Stadt/Land-Unterschied bei Personenfreizügigkeitsfragen rückläufig

In der Volksabstimmung fand die definitive Personenfreizügigkeit mit der Europäischen Union eine höhere Zustimmung als die Erweiterungsvorlage von 2005. Es nahm der Unterschied in der Zustimmung zwischen Stadt und Land ab, ohne ganz zu verschwinden; es erhöhte sich dafür leicht die Differenzierung zwischen den Sprachregionen, wie eine Uebersicht des BfS zeigt. Eine Erstanalyse des Forschungsinstituts gfs.bern zeigt zudem, was die Hintergründe der Regionen mit verschiedenen Dynamiken in den Trends sind.

pfzkarte

2005 sagten in der Schweiz 56 Prozent Ja zur damaligen Erweiterung der bestehenden Personenfreizügigkeit mit den 10 neuen EU-Staaten. In den Städte fiel die Zustimmung über dem Mittel aus; sie lag knapp 11 Prozent über jener auf dem Land. 2009 resultierte eine generell höhere Zustimmung; sie betrug 59,6 Prozent, wobei sich die Zustimmung auf dem Land stärker nach oben veränderte als in den Städten. Der Unterschied beträgt jetzt nach Berechnungen des Bundesamtes für Statistik noch 8 Prozentpunkte.

Leicht erhöht haben sich dafür die Unterschiede zwischen den Sprachregionen. Jene zwischen der deutsch- und der französischensprachigen Schweiz stieg von 6 auf 7 Prozentpunkte an. Die Differenz zwischen den deutsch- und italienischsprachigen Schweiz vergrösserte sich von 20 auf 25 Prozent. Das hat vor allem mit einer grösseren Dynamik in der deutsch- und französischen Schweiz zu tun, derweil die Zustimmung im Tessin sogar minimal sank.

Ein detaillierter Vergleich entlang der Bezirke, heute vom Forschungsinstitut gfs.bern veröffentlicht, zeigt zwei unterschiedliche Muster in Regionen mit grossen resp. kleinen Veränderungen:

Ueber dem Mittel stark wuchs die Zustimmung in finanzschwachen Bezirken. Und sie vergrösserter sich auch in Bezirken mit AusländerInnen vor allem aus europäischen Ländern. In diesen Gebieten verringerten sich die früheren Bedenken gegenüber der Personenfreizügigkeit um bis zu 10 Prozentpunkte.

Geringer als im Schnitt fiel die Zunahme der Bejahung in Bezirken auf, die eine hohe Arbeitslosenquote kennen. Das gilt auch, wenn die AusländerInnen-Population aus aussereuropäischen Gebieten überdurchschnittlich ist. Hier werden 2009 die Einwände gegenüber der Personenfreizügigkeit etwa gleich verbreitet geteilt wie das 2005 der Fall war.

Zwei mehr oder minder geschlossenen Bezirksgruppen fallen beiden Uebersichten besonders auf: Zuerst das Tessin, wo sich nichts bewegte, und dann das benachbarte Graubünden, wo sehr viel geschah. Im ersten Fall bestätigten sich die Euro-Skepsis, die seit der Entscheidung über die Bilateralen ununterbrochen regiert. Im zweiten Fall fäll auf, dass mit dem weitgehenden Verschwinden der SVP und dem Aufkommen der BDP sich die Opposition zur Personenfreihzügigkeit fast flächendeckend verringerte.

Claude Longchamp

Schlag auf Schlag: Live-Bloggen aus dem Abstimmungsstudio zur Personenfreizügigkeit

Die Schweiz sagt Ja zur definitiven Personenfreizügigkeit mit der heutigen Europäischen Union. Das Tagebuch von Claude Longchamp am Abstimmungssonntag vom 8. Februar 2009.


Ergebnis der Hochrechnung von gfs.bern für die SRG-Medien Am Abstimmungssonntag um 15 Uhr

18 30
Das ganze Hochrechnungsteam hat Leutschenbach verlassen. Die TelefonistInnen konnten schon um 14 Uhr gehen, denn unsere Referenzgemeinden waren ausnahmslos super schnell und zuverlässig. Für das Analyseteam war um 16 Uhr Schluss, und ich habe mir um 18 Uhr eine kleinen Apfelsaft-Drink gegönnt. Wir hatten alle unsere Wette abgegeben, im Team. Am besten war Laura Kopp, unsere neue Projektleiterin, die heute erstmals im Studio mit dabei war. Sie hatte zur verbreiteten Ueberraschung auf 60 Prozent Ja und 40 Prozent Nein gesetzt. Gratulation!

