Analytischer Journalismus für PolitikwissenschafterInnen

Datenjournalismus ist im Schwang und fasziniert selbst gestandene WissenschafterInnen. Doch reicht das? Meine Argumente für eine weiterreichende Herausforderung der Wissenschaftskommunikation an Nicht-Fachöffentlichkeiten.

Gestern begann meine Lehrveranstaltung “Mediale Relevanz sozialwissenschaftlicher Forschung (fördern)”. Ziel des Master-Seminars am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich ist es, die Studierenden mit Wissenschaftskommunikation vertraut zu machen, das sich an ein Nicht-Fachpublikum wendet. Gemeint ist damit zu Bloggen, Videos zu erstellen, zu twittern oder einen populärwissenschaftlichen Artikel zu verfassen.

Vorgestellt habe ich in diesem Zusammenhang das Konzept des “Analytischen Journalismus”. Anders als der zwischenzeitlich populäre Datenjournalismus setzt er nicht einfach auf die Vermittlung wissenschaftlich gesicherter Fakten, sondern stellt deren wissenschaftliche Analyse in den Vordergrund.

Die englische Wikipedia definiert das so: “Analytic journalism seeks to make sense of a complex reality in order to create public understanding. (…) It can be seen as a response to professionalized communication from powerful agents, information overload and growing complexity in a globalised world. It aims at creating evidence-based interpretations of reality, often confronting the dominant ways of understanding a specific phenomenon.”

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Die Diskussion einiger journalistischer Text über PolitikwissenschaftInnen zeigte uns, dass die bei weitem nicht alles, aber einiges, was unsere Studien- und BerufskollegInnen tun, dazu passt. Entwickelt haben wir daraus drei Rollenverständnisse von PolitikwissenschafterInnen in den Medien, die zum analytischen Journalismus passen:

. die Orientierung am News-Geschehen, ohne dieses zu verdoppeln, sondern es zu reflektieren als Genre der Kommunikation,
. die Recherche von Fakten und die Ausarbeitung ihrer Interpretation als Kommunikationsansatz und
. die Objektivierung und Kritik des Geschehens als Kommunikationsstrategie.

Dies gesagt, kann man auch festhalten, was gemäss analytischem Journalismus nicht zur Rolle der Politikwissenschaft zählt: Weltanschauungen entwickeln, einseitige Partei zu nehmen und poliktische Kommentare zu schreiben.

Nicht alle Teilnehmenden am Seminar akzeptierten diese Definition gleichermassen. Namentlich Studierende mit journalistischen Erfahrungen fanden, es sei von Vorteil, wenn WissenschafterInnen in der öffentlichen Partei ergreifen würden, weil sie damit fassbarer würden. Kolumnen zu schreiben habe beispielsweise den Vorteil, provokativ sein und damit aufrütteln zu können.

Damit kamen intellektuelle Aufgaben der Wissenschaft in der Oeffentlichkeit zur Sprache. Der Klagen sind ja genug, KünstlerInnen wie WissenschafterInnen hätten sich davon weitgehend verabschiedet. Die weitgehende Abwesenheit von Denkfabriken in der Schweiz verstärkt dieses Manko, während die Universitäten selber kaum ausserhalb von Fachkreise kommunizieren.

Dennoch hielt ich, ganz im Sinne des analytischen Journalismus, die Bedenken zu solchen Kommunikationsweisen hoch. Faktenorientierung bleibt das A und O des Mehrwertes, den die Wissenschaft der Oeffentlichkeit bieten kann. Uebersichten zu wissenschaftlichen Diskursen hierzu, gehören ebenfalls in den Zuständigkeitsbereich. Das impliziert die Analyse von Ursachen und die Abschätzung von Folgen. Es umfasst Erklärungen und Vorausschauen, soweit diese möglich sind.

Wenn Wissenschafter so Einfluss nehmen auf die Meinungsbildung, geschieht dies nicht, um ein bestimmtes Ergebnis zu befördern, sondern um Meinungsbildung zu erlauben oder zu verbessern – beispielsweise durch Verringerung vorhandener Unsicherheiten mittels Objektivierungen. Die Kritik vorherrschender Denkmuster, aber auch ihrer Widersacher gehört zwangsläufig hierzu.

Selber halte ich es mit Max Weber in seinen berühmten Ausführungen zum Werturteilsstreit in der deutschen Soziologie vor gut 100 Jahren. Darin postulierte er, dass es die Aufgabe der Wissenschaften sei, sich beispielsweise mit Wertfragen zu beschäftigen. Es sei aber nicht an ihnen, Antworten zu geben, welche die richtigen und falschen Werte seien. Mit anderen Worten: Zu berichten, wie Wertmuster in unserer Gesellschaft verteilt sind, aufzuzeigen, welches die Ursachen Folgen des Wertwandels sind, ist Aufgabe der Wissenschaft in der Oeffentlichkeit. Welches die richtigen Werte sind, kann nur die Politik beantworten; beispielsweise mit ihren Entscheidungen im Parlament oder via Volksabstimmungen.

Claude Longchamp

“Willkommen in der Schrumpf-Schweiz!”

Sind wir krank, wie viele behaupten, oder gesund wie manche übersehen? Genau das ist die Fragestellung des neuesten Buches zur Lage der Schweiz, das ich mit Genuss gelesen und Verdruss überdacht habe.

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Botschafter Simon Geissbühler reiste im Sommer 2013 in die USA, wo er mit seiner Familie Kalifornien, Utah, Arizona und New York besuchte. In den Weiten der Landschaften im amerikanischen Westen lernte er das sokrates’sche Nichts kennen, entwickelte er aber auch Gelassenheit. Dabei wurde ihm klar, dass er sein Buchmanuskript, das er schon länger mit sich herum trug, fertig stellen werde.

“Die Schrumpf-Schweiz” heisst das Buch, das aufrütteln will, seit einigen Tagen durch die Schweizer Medienlandschaft geistert, und nun auch im Handel erschienen ist. Den 100 äusserst flüssig geschriebenen Seiten stehen 376 Fussnoten gegenüber. Sie weisen den Autor als guten Kenner der neoliberalen Schriften aus, legen aber gleichzeitig seine Blindheit für spezielle Charakteristiken der Schweiz offen. Denn der Essay, der sich mit dem Sonderfall Schweiz, dem Versorgerstaat und dem schwindenden Individuum beschäftigt, verzichtet ganz auf Schweizer Werke in französischer und italienischer Sprache. Als hätten die verschiedenen Mentalitäten des Landes nicht zu seiner Eigenart, seinem Staatsverständnis und seiner Bürgerdefinition beigetragen.

Vielleicht stört das den jungen Historiker und Politologen gar nicht. Denn am meisten interessiert Geissbühler, was Nobelpreisträger und Oekonom Friederich A. von Hayek über die Schweiz schrieb. Wie die angelsächsischen Länder klassierte der Gründer der Mont-Pélerin-Gesellschaft am Ende des Zweiten Weltkrieges als Hort des Liberalismus, in dem Unabhängigkeit und Eigenverantwortung, Eigeninitiative und lokale Autonomie, aber auch Macht und Autorität herrschen würden. Damit ist These des Buches gesetzt.

