragen fühlen. Gewerkschaftliche Initiative gegen die Postliberalisierungen oder die Bausparinitiative der Hauseigentümer kann man hierbei erwähnen. Schliesslich stehen Initiativen für ein neues Phänomen: Politischer Unternehmer, die sich einmischen wollen, lancieren sie wie ein Geschäft. Die Minder-Initiative ist wohl das beste Beispiel dafür. Erwähnt sei aber auch die Raser-Initiative, die gleich vom Blick übernommen wurde.

Dass immer mehr gut organisierte Gruppen von der Möglichkeit des Volksrechts Gebrauch machen, hängt auch mit dem neuerlichen Erfolg von Volksinitiativen zusammen. Zwar werden auf nationaler Ebene auf die Dauer 9 von 10 Volksbegehren abgelehnt. Doch nahm die absolute Zahl der Initiativen zu, die es schafften. Die UNO-Abstimmung machte den Anfang im Jahre 2002. Es folgten die Verwahrungsinitiative, die gentechfreie Landwirtschaft, der Anti-Pronografie-Artikel – und die Minarettsinitiative. Diese Zustimmungen haben die politischen Akteure beflügelt, zu diesem Instrument zu greifen, um einzugreifen, sich zu profilieren oder auch Dampf abzulassen.

Dies hat die Initiativskepsis, die lange vorgeherrscht hatte, aufgeweicht. Heute spricht man nicht mehr nur von indirekten Wirkungen des Volksrechts auf die Gesetzgebung. Man strebt vielmehr direkt die Mehrheit in Volk und Ständen an – und hält sie bei geeignetem Projekt nicht mehr für aussichtslos.

Selbst Organisationen, die keine politisch-institutionelle Erfahrungen haben, lancieren wieder Volksinitiativen: Anita Chaaban machte mit der Verwahrungsinitiative den Anfang – der zum Ziel führte. Das Projekt, die Todesstrafe wieder einzuführen, kann in der gleichen Logik gesehen werden, auch wenn sich diese Initianten der Konsequenzen einer Lancierung nicht hinreichend bewusst waren.

Claude Longchamp