17 10
Im Studio nebenan kreuzen sich Ständerat Urs Schwaller von der CVP und Nationalrat Hans Fehr von der SVP die politische Klinge. Ich höre Bekanntes aus dem Abstimmungskampf und frage mich deshalb: Wie geht es weiter? Das rotgrüne Lager kündigt, wenn auch verhalten, eine neue EU-Beitrittsdebatte an. Ich zweifel, ob das gut ankommt. Denn es braucht hierfür eine solide Allianz von mindestens 3 grossen Regierungsparteien. CVP und FDP müssten in ihrer Mehrheit dafür sein, doch sie ziehen den Bilateralen Weg vor. Auch die Aussenministerin, Micheline Calmy-Rey von der SP, unterstützt den raschen Schritt nach vorne nicht. Sie zieht ein Rahmenabkommen mit der EU vor, das das Verhältnis der Schweiz zu ihrem europäischen Umfeld regelt. Es soll von der Einzelfallbetrachtung im Bilateralismus zu einer übergeordneten, dauerhaften und dynamischen Betrachtungsweise führen. Und es soll verträglich mit der direkten Demokratie sein. Ich denke das wäre gut, denn der 2001 eingeschlagene Bilaterale Weg ist in Regierung, Parlament und Stimmvolk das zukunftsweisende, mehrheitsfähige EU-Projekt der Schweiz.

16 40
Die Meldung auf dem news-Ticker, SVP-Präsident Toni Brunner befürworte, eine Volksinitiative gegen die Personenfreizügigkeit zu lancieren, sorgt für Irritation im Studio. Es ist heute die fünfte Volksabstimmung zu den Bilateralen seit 2001. Es das fünfte Mal, das die Stimmenden Ja sagen. Einen zeitlicher Trend in Richtung Nein gibt es nicht. Die SVP hat viermal die Nein-Parole beschlossen, und vier Mal verloren. Das kann man nur so zusammenfassen: Ihre Opposition in dieser Frage ist nicht mehrheitsfähig. Wenn die SVP das Thema mit eigenen Initiativen weiter politisieren will, ist das natürlich ihr freies Recht als politische Partei. Sie wird sich aber gefallen lassen müssen, dass man sie kritisiert, das aus rein parteitaktischen Gründen zu machen. Anmassend wirkt, dass die nun auch noch per Communique behauptet, der Volksentscheid von heute sei “nicht interpretierbar”. Ich werde das Thema morgen bei der Redaktion der VOX-Analyse aufnehmen.

16 10
Man ist geneingt, fast schon wieder zu sagen: Der Vergleich der Zustimmung zur Personenfreizügigkeit in einem Kanton einerseits, dem Ausländeranteil anderseits zeigt das, was die Sozialwissenschaften schon lange wissen: Wo der Ausländeranteil tief ist, ist auch ihre Ablehnung am stärksten. Wer nie mit AusländerInnen zu tun gehabt hat, reagiert am negativsten auf ihr Bild, das Kampagnen zeichnen. Wo er überdurchschnittlich ist, hat man gelernt, mit den Veränderungen vorzugehen, sieht Vor- und Nachteile und stimmt deswegen nicht isolationistischer. Das gilt eigentlich flächendeckend für die ganze deutschsprachige Schweiz, wo die Kampagnen regelmässig das Gegenteil behaupten. Daran sollte man sich ein ander Mal rechtzeitig erinnern. Und noch eines: Nicht einmal in Zürich, wo die Immigration von Deutschen am grössten ist, hat die Ablehnung der Personenfreizügigkeit nicht zugenommen, nein, sie ist zurückgegangen.

15 20
Die Beteiligung an der Abstimmung ist unverändert ein Thema im Studio. Ein Produkt der Schlussmobilisierung? Ich neige dazu. Warum? Die individualisierte Videobotschaft der BefürworterInnen, die vor 14 Tagen lanciert worden ist, könnte ihre Wirkungen gehabt haben. Entlehnt war sie aus dem Obama-Wahlkampf im November 08, denn auch da setzte man auf Erfolg durch Mobilisierung. Hat die Schweiz hier nicht nur ein Novum erlebt, sondern auch eine entscheidende Auswirkung auf das Abstimmungsresultat gesehen. Rund 400’000 versandte Aufforderungen zur Beteiligung in gut 10 Tagen sind schon ein starkes Indiz.

14 45
AP und SDA vermelden das vorläufige Endergebnis der Volksabstimmung über die Personenfreizügigkeit: 59,6 Prozent Ja, 40,4 Prozent Nein. Der verbindliche Wert für die Stimmbeteiligung liegt noch nicht vor; in der Hochrechnung liegen wir bei knapp 52 Prozent.

14 30
Kleine Verschnaufpause, Suppe mit Wurst, und ein wenig Süsses darüber hinaus. Das gibt Zeit, um nachzudenken. Was ist Fakt? Hier eine Zusammenfassung:

. Die Schweiz sagt in einer Volksabstimmung Ja zur Personenfreizügigkeit. Damit wird diese 7 Jahren nach ihrer provisorischen Einführung definitiv verlängert, und die Personenfreizügigkeit wird auf die neuen EU-Mitglieder Rumänien und Bulgarien ausgedehnt.
. Erneut bestätigt die Schweiz damit den Bilateralen Weg, den sie selber gefordert und den die EU akzeptiert hatte. Das ist nach 2000 mit überwältigenden Ja und den Abstimmunngen 2005 und 2006 mit recht knappen Zustimmungsraten die fünfte Zustimmung in einer Volksabstimmung. Die Anteile sind seit 2005 schwankend, aber nicht, wie man erwartet hatte sukkzesive abnehmend.
. Die Zustimmung zur Personenfreizügigkeit 2009 ist höher als 2005. Damit hat niemand gerechnet. Vielleicht müssen wir umlernen: In wirtschaftlichen Krisenzeiten setzt man nicht mehr auf mehr Schweizer statt Ausländer, wie das die nationalkonservative Opposition will. Vielmehr ist man gegen Experimente bei den bewährten Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und der EU, unserem wichtigsten Handelspartner.