Nur gelingt der Nachweis, dass dem in der Schweiz auch so sei, nicht wirklich: Denn vergleichende Statistiken, aus dem World Value Survey gezogen, relativieren das Bild einer besonders wettbewerbsfreundlichen Schweizer Bevölkerung, belegen, dass Menschen hierzulande bei der Arbeitslosenunterstützung weit davon entfernt sind, dem wirtschaftsliberaler Sonderfall zu huldigen, und halten fest, dass Forderungen nach einer Reduktion der Einkommensungleichheiten in der Schweiz bliebter sind als anderswo. Korrekterweise würde man festhalten: Hypothese falsifiziert.

Ganz in Uebereinstimmung mit Pierre Bessard, dem Direktor des Liberalen Instituts in Zürich, sagt der Autor dem so: “Nicht so sehr eine liberale Aufbruchstimmung und Optimismus spiegeln sich in den Einstellungen der Schweizerinnen oder Schweiz, sondern zunehmend Strukturkonservatismus und Neid gegenüber den Erfolgreichen und Gutverdienenden.” Mit Harris Dellas, dem amerikanischen Top-Oekonomen an der Universität Bern, folgert er zudem, die Schweiz solle umgehend angelsächsischer werden.

Ganz ehrlich gesagt: Genau an dieser Empfehlung zweifle ich. Denn der kontinentaleuropäische Staat baut auf andere Traditionen als der amerikanische oder britische. Dem freien Individuum und seinem religiösen Glauben stehen Aufklärung und weltlicher Gemeinsinn gegenüber. Der Staat ist nicht einfach Ausdruck der Mehrheit, die sich im pluralistischen Wettbewerb gewonnen hat. Er basiert auch auf dem Gedanken des griechischen Forums, das erörtert, was für alle Gute ist. Auf die Schweizer Verhältnisse übertragen bedeutet dies, dass der liberale Bundesstaat des 19. Jahrhunderts wegen seiner Instabilität eine mehrfache Korrektur erfahren hat: die Integration der Verbände in den Staat, seine Demokratisierung mit Volksrechten, die Proportionalisierung des Wahlrechts mit seinen weitreichenden Folgen für die Parteienlandschaft und dem Aufbau der Konkordanz, in nichts dem angelsächsischen Vorbild gleicht!

Ich weiss: Botschafter Geissbühlers Message zielt eins tiefer, denn in seinen eigenen Worten analysiert der die Veränderungen in der Tektonik der schweizerischen Politkultur. Seine Kernaussage: Nicht mehr der Ehrgeiz der Innovatoren, vielmehr die Gemütlichkeit der Gesättigten, regiere die Schweiz. Mahnend gefragt wird, wie lange der Motor der Wirtschaft noch laufe, ausrufend beklagt wird der Versorgerstaat von der Wiege bis zur Bahre, und eindringlich verlangt wird eine Neuorientierung des verkommenen Bildungswesens. Damit dürfte der Autor den Beifall jener bekommen, die wissen, wie gut es sich in der Schweiz lebt, aber Angst haben, dem sei bald nicht mehr so.

Beliebt geworden ist diese Deutung nach dem “Ja” des Souveräns zur Masseneinwanderungsinitiative. Wer glaubt, der Liberale Geissbühler geissle auch diese Entscheidung, sieht sich aber getäuscht. Volksentscheidungen wertet der Autor als Legitimation und Kritik der politischen Eliten. Wenn sich eine Kluft zwischen Eliten und Basis öffneten, habe letztere Recht. Immerhin, der Autor verfällt nicht in die verbreitete Tendenz der ganz skeptischen Europäer, seit dem Ende des Ersten Weltkriegs immer wieder das Ende der europäischen Nationen kommen zu sehen. Vielmehr ist er überzeugt, der Hochseedampfer Schweiz gehe nicht unter. Es mehrten sich aber Tendenzen, welche den Titel “Schrumpf-Schweiz” entsprechen würden.

Ganz geglückt scheint mir allerdings auch dieser Beweis nicht. Man kann sogar vermuten, dass der Chefdenker der Schweiz Liberalen, Pierre Bessard, etwas daran an der Skizze des Schützlings zweifelt. In seinem Kommentar zum Buch listet er all die Rankings auf, welche mit hoher Regelmässig die Schweizer Spitzenposition von Fragen des Standortwettbewerbs bis hin zur Demokratiequalität belegen. Ganz im Sinne der Buches zitiert er das gängigste Thema, die Verschuldung des Landes, als denkbarem Sündenfall. Diese habe in den 90er Jahren tatsächlich in die falsche Richtung gezeigt; dank der Schuldenbremse, einer Schweizer Politinnovation, sei es jedoch gelungen, rechtzeitig die Wende einzuleiten: “Die Schuldenbremse ist keine Errungenschaft einer mittelmässigen Schweiz, sondern eher das Erwachen eines Landes, das auf Exzellenz pocht.”

“Bingo!”, habe ich Seite 113 an den Textrand geschrieben. Kurz davor, am Ende des Textes, den der Autor verfasst hatte, nahm ich zur Kenntnis, dass auch Simon Geissbühler alles halb so wild nimmt, wie es der Buchtitel ankündigt, denn das Buch endet ironiefrei mit dem Satz: “So können wir etwas betrübt, aber gleichzeitig mit der angemahnten Gelassenheit sagen: Willkommen in der Schrumpf-Schweiz!”

Claude Longchamp

Abstimmungsprognosen für die Schweiz – Seminareinstieg mit den Vorhersagen zum 28.9.2014

Start zu meinem Forschungsseminar Abstimmungsprognosen in der Schweiz”, realisiert im Rahmen des Masterprogrammes “Schweizerische und vergleichende Politik”, welches das Institut für Politikwissenschaft an der Universität Bern anbietet. Aus aktuellem Anlass ging es um die Vorhersagen zu den Volksabstimmungen vom 28. September 2014.

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Sechs verschiedene Tools liefern Aussagen zum Stand der Meinungsbildung resp. zum Ausgang der Mehrwertsteuer- resp. Krankenkassen-Initiative an:

. die repräsentativen SRG-Trend-Umfragen mit den Stimmabsichten
. die 20min Mitmach-Umfragen im Trend mit den Stimmabsichten
. die fortlaufenden Prognosen von politnetz
. die Schätzung der Stimmberechtigten zum Abstimmungsausgang aufgrund der SRG-Umfragen
. die Expertenschätzungen von politikprognosen.ch
. die Umrechnung der SRG-Umfragen durch “50plus1” in Abstimmungsprognosen.

Als Prognosen definierten wird Aussagen zu Ereignissen in der Zukunft, die datengestützt sind und nach festgelegten Regeln erfolgen. Genauigkeit und Zeitpunkt vor dem Ereignis sind zwar nicht die einzigen, aber die zentrale Qualitätskriterien.

Eine genaue Prüfung der ausgewählten Tools ergab, dass vier Prognosen sind, während man bei zweien anderer Meinung sein kann. Hauptgrund ist, dass die Trendbefragungen Aussagen zum Moment der Erhebung und damit nicht zur Zukunft machen. Ohne Trendextrapolationen sind Umfragereihen, 2 bis 3 Wochen vor dem Abstimmungstag abgeschlossen, keine Vorhersagen. Prognosecharakter haben dagegen Laien- und ExpertInnen-Schätzungen zum Ausgang, ebenso die Umrechnung der SRG-Ergebnisse durch 50plus1. Obwohl ein Grenzfall, zählen wir auch die politnetz-Schätzung hierzu.

Bei jedem einzelnen Tool macht es Sinn, von einem denkbaren Prognosefehler auszugehen. In aller Regel kann dieser vermindert werden, wenn man, nicht auf ein Instrument, sondern auf alle vertretbaren insgesamt abstellt und einen Mittelwert bildet. Dieses combining, wie es die Literatur nennt, verringert Ausschläge einzelner Tools in der Vorhersage.

