Wahlforschung live: Das ist beispielsweise, sich mit der Frage herumschlagen, ob Schönheit Wahlerfolge bringe. Hier meine Einleitung zur neunten Züricher Vorlesung Wahlforschung in Theorie und Praxis, die eine Antwort sucht.
Entscheidet Schönheit Wahlen? – “Ja”, sagt Georg Lutz, Projektleiter der Schweizer Wahlstudie “Selects”. Gewählt werde Attraktivität, insbesondere des Gesichts eines Menschen, wie es sich auf Plakaten und Prospekten präsentiere.
Das Ergebnis ist für Wahlen in der Mediengesellschaft typisch. Die wichtigste These, die wir hierzu kennen gelernt haben, lautet: Die Logik des Politischen wird durch die Logik des Medialen überlagert.
Das hier angeschnittene Thema wird spätestens seit dem Wahlsieg von John F. Kennedy im Jahre 1960 erörtert. 112’000 gaben damals den Ausschlag. 2 Millionen sollen sich durch die TV-Duelle umentschieden habe. Seither schiessen Spekulationen aller Art über Medieneinflüsse auf Wahlen ins Kraut.
Die Attraktivitätsforschung zeigt regelmässig Zusammenhänge zu Wahlentscheidungen auf, ohne jedoch konstante Befunde auszuweisen. Zwei Themen sind erwähnenswert: Einmal die Aussage, welches Geschlecht von der Attraktivität profitiere; in den 70er Jahren waren es Männer, die dank Aussehen kompetenter wirkten, während seit den 90er Jahren eher gutaussehende Frauen bevorteilt ersheinen. Sodann die Aussage zum Alter: Die Reife im Gesicht ist ebenso ein Thema der Forschung, während heute, glauben wir der Schweizer Studie, Jugendlichkeit mehr zählt.
Das Ganze erinnert zwischenzeitlich ein wenig an Beauty-Contests. Für Politik bei Wahlen scheint sich die Forschung nicht mehr zu interessieren. Mehr zählt, wie die Vermittlung verläuft. Dabei sind Pferderennen, die Spannung erzeugt, nicht mehr zeitgemäss. Es macht den Anschein, dass Miss- und Misterwahlen stilbildend wirken. Wichtiger, so die Message bis in die Forschung, ist der Körper die Botschafter. Einen Vorgeschmack hierzu hatten wir ja 2007 schon mit der Unterwäschewerbung der Migros, für die Nationalratskandidaten posierten. Und neuer Tiefpunkt in dieser Entwicklung ist der geplante Auftritt zweier FDP-Frauen bei den Grossratswahlen unter dem Slogan: “4 Brüste für ein Halleluja”.
Doch was hat das mit Wahlprognosen zu tun? – Interessanterweise wollte auch ich die heutige Veranstaltung mit einer thematisch ähnlich gelagerten Studie beginnen, um ihnen das Potenzial von Persönlichkeitsmerkmalen bei der Prognose von Wahlergebnissen zu zeigen. Allerdings kommen die Prognose-Cracks, die ich zitieren will, zu ziemlich anderen Schlüssen als Experimentierer Lutz.
Seit 2004 läuft via Internet ein Forschungsprojekt zu neuartigen Prognoseverfahren, die bei der Wahl zwischen Obama und McCain unter dem Namen “PollyVote” für Furore sorgten. Die bisher letzte Weiterentwicklung davon heisst “PollyBio“, womit gezeigt wird, welche der biografischen Eigenschaften von KandidatInnen deren Wahlchance absolut und im Vergleich zum Herausforderer bestimmen.