14 10
Die Zustimmung zur Personenfreizügigkeit ist 2009 höher als 2005. Der Wandel ist mit Ausnahme des Tessins fast flächendeckend. In der deutschsprachigen Schweiz zeichnet sich ein bemerkenswerter Wandel: Auch in der Zentralschweiz stimmen Mehrheiten in Ob- und Nidwalden zu, und auch im Kanton Uri ist der Ja-Anteil kräftig gewachsen. Es bleibt das Nein in Schwyz und, recht knapp, in Glarus. Appenzell Innerrhoden kommt noch dazu.

13 45
Die Hochrechnung ist klar: 59 Prozent Ja zur Personenfreizügigkeit. Die Schätzung zur Mobilisierung liegt bei gut der Hälfte. Die Beteiligung und die Zustimmung waren damit höher, als in der letzten Umfrage. Das spricht dafür, dass es zu einer kräftigen Schlussmobilisierung gekommen ist, bei der die Ja-Seite klar besser gewirkt hat als das Nein-Komitee. Man kann das auch so deuten: Die Ambivalenz, die im Abstimmungskampf deutlich sichtbar wurde, ist am Schluss in eine recht klare Entscheidung zugunsten der Bilateralen, der Personenfreizügigkeit und der damit verbundenen Unterstützung für die Wirtschaft gekippt. “Jetzt erst recht den eingeschlagenen Weg fortsetzen”, dürfte die Stimmung angesichts drohender Krise am besten treffen.

13 10
Eine ereignisreiche Stunde liegt hinter uns. Klar ist, dass die Schweiz der verlängerten und erweiterten Personenfreizügigkeit zustimmt. Der Anteil-Anteil wird gemäss Trendrechnung über 55 und unter 60 Prozent liegen. Er dürfte auch höher sein als 2005. Die Zustimmung ist in der Romandie sehr deutlich, wohl flächendeckend. In der italienischesprachigen Schweiz ist es Nein, im Verhältnis zwei zu eins. In der deutschsprachigen zeichent sich eine mehrheitliche Zustimmung vor allem im Mittelland ab, während in der Zentralschweiz und wohl auch in der Ostschweiz einige Kantone ablehnend sein werden.

12 10
Für die Hochrechnung ist das technisch gesprochen die entscheidende Phase. Denn jetzt treffen schnell viele Ergebnisse ein. Wir können sie mir der Erwartung vergleichen. Diese basiert in erster Linie auf der Abstimmung zur Personenfreizügigkeit von 2005. Das Muster stimmt in den 13 Kantonen, in denen wir bereits Aussagen machen können. Wir entscheiden, unverändert danach zu arbeiten. Eine direkte Aussage über die Zustimmungshöhe ist das noch nicht, aber eine über die räumliche Verteilung. Ich bin froh, denn jetzt zeigt unser Check, dass die Vorbereitungen grundsätzlich stimmten.

11 55
Der erste Kurzeinsatz steht bevor. Die zentrale Frage ist: Ziehen die SchweizerInnen, wie es die SVP will, die Notbremse, indem sie die Personenfreizügigkeit kippen, oder wollen sie keine verunsichernden Einschränkungen für die angeschlagene Wirtschaft, wie es SP, CVP, FDP und BDP empfehlen? Wir werden es bald sehen.

11 30
Alle sind auf ihren Posten. Die Tagesschau hat geprobt, das Abstimmungsstudio ist bereit, und die HochrechnerInnen sind bereits am Arbeiten. Die Ergebnisse aus den Gemeinden, die um 10 Uhr schliessen, treffen ein. Bis 12 Uhr herrscht aber totale Informationssperre. Durchgespielt werden die Szenarien: “leichter Ja-Trend” bedeutet, es gibt 55 Prozent Zustimmung; “leichter Nein-Trend” meint, wir rechnen mit 55 Prozent Ablehnung. Alles dazwischen wird in der Trendrechnung mit “keine Trend-Aussage möglich” kommuniziert.

11 00
Maske ist angesagt. Langes Wandern durch die Gänge des Fernsehstudios. Mein Gesicht wirke etwas fahl, heisst es. Stirn, Backen und Augenbrauen bekommen Farbe. Heute soll es konturenhaft zu und her gehen. Im Hintergrund läuft der Hauskanal von SF. Man kann die Stimmung im “Haus zur Freiheit” in Ebnat-Kappel, wo SVP-Präsident Toni Brunner sitzen wird, erahnen. Sie wirkt mindestens so fahl wie mein Gesicht, – vor der Schminke. Gut, im Restaurant in der Ostschweiz hat es auch noch kaum Leute; das wird sich schon noch ändern.