Auf die aktuellen Ergebnisse angewandt, spricht das für zwei Nein am kommenden abstimmungssonntag. Die Mehrwertsteuer-Initiative würde demnach mit 55:45 verworfen, die Krankenkassenvorlage mit 62:38. Ueberlegungen zum Ständemehr sind nicht nötig, denn es reicht, wenn das Volksmehr nicht gegeben ist.
Bezieht man auch die beiden Trendbefragungen mit ein, muss man auch die Unsicherheit durch Unentschiedene mit einrechnen. Die generellen Aussagen ändern sich nicht, denn es bleibt bei zwei Nein-Mehrheiten im Volksmehr. Bei der Vorlage zur Mehrwertsteuer kommt sie auf 54:43 zu liegen, bei 3 Prozent Unklarheit. Bei der Krankenkassen-Initiative resultiert ein 58:40 bei 2 Prozent ohne eindeutige Zuordnung.

Ausreisser bei der Krankenkasseninitiative ist die 20min Umfrage. Obwohl sich der Zustimmungswert im Verlaufe der Zeit erheblich verringerte, ist die Schlussangabe deutlicher höher als alle Vergleichsaussagen.
Auch bei der Mehrwertsteuervorlage ist die 20min Umfrage speziell, wenn auch weniger auffällig anders als die anderen.

Am 28. September wird man überprüfen können, ob sich das combining bewährt hat oder nicht. In der Lehrveranstaltung vom 3. Oktober werden wir das sicherlich diskutieren. Entscheidend wird nicht sein, wer einmal besser ist, sondern ob ein Tool auf Dauer gleichzeitig schnell und genau ist.

Claude Longchamp

Weder Normal-, noch Ausnahmefall

Geht sie durch, oder fällt sie durch? Gemeint ist die Volksinitiative des Verbandes “GastroSuisse” zur Beseitigung der Mehrwertsteuer-Diskriminierung im Gastgewerbe. Ganz so sicher wie in anderen Fällen sind wir nicht, weshalb wir den Titel gesetzt haben: “Zögern bei der Mehrwertsteuer-Initiative”.

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Normalfall und Ausnahmefall. Grafik anclicken, um sie zu vergrössern

Gemäss heute veröffentlichter SRG-Umfrage sind 41 % der teilnahmewilligen Stimmberechtigten dafür, 46 % dagegen. Damit hat keine Seite eine gesicherte Mehrheit hinter sich. Von der ersten zur zweiten Befragung nahm allerdings nur das Nein zu. Setzt sich diese Entwicklung bis zum Abstimmungstag weiter fort, scheitert die Initiative.

Hätte sich parallel zum Aufbau der Gegnerschaft die Befürwortung abgebaut, wäre unsere Aussage klarer gewesen. Dann wäre der Normalverlauf, wie wir ihn bei Volksinitiativen kennen, erfüllt gewesen. Entsprechend hätten wir ganz auf den Normalausgang – die Ablehnung – gesetzt.

Nun ist genau das in unserer Befragungsserie nicht eingetreten. Das Ja ist einigermassen stabil. Zudem korreliert die Zustimmung zur Initiative signifikant mit dem Misstrauen in Behörden. Genau das ist das Gemisch, bei dem rechte Volksbegehren mit dem last swing in der Vergangenheit erfolgreich waren. So geschehen zum Beispiel unlängst bei der Masseneinwanderungsinitiative.

Damit der Mechanismus funktioniert, bräuchte es allerdings eine starke Schlussmobilisierung, namentlich der Bürger und Bürgerinnen mit einer Wut im Bauch, die mit ihrer Stimmabgabe ein klares Zeichen setzen wollen – zum Beispiel zu Gunsten tieferer Steuern.

Doch genau das fehlt in der aktuellen Befragung. Am sichtbarsten wäre das geworden, hätten die Beteiligungsabsichten zugenommen. Die Umfrage aber legt nahe, dass sie bei einem mittleren Wert stabil sind.

Man kann es so sagen: Das Normalszenario ist nicht gegeben, das Ausnahmeszenario allerdings auch nicht. Wahrscheinlich ist, dass die Meinungsbildung zur Mehrwertsteuer im Gastgewerbe irgendwo dazwischen verläuft

Genau das macht es schwierig, mit Daten 19 Tage vor dem Abstimmungssonntag erhoben, den Ausgang der Entscheidung vorweg zu nehmen.

Unsere Bilanz nach Abfassen des Berichtes lautet deshalb: Ein Nein ist wahrscheinlicher als ein Ja, doch kann auch dieses ganz ausgeschlossen werden.

Das mag wenig aussagekräftig erscheinen, ist es aber nicht. Denn nicht unsere Analyse ist zaghaft, vielmehr fällt die Meinungsbildung zu dieser Vorlage zögerlich aus.

Claude Longchamp

Vom Filz zum Flipperkasten. Meine Buchkritik zu “Wer regiert die Schweiz?”

Die Schweiz AG ist am Ende, es lebt die Schweiz des Volkes. So die These des Buches “Wer regiert die Schweiz?”, mit journalistischer Verve vorgetragen, aber nicht mit genügend analytischem Scharfsinn beendet.

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1983 veröffentlichte Hans Tschäni den Bestseller „Wer regiert die Schweiz?“. Darin entwickelte er die These der herrschenden Filzokratie: Regiert werde die Schweiz von ein Männer, sozialisiert im Militär, politisch aktiv für FDP und CVP, die sich mit der wahren Macht, der Wirtschaft, arrangiert hätten. Als Gegenpol dazu rief er eine neue Generation PolitikerInnen auf den Plan, geprägt von starken Frauen und OekologInnen, die den Wertewandel der 80er Jahre verinnerlicht hatten und die verkrustete helvetische Politik neu aufmischen sollten.
30 Jahre später war es die Schweizer Redaktion der deutschen „Zeit“, welche die Frage neu aufgriff, und in einer Beilage zur Hamburger Wochenzeitung der Antwort eine Wende gab: Geblieben schien die Vorherrschaft des Geldes auf die Politik, verändert hatte sich aber Opposition, unübersehbar verkörpert durch eine neue Volkspartei.

Wer genau ein Jahr später zum Buch „Wer regiert die Schweiz?“ von Matthias Daum, Ralph Pöhner und Peer Teuwsen greift, stellt eine bemerkenswerte Oeffnung fest. Hans Tschäni ist immer noch publizistisches Vorbild, seine These ist aber antiquiert. Gleich zu Beginn des Buches machen die Autoren klar, dass die Unternehmensführer von heute keinen Block mehr bilden, die Wirtschaftselite gegroundet sei und die Schweiz AG ihr Ende gefunden habe. Abgelöst worden seien sie durch Hinterleute im Land, die verdrängte Themen aufgriff und mit dem Volk regierten.

Die Antworten im neuen Buch werden in verschiedenste Richtungen gesucht: bei den Parteien, den Parlamenten und den Regierungen auf Bundes- und Kantonsebene, bei den neuen Lobbys und der Verwaltungen, bei den Frauen und Medien und, gut schweizerisch, im Ausland und anhand von Volksabstimmungen.
Das Buch selber macht zahlreiche innovative Zugänge zur Schweizer Politik dingfest: Es kritisiert die Leistungsfähigkeit des Milizsystems, es diskutiert Beamte als die neuen PolitikerInnen, es zeigt, wie Kantone den Vollzug beschleunigen und bremsen können oder wie der Bundesrat auf internationalem Parkett ausmanövriert werden kann, wenn er unerfahren und eigensinnig handelt.
Die gut 200 Seiten des Buches sind ausgesprochen kurzweilig, stets anschaulich, in vielem auch lehrreich, ohne in journalistische Fall wie vorschnelle Verallgemeinerungen zu treten. Das macht das Buch über weite Stecken zum süffigen Lesevergnügen.