Die Attraktivität des Gesichts kommt auch bei PollyBio vor – allerdings nur als einMerkmal von 49 denkbaren Möglichkeiten der Wahlerklärung. Und jetzt kommt der entscheidende Satz: Nach Scott Armstrong, dem Projektleiter, macht jegliche Konzentration auf einen der 49 Faktoren prognostisch keinen Sinn; vielmehr schlägt er vor: Man nehme jede halbwegs begründete Erklärung als Teilprognose und gewichte jede Teilprognose genau gleich. Je mehr Teilprognose man habe, desto sicherer werde die Gesamtprognose. In der Tat: In den Präsidentschaftswahlen seit 1900 ergibt dieses Verfahren in 25 von 28 US-Präsidentschaftswahlen die richtige Nachhersage. Die Trefferquote ist damit nahezu 90 Prozent. Und auf die Zukunft angewendet: 11 Begründungen sprechen für Palin, 20 für Obama. Das ist für Prognostiker Armstrong ein klarer Vorsprung für den jetzigen Präsidenten.
Gute Wahlprognosen bei ausgesprochenen Personenwahlen berücksichtigen demnach
erstens, ein Bündel politischer Karrieremerkmale,
zweitens, ein Bündel Eigenschaften zur schulischen und militärischen Karriere
drittens, ein Bündel Merkmale der familiären Verhältnisse,
viertens, ein Bündel biografische Angaben und
fünftens, ein Bündel diverses Eigenschaften.
Zu diesen zählt äusserliche Attraktivität als ein Punkt unter “ferner wirken”. Zu vergleichbaren Schlüssen kam 2007 eine Schweizer Studie aus der Sicht von Wahlkämpfen von Mark Balsiger. Gemäss ihm hänget der Wahlerfolg von Ankerfaktoren eines/einer BewerberIn in der Partei ab, während die Verpackung erst an vierter Stelle rangiert.
Karl Popper sagt: Was wir erklären können, können wir auch prognostizieren. Und was wir prognostizieren, haben wir nachweislich erklärt. Das entwickeltste Prognoseverfahren für Personenwahlen rät beim hier behandelten Thema indessen zu Vorsicht. Denn wahre Schönheit hat mit Einzigartigkeit zu tun, die wir aus der Liebe kennen. Ware Schönheit hingegen ist eines der gängigen Themen von Wahlen in der Mediengesellschaft.
So, und nun zum eigentlichen Vorlesungsstoff!
Claude Longchamp
Wahre Schönheit kommt von innen ….
Wie man ja auch bei Miss-Wahlen weiss, ist Schönheit relativ und subejktiv.
Leider ist es ja üblich, Frauen mit einem Adjektiv zum Aussehen kaltzustellen. Bei Rickli scheint dies kaum zu funktionieren.
Mir wäre es doch lieber, wenn Miss- und Mister Antikriminalität gewählt würden. Und da wird man nicht in der SVP fündig, weil diese Partei von den Problemen lebt, und deshalb kein ernsthaftes Interresse an Lösungen hat.
Typisch hierfür war auch die barsche Reaktion von Andrian Amstutz. Schon genug verärgert, stets als Richard Gere der Alpen vorgestellt zu werden, mochte er sich über seinen Platz im Schönheits-Ranking gar nicht freuen: Die Studie sei “dumm, teuer und falsch”, war sein ganzer Kommentar!
falsch war die Studie wohl nicht. Bei Miss- und Mister-Wahlen profitieren wenigstens noch ein paar Ausgewählte, (auch die alten geilen Säcke in der Juri, die hoffen, noch ein paar Brosamen aufsammeln zu können).
Wahrscheinlich bringen die Parlamentarier nicht genug Politisches zustande, um die Wähler damit zu beschäftigen.
[…] In der Schweiz wagte sich erst ein Politologe auf dieses Terrain: Georg Lutz von der Universität Lausanne. Er zeigte Versuchspersonen die Fotos von insgesamt 744 Politisierenden, die 2007 für den Nationalrat kandidierten. In seiner Untersuchung kommt Lutz zum Schluss, dass gut aussehende Kandidierende mehr Stimmen erhalten, was einen Teil ihres Wahlerfolgs erkläre. Diese Studie wurde verschiedentlich kritisiert, so etwa von Lutz’ Berufskollege Claude Longchamp. […]
[…] Studie wurde verschiedentlich kritisiert, so etwa von Lutz’ Berufskollege Claude Longchamp in einem Blog-Posting. […]