10 00
Das Hochrechnungsteam von gfs.bern trifft im Studio Leutschenbach ein. Die letzten Vorbereitungen im Studio 8 können beginnen. Computer hochfahren, Kabel prüfen, News-Lage checken. Vor den Studios rauchen die Zigaretten der RaucherInnen. Das Notfall-Szenario wird noch heftig besprochen, sollte es ein Nein geben. Denn allgemein glaubt mann/frau in der Redaktion, es werde ein Ja geben.

Ich montiere meine Fliege. Hell ist sie heute. Denn hell ist freundlich!

Berichte von den Abstimmungsfesten:
Befürwortende Jung-Parteien

Live-Blogs von früheren Abstimmungen:
11. März 2007
26. Mai 2006

Der Prozess der Resultatermittlung bei der Personenfreizügigkeit

Die Börse zur Personenfreizügigkeit, aufgeschaltet auf der Webseite von SF, schliesst am Morgen des heutigen Abstimmungssonntages im Verhältnis von 52,8 zu 47,2. Damit rechnen die Händler, die sich an der kollektiven Wette beteiligt haben, mit einer recht knappen Zustimmung zur Personenfreizügigkeit in der Abstimmung. Das ist die letzte Annahme zur Volksentscheidung, bevor die Hochrechnung von heute nachmittag erstmals etwas über Ergebnisse bekannt geben wird.


Die Abstimmungskarte heute morgen auf www.tagesanzeiger.ch: mit Sicherheit nur ein Fake und kein Ergebnis

Wahlbörsen unterscheiden sich in dreierlei Hinischt von Befragungen der StimmbürgerInnen. Sie handeln mit Aktien, deren Kurswert angibt, was man für einen Ausgang erwartet. Der Aktienwert, der sich mit der Zeit meist einpendelt, gibt die mittlere Erwartung an. Die Teilnahme ist offen; wenn die Zahl der Teilnehmenden gross genug ist, und wenn die Wette lang genug läuft, mittet sich die kollektive Annahme meist ein.

Repräsentativ-Befragungen wiederum basieren auf einer systematischen Auswahl unter den Stimmberechtigten resp. der teilnahmewilligen BürgerInnen. Sie ermitteln per Interview die individuellen Stimmabsichten, die dann aggregiert eine Aussage über das voraussichtliche Ergebnis insgesamt und nach Merkmalsgruppen wie Parteibindung, Schicht oder Sprache zulässt.

Da Aussagen in Wahlbörsen anders als in Wahl- oder Abstimmungsbefragungen nicht auf einer repräsentiven Stichprobe von InformantInnen basieren, kann man hier auch keine Fehlerquoten angeben. Bei der erwähnten Abstimmungsbefragung betrug diese gerundet maximal +/- 3 Prozentpunkte.

Befragungen vor Abstimmungen müssen in der Schweiz 10 Tage vor dem entscheidenden Sonntag publiziert sein. Mit anderen Worten: Sie werden in der Regel in der 3. Woche vor dem Abstimmungssonntag letztmals aufdatiert. So reflektiert die letzte veröffentlichte Umfrage zur Personenfreizügigkeit, welche die SRG publiziert hat (50% bestimmt oder eher Ja, 43 % bestimmt oder eher Nein; 7 Prozent unentscheidene unter den Teilnahmewilligen), die Entwicklungen der Meinungsbildung in den letzten Tage nicht.

Befragungen und Wahlbörsen ermitteln aber keine Ergebnisse. Sie sind Bestandesaufnahmen (Befragungen) resp. Prognosen (Börsen). Ergebnisse gibt es erst, wenn fertig abgestimmt und gezählt worden ist.

Um 14 Uhr erscheint in den SRG-Medien die Hochrechnung zur Personenfreizügigkeit. Ausser das Ergebnis falle ganz knapp aus, weiss man dann, wie sich die Schweiz entschieden hat. Das provorische Endergebnis verkündet die Bundeskanzlei heute Abend um zirka 17 Uhr; dann nimmt auch der Bundesrat zum Ausgang der Entscheidung Stellung. Das definitive Endergebnis wird in zirka 6 Wochen im Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft erscheinen.

Claude Longchamp

Die Schlussappelle zur Entscheidung über die Personenfreizügigkeit

Morgen 8. Februar 2009 fällt die Entscheidung über die Verlängerung und Erweiterung der Personenfreizügigkeit. Heute ist denn auch der Tag der letzten Aufrufe auf Pro- und Contra-Seite im auslaufenden Abstimmungskampf.


Mit seiner Medienmitteilung zur aktuellen Arbeitslosigkeit in der Schweiz focussierte das Seco die Debatte zur Personenfreizügigkeit auf einen der kontroversesten Punkte in den Einschätzungen der Personenfreizügigkeit

Zwei Tage vor dem Abstimmungstermin präsentierte das Seco die neuesten Zahlen zur Arbeitslosigkeit. 128’430 Personen sind demnach unfreiwillig ohne Arbeit. Das sind 9668 Personen mehr als vor einem Monat. Die Arbeitslosenquote stieg im Januar 2009 um 0,3 Prozentpunkte auf 3,3 Prozent. Zugenommen hat auch die Kurzarbeit, sowohl bei der Zahl der Betriebe wie auch bei der Zahl der Personen.