Wenn meine zustimmende Kritik dennoch hier sein Ende findet, hat das mit der Abkoppelung der journalistischen Berichterstattung von der sozialwissenschaftlichen Forschung zu tun. Was die drei Autoren als Vorteil erwähnen, jenseits vo Kleinklein der Forschung einen grossen Wurf zu wagen, gereicht dem Buch zum Nachteil.
Denn Philosophen wie Adam Smith, Georg Hegel und Karl Marx legten vor rund 200 Jahren die Grundlagen zum Verständnis des modernen Staates, Soziologen wie Max Weber klärten vor 100 Jahren die Begriff Macht und Einfluss, und Politologen wie Robert Dahl schufen vor 50 Jahren analytische Konzepte zur Bestimmung der Frage „Who Governs?“. Doch kommen sie allesamt in „Wer regiert die Schweiz?“ nicht vor, sodass munter zwischen dem Regieren, der Machtausübung und der Einflussnahme berichtet wird. Das tönt das so: “In der Wirklichkeit jedoch wabert die Macht irgendwie zwischen den Institutionen und Verteilschlüsseln.” Präzise ist anders!
Entsprechend flach fällt das Schlusskapitel des Buches aus, übertitelt mit „Einsichten“. Zwar beginnt es treffend mit einer Darstellung der Postpolitik, regiert von Technokratie mit geringer politischer Legitimierung, um diese dann als ausländisches Phänomen abzutun. Denn die Schweiz mutiere zum Gegenteil, meinen die Journalisten, zur Retrodemokratie (einem weiteren ungeklärten Begriff), in der Volksentscheidungen zwar das pulsierende Herz seien, die den Körper zum unberechenbaren Flipperkasten verkommen lasse.
Absoluter Tiefpunkt des Buches ist, dass mit Jürg Acklin ausgerechnet ein Psychologe die populäre Zusammenfassung liefern darf: „Beherzte liberale Köpfe müssten den populistischen Krakeelern halt auch mal auf die Finger hauen“, ist da allen Ernstes als Rezept zu lesen. Um das zu sagen, hätte man kein Buch schreiben müssen!

Ertragreicher wäre es gewesen, eine andere Fährte zu verfolgen, die auch im Buch steckt: „Wir sind die glücklichen Nutzniesser einer in ihrem Ausmass und ihren Auswirkungen beispiellosen Transformation“, zitierten die Autoren Toni Judt, den britischen Zeithistoriker mit Schweizer Affinitäten. Denn genau das, untersuchen Schweizer Politikwissenschafter wie Daniele Caramani, Pascal Sciarini und Adrian Vatter, die auffällige Veränderungen der Schweizer Politik systematisch analysieren:

Für Vatter entwickelt sich die Schweiz im vom Spezial- zum Normalfall ein Konsensdemokratie. Angesichts der inneren Polarisierung ist die perfekte Machtteilung aufgebrochen worden. Gestärkte Akteure sind einerseits die Exekutiven, anderseits die SVP, welche die Opposition organisiere. Deshalb sei das System inputseitig in Schräglage geraten, ohne aus dem Ruder zu laufen, wie die unverändert einen Top-Werte zum output in vielen Politikdomänen zeigten.
Sciarini wiederum konstatiert in einem Vergleich der 70er Jahre des 20. Jahrhundert mit den Nullerjahren des 21. Jahrhundert einen Zerfall der liberalen Korporatismus, am besten sichtbar am Zerfall von Dachverbänden der Wirtschaft. Die grosse Konkordanz sei passé, angesagt seien kleinere Allianzen, als politisch geeinte Gegenkräfte zu Bürokratie und Massenmedien. Denn EU- oder Gesundheitspolitik würden, schwach legitimiert, weitgehend technokratisch regiert, derweil die Massenmedien, ebenso prekär legitimiert, bei politischen Entscheidungen in der Asyl-oder Migrationspolitik Sieger und Verlierer nach ihrer eigenen Logik küren.
Daniele Caramani schliesslich stellt sich Fragen, wie Nationalstaaten angesichts veränderter Herausforderungen – Stichwort Globalisierung – regiert werden können. Hier würde auch meine Antwort ansetzen: Denn ich sehe, mit Blick auf 2015, zwei Antworten:

Entweder wie sie es angesichts der Krise nach dem EWR-Nein mit den eurokonformen und schweizgerechten Bilateralen gelernt hat, im Verbund von SP, FDP, CVP (und BDP), unterstützt durch einen erweiterten liberalen Korporatismus, und verstärkt durch eine professionalisierte Verwaltung, sodass globale und nationale Oekonomie in der föderalistisch und direktdemokratisch geprägten Schweiz ihren Platz behalten;
oder von einer liberalkonservativen Minderheitesregierung mit mindestens vier Vertretern von SVP und FDP im Bundesrat, welche von einem überparteilichen Swissness-Geist getragen wird, wie er im Gefolge der globalen Finanzmarktkrise entstanden ist, gepaart mit einer knallharten Interessenpolitik zugunsten starker Schweizer KMU und mit Asien als kommendem Absatzmarkt vor Augen, weil mit dem baldige Scheitern der EU gerechnet wird.

Mediale Relevanz angewandter sozialwissenschaftlicher Forschung

Wie teile ich als Sozialwissenschafterin oder als Sozialwissenschafter meine Forschungsergebnisse und gewonnenen Erkenntnisse mit Interessierten? Und wie erreiche ich dabei ein Publikum, das über die einschlägigen Fachkreise und Wissenschaftszirkel hinaus geht? Welche Medien stehen mir mit welchen Anforderungen an die Kommunikation zur Verfügung.

Tatsache ist, dass sich die Grenze zwischen Journalismus und Politikwissenschaft respektive zwischen Universität und den Medien zunehmend vermischen: Es findet eine Medialisierung sozialwissenschaftlicher Forschung statt, die sowohl von den Medien getrieben ist (Stichwort “knowledge-based journalism”) als auch durch die Wissenschaft, deren VertreterInnen sich in einer neuen Rolle als Experten und Analystinnen des täglichen politischen Geschehens wiederfinden.

Die Entstehung des neuen Master-Tracks “Politischer Datenjournalismus” am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich ist nicht zuletzt ein Ausdruck dieser Verschmelzung. Genau dieser Track bildet den Rahmen für mein nächstes Seminar an der Uni Zürich, das den Titel “Mediale Relevanz angewandter sozialwissenschaftlicher Forschung” trägt und darauf ausgelegt ist, die unterschiedlichen Möglichkeiten der Forschungskommunikation auszuleuchten und in ihrem Nutzen zu evaluieren.

Dabei sollen die Studierenden am Ende des Seminars fundiertes Wissen darüber erarbeitet haben, welches Medium und welche Kommunikationsform sich zur Vermittlung bestimmter Forschungsergebnisse eignet und welche weniger. Die klassischen Theorien der Politikwissenschaft spielen in diesem Seminar höchstens als Mittel zum Zweck eine Rolle. Stattdessen konzentrieren wir uns auf die grundlegenden Selektionsmechanismen der Massenmedien und der neuen Sozialen Medien (Stichworte sind Nachrichtenwerttheorie, Framing oder Storytelling).