In den gestern publizierten Schlussappellen des Ja- wie des Nein-Komitees zur Personenfreizügigkeit dominiert denn auch die aktuelle Wirtschaftslage als Begrüdung. Die Schlüsse, die gezogen werden, sind indessen konträr:

Die Ja-Seite: “Gerade in konjunkturell schwierigen Zeiten wäre es verheerend, zusätzliche Unsicherheit zu schaffen und so eine Verlagerung von Investitionen und Arbeitsplätzen in das Ausland zu begünstigen.

Die Nein-Seite: “Es zeigt sich schon jetzt, dass die Sozialwerke kaum mehr zu finanzieren sind, da arbeitslos werdende ausländische Arbeitnehmer keinen Anreiz haben, in ihr Heimatland zurückzukehren.”

Die momentane Befindlichkeit bestimmt damit hüben wie drüben die unmittelbare Optik auf die Personenfreizügigkeit. Immerhin, die Ja-Seite relativiert: Weit über 200‘000 neue Arbeitsplätze seien wegen der Personenfreizügigkeit entstanden. Die Bilateralen garantierten der Schweiz politische Unabhängigkeit bei wirtschaftlich weitgehend gleichberechtigten Zugang zum wichtigsten Exportmärkten. Dieser einzigartige Weg sei für die Schweiz der Richtige.

Derweil legt die Nein-Seite Wert auf die Aufteilung der Arbeitslosigkeit nach In- und Ausländern. Bei jenen betrage sie bereits heute 6,6 Prozent. Insbesondere bei den Personen aus Deutschland und Portugal, den Ländern mit der höchsten Zuwanderung aufgrund des freien Personenverkehrs sei, es zu einer eigentlichen Explosion der Arbeitslosenzahlen gekommen.

Die BefürworterInnen erinnern zudem, dass wir bereits vier Mal über die Bilateralen in Volksabstimmungen entschieden hätten. Wir sollten auf das fünfte Mal zustimmen. Demgegenüber halten die GegnerInnen in düsteren Farben fest, nur mit einem Nein zur Personenfreizügigkeit könne man endlich die Notbremse ziehen.

Claude Longchamp

“Das Internet birgt Gefahren für die Politik.”

Unbescheiden ist Markus Gäthke nicht. In seiner Video-Botschaft, mit der er sich erstmals direkt zur “Einreiseberatungsseite” www.come-to-switzerland.com äusserte, die in der Schlussphase des Abstimmungskampfes zur Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der Europäischen Union für Furore sorgte, meinte er, seine “Studie” habe wohl Mediengeschichte geschrieben, denn sie zeige exemplarisch, wie einfach es sei, in der Schweiz Medienaufmerksamkeit zu erringen.


Quelle: Youtube

Seine Website übertitelt er neuerdings mit “Achtung Satire”, um umgehend zu behaupten, es folge die ganze Wahrheit. Und der Haftungsausschluss bleibt unverändert bestehen.

In der abgelesenen Botschaft hält er fest, er sei weder von Abstimmungsbefürwortern noch von Abstimmungsgegnern mit der Erstellung dieser Website beauftragt worden. Es steckten auch keine wie auch immer gearteten politischen Gruppierungen aus Deutschland dahinter. Er habe damit gerechnet, dass einige Foren im Vorfeld mehr oder weniger heiss darüber diskutieren würden, nicht jedoch, dass sich nahezu die gesamte Schweizer Presse wie ein Schwarm hungriger Geier auf diese an sich harmlose kleine Website stürzen würde und sie durch Inserate der Befürworter der Personenfreizügigkeit zum Politikum ersten Ranges aufsteigen würde. Bei der Firma Chamäleon Media GmbH, einem Ex-Auftraggeber von Gäthke, die dadurch unglücklicherweise in Verbindung gebracht wurde entschuldigte er sich ausdrücklich.

Der Tages-Anzeiger, der die mediale Kampagne in erster Linie führte, hielt in einem Leitartikel, der unmittelbar vor dem Outing publiziert worden ist, als Uebersicht über die Learnings aus der entfachten Diskussion sieben Thesen fest:

“1. Die Seite www.come-to-switzerland.com, auf welche diverse SVP-Politiker aufmerksam machten, ist nicht seriös.

2. Die Seite richtete sich nicht, wie vorgegaukelt, an deutsche Arbeitslose, sondern an Schweizer Stimmbürger.

3. Der Betreiber der dubiosen Webseite hat nachweisbar eng mit einem Geschäftspartner von Lukas Reimann zusammengearbeitet.

4. Reimanns Geschäftspartner arbeitet mit fragwürdigen Methoden.

5. Economiesuisse greift Reimann an, ohne Beweise vorzulegen.

6. Das Internet birgt Gefahren für die Politik.

7. Die Diskussion um die Homepage und ihre Hintermänner lenkt vom zentralen Punkt ab.”

Iwan Städler, Inland-Chef des Tages-Anzeigers, hält den Volksentscheid zur Personenfreizügigkeit für die Schweiz für wichtig. Ueber die Website von Markus Gäthke, werde man, anders als der Autor glaubt, bald nicht mehr sprechen.

Immerhin hält der Kommentar fest: “Die Politik lebt davon, dass mit offenem Visier über Realitäten gestritten wird. Mit dem Internet ist es nun aber möglich, virtuell und anonym «Fakten» zu produzieren, die man anschliessend real bekämpfen kann. Das ist Gift für die Demokratie.”

Genau darüber, füge ich bei, wird man sich angesichts der drastisch sichtbar gewordenen Veränderungen in der Kampagnenkommunikation nach der Abstimmung vertieft Gedanken machen müssen.

Claude Longchamp

EU-Mitgliedschaft und Nicht-Mitgliedschaft im Experiment

Mit der EU-Mitgliedschaft kann man nicht experimentieren. Entweder ist man dabei, oder man ist nicht nicht dabei. Das ist so. Wenn man dabei ist, hat man EU-Recht zu übernehmen, wenn nicht, bleibt man auch in dieser Hinsicht unberührt. Nicht-Mitglieder wie die Schweiz sind anders als die 27 Mitglieder der EU souverän. Das glaubt man wenigstens zu wissen.


Nicht-Miglied ist die Schweiz in der EU; doch wirken sich die Bilateralen anders aus als eine Mitgliedschaft?, fragt der Genfer Politikwissenschafter Ali Arbia

Die gerade auch in der Schweiz populäre Annahme hat der Genfer Politikwissenschafter und Blogger (“zoonpolitikon”, mit k, nicht mit c wie bei mir) einer interessanten Prüfung unterzogen. Er wollte wissen, wie viel von der nationalen Gesetzgebung durch die EU beeinflusst wird, – bei Mitgliedern wie Nicht-Mitgliedern.

Untersucht hat er die Gesetzgebung in der Schweiz und in Oesterreich. Beide Länder haben eine ähnliche geografische Lage, und sie sind vergleichbar gross. Doch Oesterreich ist EU-Mitglied, die Schweiz nicht. Analysiert wurde, was in den 10 Jahren 1995 bis 2006 durch beide Parlamente ging resp. 200 zufällig ausgewählte Gesetze davon. Eingeteilt wurden die Enscheidungen in der Gruppen:

. direkt durch Anstoss der EU Gesetzgebung geschaffene Gesetze (‘High’),
. Gesetze, die nicht von der EU ausgelöst wurden, deren Inhalte aber von ihr beeinflusst wurde (‘Medium’) und
. Gesetze die keinen direkten Zusammenhang mit EU Recht aufweisen (‘Low’).

Das Ergebnis verblüfft: Die Verteilung für beide Länder ist ausgesprochen ähnlich. Etwa die Hälfte der nationalen Gesetze ist vom EU-Recht sowohl in Oesterreich wie auch in der Schweiz nicht betroffen. Die andere Hälfte wird angesprochen, wobei die Verteilung leicht divergiert: Österreich übernimmt etwas mehr Gesetze direkt von der EU als die Schweiz. Deren Gesetzgebung darüber hinaus wiederum wird indirekt stärker beeinlfusst als das in Oesterreich der Fall ist.

Der Autor der Studie vermutet vor allem politische Gründe hinter dem beobachteten Phänomen. In der Schweiz sei es oft besser, eine Gesetzesvorlage nicht als von der EU her kommend darzustellen. In Österreich hingegen können Politiker mit genau diesem Argument unter Umständen einfacher vorgeben, dass ihnen die Hände gebunden seien.

Viel wesentlicher ist aus meiner Sicht, dass die Mitgliedschaft/Nicht-Mitgliedschaft, mit der hier ein Quasi-Experiment durchgeführt wurde, quantitativ nicht viel zur Erklärung der effektiven nationalen Gesetzgebung beiträgt. Der Anteil autonomer Gesetzgebungen ist vergleichbar, jener der beeinflussten ebenfalls. Im einen Fall mag man Vollzugsdefizite vorschieben, im andern aber die indirekte Wirkung der Bilateralen sehen. Im Endeffekt unterscheidet sich beides beschränkt im Grad der Uebernahme, und, was hier nicht untersucht worden ist, allenfalls in der Qualität des Gesetzestransfers.

Ali Arbia selber hält eine weitere Schlussfolgerung für noch wichtiger: “Der Hauptunterschied ist (…), dass wir Helveter auf ein Mitentscheidungsrecht verzichten.” Die Schweiz ist nicht Mitglied, vollzieht aber auch keinen Alleingang. Sie kooperiert im Rahmen der Bilateralen mit der EU in einen leicht tieferen Masse als ein Mitglied, füge ich bei.

Claude Longchamp

“Bilaterale am Arsch”

Wenn es um den entscheidenden Meinungsumschwung bei der anstehenden Volksabstimmung zur Personenfreizügigkeit geht, schenken sich Befürworter und Gegnern nichts. Ein kleiner Streifzug durch das polit-medizinische Vokublar der Kampagnen dieser Woche.