Um dem Seminar bei allen möglichen politologischen Forschungsfeldern einen gewissen Rahmen zu geben, konzentrieren wir uns auf die Kommunikation von Forschungsergebnissen zu Wahlen (eidgenössische und kantonale) und (nationale) Volksabstimmungen. Das heisst, wir schauen uns an, inwiefern grossen Datensätze wie Selects, VOX-Analysen, SRG-Trend oder Wahlbarometer zur medialen Verwertung geeignet sind. Im Sinne des “etwas anderen” Seminars wird der von den Studierenden zu erbringende Leistungsnachweis auch nicht in Form einer klassischen hypothesengeleiteten Forschungsarbeit erbracht, sondern durch die Konzeption und Umsetzung und das Üben von verschiedenen Ideen, wie eben Forschung medial vermarktet werden könnte.

Durch die praktische Auslegung des Seminars wird der Bogen zur angewandten Politikwissenschaft, zur Politikwissenschaft im Sinne einer Berufswahl, geschlagen. Es biete sich in meinen Augen deshalb an, möglichst viele externe und tagtäglich praktizierende Experten beizuziehen, die – jeder für sich und mittels ihres Mediums – ihre Forschung sehr erfolgreich kommunizieren. Besucht werden wir darum von:

. Martin Grandjean (Uni Lausanne),
. Daniel Schwarz (Uni Bern, Smartvote),
. Sylke Gruhnwald (ehemals NZZ nun SRF Online) und
. Christian Bolliger (ehemals Uni Bern, Büro Vatter).

Für die (mit-) Beurteilung der Schlusspräsentationen der Studierenden haben wir Konrad Weber (SRF), Petar Marjanovic (Watson) und Adrienne Fichter (NZZ) eingeladen.

Interessierte, die an der Uni Zürich ein Master absolvieren, können sich ab sofort auf den einschlägigen Kanälen einschreiben.

Wir freuen uns auf ein Seminar am Puls der Politikwissenschaft, auf viele neue Inputs und darauf, den Studierenden hoffentlich das ein oder andere wertvolle Werkzeug mit auf ihren Weg geben zu können.

Claude Longchamp, Cloé Jans

Die Katalysatorfunktion von Volksinitiativen

Die aktuelle Diskussion über Volksinitiativen verengt den Blickwinkel auf das interessantes Volksrecht der Schweiz. Zur Sprache kommt nur die Mobilisierungsfunktion für Parteien bei Wahlen. Gänzlich ausgeblendet wird dabei die Katalysatorfunktion der Volksinitiative für die Politik als solcher.

Politologinnen wie Wolf Linder oder Adrian Vatter, die politische Systeme wie das der Schweiz analysier(t)en, haben dafür mindestens vier Funktionen von Volksinitiativen identifiziert:

. die Katalysatorfunktion, wonach sensible Gruppen der Gesellschaft ihre Forderung aufbringen und zur Diskussion stellen können, um die inskünftige politische Agena zu beeinflussen;
. die Ventilfunktion, wonach Oppositionskräfte Forderungen mittels Volksinitiativen auch ohne parlamentarische Unterstützung durchsetzen können, wenn nur der Problemdruck hoch genug ist,
. die Schwungradfunktion, wonach parlamentarische Kräfte ihre Forderungen mittels Volksinitiativen verstärken können, wenn sie in den Behörden unterliegen;
. die Mobilisierungsfunktion, wonach vor allem an Wahlen beteiligte Parteien und Komitees ihre Schlagkraft im Wahlkampf verstärken können.

Mich interessiert hier die erste am meisten. Voraussetzen muss man dabei, dass sich die politikwissenschaftliche Analyse von Entscheidungen gerne auf Konfliktlinien beruft. Damit meint man tiefgreifende Spaltungen der Gesellschaft, die über die Einzelentscheidung hinaus gemeinsame Merkmale aufweisen und von politischen Akteuren verschärft oder auch aufgearbeitet werden. So kann man die Entstehung neuer politischer Parteien untersuchen; es können aber auch Themenzyklen, die im Entstehen begriffen sind, analysiert werden.

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Ueberblickt man die Volksinitiativen der letzten 10 Jahre, die von Volk und Stände angenommen wurden, kann man sie in vier Themenbereiche einteilen:

. in ökologisch ausgerichtete Volksinitiatven, die den Schutz der Natur propagieren,
. in kulturell orientgierte Begehren, welche Entfremdung im eigenen Land bekämpfen wollen,
. in strafrechtlich relevante Volksinitiativen, die eine härtere Gangart der Justiz verlangen und
. in wirtschaftlich ausgerichtete Begehren, welche die nationalen Interessen und Regeln vor die internationalen stellen.

Darüber hinaus kann man argumentieren, die die meisten der angenommenen Volksbegehren eine gemeinsame Absicht verfolgten. Sie fordern Lösungen für Probleme, die mit der veränderten Stellung der Schweiz in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu tun haben, und zwar vor dem Hintergrund einer globalisierte(re)n Welt. Diese ist gekennzeichnet durch eine hohe Oeffnung der Grenzen in sozialer Hinsicht, durch eine weitrechende Verflechtung der nationalen mit der internationalen Wirtschaft, nicht aber durch eine hohe Interdependenz der schweizerischen Politik mit der globalen.

Genau hier setzt die Idee an, dass die gehäuft angenommenen Initiativen die Schweiz für die Veränderungen auf internationalen Parkett sensibilisieren, ob man das will oder nicht. Sie sprechen ein recht systematisches Politikdefizit an.

Den Reigen eröffnete die UNO-Beitrittsinitiative, 2002 von Volk und Stände angenommen. Mindestens in der Retrospektive muss man allerdings sagen, dass es sich dabei um eine atypische Perspektive gehandelt hatte, letztlich von den Behörden mitlanciert, um den Oeffnungsschritt zu legitimieren. Denn die neun weiteren Initiativen problematisierten das Verhältnis der Schweiz zum Ausland resp. zur Staatenwelt durchwegs in umgekehrter Richtung. Zum Ausdruck kamen von der Politik vernachlässigte Probleme, bei denen sich keine mehrheitsfähige Lösung auf dem parlamentarischen Weg abzeichnete.

Meines Erachtens sind die Gemeinsamkeiten zwischen den angenommenen Volksinitiativen gross genug, um von Symptomen auf einer Konfliktlinie zu sprechen, nämlich der Spaltung der Schweiz in ihrem Verhältnis zwischen Aussen- und Binnenorientierung. Es variieren allerdings die Schattierungen der ausgedrückten Präferenzen von national bis grün. Betroffen ist nicht einfach ein Bereich, sondern impliziert werden Teile der Wirtschaft, der Gesellschaft, der Kultur und des Rechst.

In meiner Analyse haben die Defizit der Politik auch zur konservativen Wende in der Schweiz Politik geführt, wie sie seit 10 Jahren mehrfach diagnostiziert worden ist. Denn die behördliche Politik bestimmt die Sensibilisierung der Oeffentlichkeit für kommende Probleme nicht selber, vielmehr überlässt sie diese Aufgabe der Themen-Opposition, der es zwischenzeitlich gelungen ist, damit das generelle politische Klima in der Schweiz Richtung Binnenorientierung, sprich Beschäftigung mit eigenen politischen Defiziten zu beeinflussen.