Schlussmobilisierung der Jungparteien für die Personenfreizügigkeit

Mit europablauen Überzügen schützen die befürwortenden Jungparteien den Sattel abgestellter Fahhrräder in deutschschweizer Städten. Die Aufschrift darauf soll ganz bewusst provozieren: «Auch dein Arsch ist bilateral. Schützen wir ihn.»

Gestartet wurde die Aktion von dabei-bleiben.ch. Zielgruppe: junge, urbane StimmbürgerInnen – nicht selten betroiffen von Abstimmung, meist aber gleichgültig hinsichtlich der Teilnahme. Deshalb, begründet Kampagnenleiter Nicola Forster von der Nebs, sei die Wortwahl “jugendlich-frisch” ausgefallen. 5000 VelofahrerInnen sollen dieser in den Genuss eines blauen Schutzes kommen, insbesondere dann, wenn sie ihr Fahrrad in der Nähe einer Hochschule parkiert haben.


Peter Spuhler, SVP-Nationalrat aus dem Thurgau (Pro) in diesen Tagen besonders scharf im Blick-Visier von SVP-Vizepräsident Christiph Blocher (Kontra) (Bild Keystone)

Auch wenn der thematische Schlagabtausch gegenwärtig durch die Bonus-Debatte bei der UBS überlagert wird, ziehen sich die Abstimmungskämpfe diesmal deutlich bis in die Schlusswoche.

So ist SVP-Vizepräsident Christoph Blocher bestrebt, verlorene Stimmen zurückzugewinnen. Die Thurgauer Kantonalpartei beschloss nämlich in Abweichung zur Mutterpartei die Personenfreizügigkeit zu unterstützen. In Anspielung auf den parteiinternen Kontrahenten Peter Spuhler, der das befürwortende SVP-Komitee mit 24 ParlamentarierInnen anführt, meint Blocher in der heutigen Thurgauer Zeitung, es gäbe auch in der SVP “faule Nester” und nicht nur “Leute mit Rückgrat”.

Womit die polit-medizinische Weiterbildung in die letzte Runde geht, hüben wie drüben!

Claude Longchamp

Wi(e)der die unglaubliche Arroganz unter Partnern

Die aktuelle Ausgabe der deutschen Wochenzeitung “Die Zeit” provoziert die Schweiz. Den Gegnern der Bilaterale ist das Recht. Die Befürworter sind schockiert. Eine Auslegeordnung, warum Polarisierungen hüben wie drüben keine Basis für Partnerschaften sind.


Eine Woche vor der Abstimmung in der Schweiz liegen die Nerven blank. Doch in Partnerschaften empfiehlt es sich, sich wechselseitig nicht zu provozieren, bis die Fronten verhärtet sind.

Herausgefordertes Deutschland
Seinen bisher grössten Moment hatte der Deutsche Jorgo Chatzimarkakis, als er im September 2007 seine FDP zur bundesweiten Fusion mit den Grünen aufrief, um eine starke ökoliberale Mitte zu bilden und so die Polarisierung der nationalen Politik zwischen links und rechts zu überwinden. Selber lebt der Politiker diese Verbindung schon, wenn er als Mitglied des Europaparlamentes in Brüssel ist. Dann wohnt “Chatzi”, wie er sich selber gerne nennt, nämlich mit Cem Oezdemir, dem EU-Parlamentarier der Grünen in einer WG. Das ist nicht ohne, denn Chatzimarkakis ist griechischstämmig, während Oezdemir von türkischer Herkunft ist, denn das ist genau das, was man in Brüssel von Zypern erwartet: zusammen zu arbeiten!

Weniger gut klappt die Verständigungsarbeit allerdings, wenn Chatzimarkakis auf die Schweiz angesprochen wird. Da kritisiert der promovierte Agrar- und Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Europarecht die Schweiz in der aktuelle Zeit heftig: »Ich habe hohen Respekt vor der Schweizer Demokratie. Aber ich habe demokratietheoretisch langsam ein Problem damit, dass schon wieder eine kleine Minderheit 490 Millionen Europäer aufhalten können soll.« Und dann kommt’s faustdick: »Die unglaubliche Arroganz muss jetzt mal ein Ende haben! Die Schweiz wäre längst ein rückständiger Fleck in Europa, wenn sie nicht ihr wunderbares Bankensystem hätte und ihre tollen Ausnahmeregelungen. (…) Wer, bitte, legt denn das ganze Geld da drüben an? Die Schweizer müssen wissen: Sie schaden sich selbst mehr als uns, wenn sie am 8. Februar Nein sagen.«

Politik und Wirtschaft parallel entwickeln
Gerade demokratietheoretisch ist die EU, muss man entgegnen, kein Vorbild. Sie ist aus keiner Revolution hervorgegangen, die neues Verfassungsrecht geschaffen hätte, das nun im Sinne der Demokratie gelebt würde. Vielmehr ist sie aus der schlichten Notwendigkeit heraus entstanden, nach den Kriegen weiteres Blutvergiessen mitten in Europa zu vermeiden. Dabei setzten die Gründungsväter der EU auf die Hoffnung, gemeinsame Industrien und gemeinsmer Handel schafften grenzüberschreitende Verständigung.