Oder konkreter ausgedrückt: Volksinitiativen katalysieren, um in der einleitend entwickelten Terminologie zu bleiben, problematische Themen, die von der Politik vernachlässigt werden. Aus der Systemsicht kann man folgern: Diese muss die vorgebrachten Positionen nicht teilen; es darf aber systematische Konfliktkonstellationen nicht negieren. Vielmehr muss es sich darauf einstellen, dass die Problematisierungen eher noch zunehmen werden, dass sie aber mit Antworten der Behörden besetzt werden müssten. Denn nur so kommen diese angesichts systematischer Veränderungen in der Politik aus der Defensive heraus, in die sie geraten sind.

Claude Longchamp

Kurzanalyse der Meinungsbildung zur Volksinitiative für eine öffentliche Krankenkasse

40 Prozent bestimmt oder eher dafür, 51 Prozent bestimmt oder eher dagegen. Das ist das Hauptergebnis der ersten SRG-Trend-Befragung zur Volksinitiative “Für eine öffentliche Krankenkasse”. Meine Kurzanalyse.

Was konnte man schon vor der aktuellen Umfrage zur Meinungsbildung wissen?

Wir waren uns nicht im Klaren, ob wir die Volksinitiative für eine öffentliche Krankenkasse als “potenzielle Mehrheitsinitiative” oder als “Minderheitsinitiative” klassieren sollte. Erster Grund war, dass von einer grundlegenden Veränderung im Kassenwesen eigentliche alle betroffen sind. Ebenso wichtig war der zweite Grund: Wird die Idee an sich positiv oder negativ gelesen?
In aller Regel stellen wir bei solchen Fragestellungen auf Vergleichsabstimmung ab. Die gaben eine klare Antwort: 2003 und 2007 haben wir über verwandte Volksinitiativen entschieden, und in beiden Fällen war das Abstimmungsergebnis eindeutig negativ. Im aktuellen Fall gibt es allerdings einen Unterschied. Anders als früher geht es nicht mehr um eine nationale Krankenkasse, sondern um kantonal vereinheitlichte. Das reduziert die Zentralisierung des stark föderalistischen Kassensystems.
Frühe Umfragen zur aktuellen Entscheidung, im Rahmen des Gesundheitsmonitors geführt, zeigten eine befürwortende Mehrheit. 65 Prozent waren im Frühsommer 2013 eher für einen Systemwechsel im vorgeschlagenen Sinne. Innert Jahresfrist verringerte sich der Vergleichswert allerdings auf 49 Prozent. Man kann das so sagen: Die Neuauflage der Einführung einer Einheitskasse mit der aktuellen Volksinitiative war eine potenziell mehrheitsfähiges Projekt. Diese Einschätzung beeinflusste auch die Stellungnahme selbst des Bundesrates, welcher der Initiative einen Gegenvorschlag gegenüberstellen wollte. Diesem Vorhaben widersprachen namentlich die Ständeräte. Sie plädierten für einen Verzicht auf einen Gegenvorschlag und einen bereinigten Tisch vor den Wahlen 2015. Damit hatten sie Erfolg, und sie haben so auch die Stimmungslage zur Vorlage beeinflusst. Denn das Anliegen ist eine Initiative aus der Sicht der Stimmberechtigten heute eine Minderheitsforderung.
Drei Sachen während der behördlichen Willensbildung resp. während der Vorkampagne waren entscheidend:
. Erstens, die klare Frontstellung im Bundesparlament zwischen rechten und linken Volks- und KantonsvertreterInnen hat das bürgerliche Lager geeinigt. Abweichende Stimmen sind seltener geworden, vor allem in der deutschsprachigen Schweiz.
. Zweitens, die klare Polarisierung im Parlament hat die Bedeutung der Entscheidung aus Parteiensicht erhöht. Das hat namentlich die Mobilisierungsbereitschaft auf der rechten Seite verstärkt.
. Drittens, die Kostenfrage wurde auf diesem Weg zur zentralen Arena gemacht, in der sich die Kontrahenten streiten.

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Links das wahrscheinlichere Szenario, rechts das unwahrscheinlichere, aber nicht ganz unmögliche bei der Meinungsbildung zur Volksinitiative “Für eine öffentliche Krankenkasse”
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Was nun wissen wir aufgrund der ersten von zwei SRG-Befragungswellen vor den Volksabstimmungen vom 28. September?
Zunächst zeigt Auswertung der gut 1200 repräsentativ ausgewählten Befragten, dass die Ablehnungsbereitschaft rund 6 Wochen vor dem Abstimmungstag jene der Zustimmung überwiegt. Die aktuellen Zahlen lauten 51 Prozent bestimmt oder eher dagegen, 40 Prozent bestimmt oder eher dafür. Im Vergleich zur letzten Volksabstimmung, der Entscheidung über die Einheitskasse, ist das eine Verbesserung beider Seiten in der Ausgangslage. Der Nein-Anteil ist fünf Prozentpunkte höher als zum gleichen Zeitpunkt vor der Abstimmung 2007, und der Ja-Prozentsatz übertrifft den damaligen um vier Prozentpunkte. Man kann das so lesen: In prinzipieller Hinsicht polarisiert die Neuauflage des SP-Anliegens nicht weniger, eher mehr. Die frühe Meinungsbildung im Abstimmungskampf ist weiter fortgeschritten als beim letzten Mal.
Sodann belegt unsere Auswertung, dass die sprachregionalen Unterschiede weitgehend geblieben sind. In der französisch- und italienischsprachigen Schweiz sind 55 resp. 53 Prozent der Teilnahmewilligen bestimmt oder eher dafür. Im deutschsprachigen Landesteil sind es jedoch nur 35 Prozent. Das dürfte, wie in früheren Fällen, die weitere Behandlung des Themas beeinflussen: Die Gegnerschaft kann ihre Positionen diesseits der Saane und des Gotthards offensiver platzieren, während die Ja-Seite gerade hier aus der Defensive wirken muss.
Schliesslich verweist die Befragung auf eine erhebliche parteipolitische Polarisierung. Das bürgerliche Lager tendiert, mit Ausnahme der CVP-Basis, zu einem recht klaren Nein. Die Linke wird mehrheitlich zustimmen. In der sich abzeichnenden Auseinanderbewegung entlang der Parteibindungen können die Initiantinnen maximal bei den parteiungebundenen Bürger und Bürgerinnen punkten. Die Auswertung ihrer Antworten zeigt allerdings, dass sie durch den Mainstream in den jeweiligen Sprachregionen beeinflusst sind.

Was ist bei einer solchen Ausgangslage von der weiteren Entwicklung des Abstimmungskampfes zu erwarten?
Die Kostenfrage steht im Zentrum der Aufmerksamkeit, aber sie hat noch keinen eindeutigen Sieger hervorgebracht. 35 Prozent der Teilnahmewilligen sind überzeugt, dass die Kosten bei ein Ja steigen, 33 hoffen auf eine Senkung. Man kann das auch so sagen: Der thematische Fokus ist durch Vorkampagnen und bisherige Hauptkampagne gesetzt worden: die kommende Dynamik der Meinungsbildung dürfte aber anders woher kommen.
Die Initiantinnen haben mindestens zwei Möglichkeiten: Die Vorteile einer einheitlichen und lebenslangen Betreuung durch eine öffentliche Kasse aufzeigen und vorhandene Schwächen des jetzigen Systems beklagen, so beim Risikoausgleich oder bei Maklerprämien. Ihre Widersacher können auf die Vorteile des Wettbewerbs für die Qualitätssicherung abstellen, und auf die insgesamt hohe Zufriedenheit mit dem jetzigen Split zwischen Grund- und Zusatzversicherung ansprechen. Gut denkbar, dass beide Seiten damit punkten, sprachregional allerdings ganz verschieden.

Claude Longchamp

Die Wahlen 2015 haben sich früh und durchschlagend angekündigt.

2015 wählt die Schweiz ihr neues Parlament und das wiederum bestimmt unsere neue Regierung. 15 Monate davor merkt man das zusehends. Der Vorwahlkampf ist früh voll entbrannt. Meine Auslegordnung der Symptome, und wofür sie mit Blick auf den Herbst 2015 stehen.

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Im Herbst 2015 wählt die Schweiz ein neues Parlament. Der Vorwahlkampf startete dieser Tage unüblich früh.

Ankündigungen von Volksinitiativen
Debatten über Volksinitiativen, die noch gar nicht lanciert sind, zeugen nicht vom medialen “Sommerloch”. Sie sind ein untrügerisches Zeichen des Vorwahlkampfes. Innert drei Wochen änderte sich das Klima in der Schweiz geradezu schlagartig hin zur Polarisierung. Durch eine angekündigte Asylinitiative. Durch eine angekündigte Initiative gegen Entwicklungshilfe. Und durch eine Initiative, die nationales Recht über internationales stellen will. Nun wäre es falsch, einzig die SVP in die Pflicht nehmen zu wollen. Auch die SP, CVP und GPS denken über Wahlkampf-Initiativen nach oder haben sie schon lanciert: Die SP zur Kindergutschrift. Die JUSO zur Verhinderung der Spekulation mit Rohstoffen. Die GPS zu Fair-Food. Nur die CVP zögert noch, ob sie die Bilaterale oder die Krankenversicherung für Kinder ins Zentrum rücken will. Nicht im Initiativ-Geschäft sind BDP, GLP und FDP. Sie haben entweder keine Erfahrung mit dem Instrument, nur schlechte Erinnerungen oder eine vollgestopfte Pipeline. Die Initiativflut zu bemühen ist bisweilen nicht redlich, und es wäre klarer offenzulegen, dass auch die Kritik ein Teil des Wahlkampfes ist. Allerdings sind verbindliche Positionen nur von Vorteil, wenn Parteien in den Wahlkampf ziehen, denn nichts irritiert mehr als die Ankündigung, die dann fallen gelassen wird, sobald die Wahlspannung vorbei ist. Seit 2010/11 wissen wir, dass dem durchaus so sein kann: Eine Rekordzahl an Volksinitiativen wurde angemeldet, aber nicht jede Anmeldung führte zu einer Volksabstimmung. Und nicht jeder Entscheid der BürgerInnen brachte den Initiantinnen den erhofften Durchbruch. Problematisch sind insbesondere jene Projekte, die verhandelt werden, als seien sie bereits gültiges Verfassungsrecht, aber dann einfachste Hürden wie die nötige Unterschriftenzahl nicht schaffen. Diese befeuern lediglich das politische Schattenboxen. Weniger kritisch beurteile ich zustande gekommene Initiativen, denn sie schärfen das Themenprofil der Parteien, was der Wahl wiederum dient. Und werden Initiativen gar angenommen, entsprechen sie dem Volkswillen; dagegen kann man in einer Demokratie nichts einwenden. Sicher, Volksinitiativen sind aus einer Perspektive nicht unproblematisch: Unsere Politsystem ist auf Konkordanz und damit auf Mässigung angelegt. Volksinitiativen sind das Gegenteil davon. Häufig wählen sie das Extreme, um mindestens eine Kontroverse zu provozieren. Gelegentlich werden sie auch mit kompromisslosem Geist vorgetragen und durchgesetzt. Beides erschwert das Regieren in einer Mehrparteienexekutive. Genau das vorzubereiten ist das Ziel von Wahlen. Oppositionsparteien mögen sich einen Deut darum kümmern – Regierungsparteien darf man aus Systemsicht die Frage stellen.

Lancierung neuer Parteien
Ein zweites Zeichen der Vorphase zu den Parlamentswahlen 2015 ist das Auftreten neuer Parteien. Die Ursachen sind an sich mehrschichtig. Beispielsweise, weil Aussenseiter in gestandenen Parteien keine Chance haben, auf eine Liste zu kommen und es Aussen herum versuchen. Beispielsweise, weil es in kleinen Wahlkreise gar keine richtige Auswahl gibt und das zu kurz gekommene Bevölkerungsteile motiviert, Gegensteuer zu geben. Beispielsweise auch, weil Minderheiten in Parteien mit dem Kurs ihrer Partei nicht mehr zu frieden sind und mit ihr brechen. Lange war das ganz an den Rändern des politischen Spektrums der Fall und ein offensichtliches Zeichen der Polarisierung. 2007 änderte sich die Lage, indem sich die GLP von der GPS trennte und vor den Wahlen in die Mitte strebte, um neue Allianzen zu schmieden. Mit Blick auf 2015 ist nun die up!schweiz entstanden. Die Unabhängigkeitspartei der Schweiz. Hervorgegangen ist sie aus dem Jungfreisinn. Deren vormalige Präsidentin, Brenda Mäder, ist das Aushängeschild der neuen Partei. Positionen, die bezogen und eingenommen werden, legen ein libertäres Weltbild offen, wie man es vor allem aus den USA im Umfeld der Republikaner und neuerdings auch aus Deutschland mit der AfD kennt. Mehr Eigenverantwortung, weniger Staat und klare Abgrenzung gegenüber Links kennzeichnen das bisherige Profil. Vieles davon kennt man aus FDP- und SVP-Kreisen. Die FDP ist aber hausbackener und mehr mit der Alltagspolitik beschäftigt – die SVP ist konservativer und mehr darauf bemüht, eben diese Alltagspolitik in eine andere Richtung zu bewegen. Da besteht Platz für IdealistInnen. Man kann sich fragen, wie gross der Anhang der neuen Partei ist. Spürbar ist er in den Sozialen Medien, etwa auf Twitter. Weniger klar ist, wie viele Mitglieder die Partei heute schon hat. Und in Umfragen ist die Partei bisher nie ausgewiesen worden. Fragen kann man sich auch, wie unabhängig die neue Partei ist. Ihr Wahlkampfleiter kandidierte 2011 erfolglos für die FDP Bern, war beruflich im Stab von Bundesrat Blocher tätig, bevor er sich dann als Lobbyist des Gewerbverbandes betätigte. Und bis heute hat er dank Christoph Mörgeli einen Badge, der ihm Zugang zum Parlament erlaubt. Egal, was das alles heisst, klar ist, dass die Grenzlinie zwischen FDP und SVP neu gezogen werden soll. Die SVP ist unverändert der stärkere Part, gewinnt aber nicht mehr auf sicher dazu. Die FDP hat gelegentlich genau in diesem Segment zugelegt wenn die SVP schwach war. Und neuerdings könnte es sein, dass beide Parteien eine von ihnen mitbeförderte Wahlkonkurrenz bekommen haben, vor allem in der Ansprache jüngerer WählerInnen.