Daraus ist zwischenzeitlich zwar mehr als eine reine Koordination von Wirtschaftspolitiken durch die EWG entstanden, wohl aber kein austarierter gesamteuropäischer Staat. Unionsbürgerschaft und gemeinsame Wahlen können nicht darüber hinweg täuschen, dass die EU vom Europäischen Rat dominiert und von der Kommission geführt wird. Weit fortgeschritten ist insbesondere der Demokratisierungsprozess des exekutiven Apparates nicht, sodass man die EU besser an wirtschaftlich-pragmatischen Kriterien misst als anhand demokratie-theoretischer.

Wenn schon, müsste man als Politikwissenschafter mit Schweizer Hintergrund einwerfen, dürfte sich diese nicht auf Institutionen der Volksrepräsentation beschränken, sondern auch deren Erweiterung durch direktdemokratische Instrumente in Betracht ziehen. Mit diesen macht die EU erst zögerlich Bekanntschaft. Ein Teil aus Politik und Administration sieht in der erhöhten Involvierung der BürgerInnen durchaus die Chance erhöhter Legitimation. Er ist deshalb bereit, auf BürgerInnen-Partizipation zwischen BürgerInnen-Foren und Volksentscheidungen einzugehen. Ein anderer Teil begreift das alles nur als lästige Blockierungen, die partikuläre Interessendurchsetzung zulasten einer einheitlichen Politik fördere.

Die Schweiz sollte man in dieser Debatte weder über- noch unterschätzen, ist meine Antwort. Unterschätzen würde man sie mit ihrer reichhaltigen Erfahrung gerade mit der BürgerInnen-Beteiligungen im politischen Willensbildungsprozess, wenn diese nicht partnerschaftlich in den EU-Aufbauprozess einfliessen würde. Ueberschätzten würde man sie aber, glaubte man, ihr spezifisch gewachsenes Entscheidungssystem sei das einzig Wahre für Politik und Wirtschaft.

Die Arroganz hüben und drüben abbauen
Hinter beiden Positionen steckt eine unglaubliche Arroganz im politisch-kulturellen Sinne. Denn die EU braucht dringend Demokratisierungen ihres technokratischen Selbstverständnisses von Politikgestaltung. Die jüngsten Ablehnungen von grundlegenden Verfassungsentwürfen in Frankreich, den Niederlanden und in Irland zeigen, wie verbreitet die Distanz der Herrschenden zu den Menschen ist. Ganz zu schweigen, dass es auch Bedenken auf Verfassungsebene in Deutschland gibt und sich selbst Regierungen in Polen und Tschechien sträuben, wenn die Perspektive von unten in der Willensbildung vernachlässigt wird. Das alles gilt, selbst wenn es kaum ernsthafte Kritiken an den wirtschaftlichen Vorteilen des EU-Projektes gibt.

Umgekehrt braucht die Schweiz dringend mehr Spiegelungen ihres demokratischen Selbstverständnisses. Entscheidungen, die man einmal getroffen hat, sind verbindlich, – gerade um wirtschaftlich kalkulierbare Verhältnisse zu sichern. So gut die Schweiz in innenpolitischen Themen damit gefahren ist, dass man Alles und Jedes immer und wieder in Frage darf, so problematisch ist das, wenn es um wrtschaftspolitische Partnerschaften mit Dritten geht. Denn die Verbindlichkeit von Zusagen auf der einen Seite wird im internationalen Austauschprozess in der Regel durch Unverbindlichkeiten von Zusagen auf der anderen Seite gekontert. Das Klima des Misstrauens, das sich so hochschaukelt, ist keine Basis für dauerhafte Kooperation über Grenzen hinweg. Vielmehr nährt sie die Polarisierung, wie wir es gegenwärtig erleben.

Herausgeforderte Schweiz
Ein “Ja” zur Personenfreizügigkeit gäbe es nur, forderte alt-Bundesrat Christoph Blocher an der Albisgüetli-Tagung 2008 seiner SVP, wenn die EU darauf verzichte, weitere Forderungen zum Bankgeheimnis zu stellen. Wer glaubt, als Oppositionsführer unrealistische Bedingungen zu Abschlüssen stellen zu müssen, kriegt diese mit voller Wucht zurück, denn das Echo Deutschlands an die Adresse der Schweiz lautet heute: Personenfreizügigkeit “Ja”, wenn ihr die Privilegien für Euer Bankensystem weiter wollt.

Jorgo Chatzimarkakis will mit seiner ökoliberalen Idee die blockierende Polarisierung im bundesdeutschen Parteiensystem verhindern. Gut so!, sag ich. Wer Verantwortung für Politik und Wirtschaft übernehmen will, muss aber auch Polarisierungen zwischen Partnern abbauen helfen, füge ich an die Adresse Aller Beteiligter bei.

Claude Longchamp