Strategische Allianzen
Das dritte zuverlässige Zeichen des Vorwahlkampfes sind kontroverse Diskussionen über Allianzen zwischen Parteien. Koalitionsaussagen, wie man sie im Konkurrenzsystem kennt sind im Konkordanzsystem unüblich. Denn die Stärke einer Partei, allenfalls kombiniert mit Übereinstimmungen, die sie mit anderen Parteien haben, bestimmen die Positionen im System. Üblich geworden sind aber Kooperationen unter Parteien mit gemeinsamen Interessen. Die SP hat sich über eine Wahl hinaus mit der GP arrangiert. Die SVP arbeitet daran, die FDP ins Boot zu ziehen. Klärungen hat es auch in der neuen Mitte gegeben, nach den Wahlen 2007 in Ansätzen entstanden und am Wahlabend 2011 beschworen. CVP und BDP wollen zwar nicht fusionieren, dafür sind ihre Wurzeln in den Kantonen zu verschieden. Gemäss Aussagen beider Fraktionspräsidenten wollen sie nach den Wahlen 2015 eine gemeinsame Gruppe unter der Bundeskuppel bilden. Sie könnte die Nummer 2 werden, sicher jedoch die Nummer 3 sein. Vorleistungen hierzu sind Listenverbindungen oder Absicherungen der Restmandatverteilung. Was eigentlich der Versicherungsmathematik verwandt ist, ist in schweizerischen Wahlkämpfen von höchster politischer Brisanz. Denn dabei werden meist auch die Stimmen bei den nachfolgenden Bundesratswahlen verhandelt. Die SVP verspricht, keinen FDP-Bundesrat mehr anzugreifen, wenn die FDP flächendeckend mit der SVP verbundene Listen anstrebt. Die CVP wiederum stellt in Aussicht, eine Wiederkandidatur von Eveline Widmer-Schlumpf zu unterstützen, wenn die BDP flächendeckend mit ihr in die Wahlen zieht. Filippo Lombardi, der Fraktionspräsident der CVP geht gar noch weiter: Er will auf diesem Weg das politische Gewicht der Mitte stärken, zu der er auch die FDP zählt, wenn sie nur mitmachen würden. Bis dann spekuliert er keck damit, einer gemässigten SVP einen zweiten Bundesratssitz zuzugestehen, wohl zu Lasten einer widerspenstigen FDP. Isoliert wirkt in dieser Debatte die GLP. Angefangen hat alles im Kanton St. Gallen, wo die Mitte nun aus CVP, BDP und EVP besteht, die GLP jedoch Aussen vor bleibt. Wenn das auch in anderen Kantonen Schule machen würde, könnte es die GLP schmerzlich treffen. Denn sie hat die Hälfte ihrer Sitze im Nationalrat nicht alleine aus eigener Stimmenkraft geschafft; vielmehr war sie 2011 eine grosse Profiteurin geschickt eruierter und unideologisch beschlossener Listenverbindungen. Möglicherweise gefährdet ist die traditionelle Verbindung zwischen SP und GP. Im Kanton Zürich droht, dass beide Parteien bei den Regierungsratswahlen um die gleichen Mandate und Wählenden kämpfen, mit dem Effekt, dass die GP in Bedrängnis geraten könnte. Das wiederum dürfte die Diskussionen über Listenverbindungen unter bisherigen Partnern mitbeeinflussen. Denn generell gilt: Listenverbindungen lohnen sich vor allem dann, wenn man so ein Restmandat ergattert. In allen anderen Fällen ist es eine Versicherung, die eher dem grösseren Partner nützt. Das wissen FDP und GPS, was sie mindestens in einzelnen Kantonen zögern lässt, während die BDP die Verteidigung des eigenen Bundesratssitzes wichtiger ist als der Gewinn bei den Nationalratswahlen.

Erste Zwischenbilanz

Oder anders gesagt: Ankündigungen von Volksinitiativen, Lancierung neuer Parteien im volatilen Wählerumfeld und Diskussionen über strategische Allianzen künden die nächste Wahl an. Das ist heuer nicht anders als bei früheren Vorwahlen. Verändert haben sich aber die Symptome und der Zeitpunkt hat sich vorverlagert. Bisher wartete man den Jahrestag vor der Wahl ab, um mit den Wahlvorbereitungen in der Öffentlichkeit zu beginnen. Wahlen sind immer und deshalb ist der Wahlkampf zur permanenten Aufgabe geworden. Das lehrt uns das Studium von Wahlen in Mediendemokratien – und die Schweiz ist spätestens seit 2014 keine Ausnahme mehr.

Claude Longchamp

Forschung besser kommunizieren

Mein Seminar im Herbstsemester 2014 an der Uni Zürich steht definitiv. Im MasterTrack “Politischer Datenjournalismus” des Instituts für Politikwissenschaft biete ich den Kurs “Mediale Relevanz angewandter sozialwissenschaftlicher Forschung (fördern)” an.

Die Teilnehmenden sollen lernen, was die Anforderungen sind, dass Forschung medialisiert werden kann resp. es auch wird. Dabei verzichte ich bewusst auf den ganzen Bereich der (reinen) Grundlagenforschung, der sich meist an ein nur kleines Fachpublikum wendet. Vielmehr konzentriere ich mich auf die angewandte Sozialforschung. Dafür ist der Medienfächer breit aufgestellt: vom Print- und Online-Journalismus über das bewegte Bild als Medium bis hin zum populärwissenschaftlichen Buch – alles soll behandelt werden.

Gegenstände des Seminars sind Wahlen und Abstimmung, vornehmlich auf nationaler, allenfalls auch auf kantonaler Ebene der Schweiz. Anschauungsmaterial bieten die folgenden Projekte: Selects, Wahlbarometer, SmartVote, Vox-Analysen, SRG-Trendbefragungen, Swissvotes. Je nach Zahl Teilnehmender kommen weitere Datensätze hinzu. Gefragt wird einerseits, wie die Forschungsergebnisse bisher vermittelt wurden, anderseits wie sie inskünftig kommuniziert werden müssten. Hierzu bearbeiten die Studierenden, ausgehend von einem der genannten Projekte, den Ist- und Soll-Zustand für jede der erwähnten Medienformen. Daraus soll eine Seminararbeit entstehen, welche Vorschläge unterbreitet, wie die Kommunikation Forschungsprojekte verbessert werden könnten. Das Hauptaugenmerk richtet sich dabei auf die Wahlen 2015 einerseits, ausgewählte Volksabstimmungen der nahen Zukunft anderseits. Die Schlussbeurteilung erfolgt auf zwei Arten: durch mich aus wissenschaftlicher Sicht, durch versierte Medienschaffende aus der Perspektive denkbarer NutzerInnen.

Das Seminar stellt die zentralen theoretischen Zugänge zum Thema aus der internationalen Literatur sicher, lebt aber von der Praxis. Zahlreiche VertreterInnen, die Forschungskommunikation an der Universitäten, in Medien oder aus der Forschung selber werden ihren spezifischen Beitrag zum Seminar leisten. Zugesagt namentlich Martin Grandjean, Sylke Gruhnwald, Daniel Schwarz, Christian Bolliger, Adrienne Fichter, Petar Marjanovic und Konrad Weber.

Gerichtet ist die Lehrveranstaltung an Masterstudierende, die einen Bachelor in Politikwissenschaft (oder verwandtem Fach) haben, und sich mit der Kommunikation von Forschung über Fachkreise hinaus vertraut machen wollen. Je nach Zahl Teilnehmender werden Gruppen oder Einzelarbeiten erwartet. InteressentInnen, welche diese Bedingungen erfüllen, können sich bei cloe.jans@gfsbern.ch melden, oder sich demnächst auf Olat eintragen.

Claude Longchamp