Die Negativspirale bei der Wahlbeteiligung

Die sechste Vorlesung beschäftigt sich mit der Wahlbeteiligung als politische Partizipation. In Demokratien wird das zum Problem, wenn sich ganze gesellschaftliche Gruppen von Wahlen abmelden.

Liberale Demokratietheorien haben sich kaum mit der Wahlbeteiligung auseinandergesetzt. Wichtig ist ihnen die Freiwilligkeit der Teilnahme. Theorien der sozialen Demokratie dagegen setzen auf eine starke Bürgerbeteiligung. Ohne das falle der grösste Vorteil der Demokratie weg, nämlich die Kontrolle der Herrschenden durch das breit zusammengesetzte wahlberechtigte Volk.

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Der US-Politologen Russell Dalton zeigt in seiner neuesten Studie eindrücklich, dass politische Partizipation immer schichtabhängig ist. Diese beeinflusse das politische Interesse, die Mediennutzung und die Parteiidentifikation. Diese müsse stets von Neuem geweckt werden.
Der deutsche Politikwissenschaftler Armin Schäfer argumentiert struktureller. Die tiefere Beteiligung der unteren Schichten sei eine Folge der Regierungspolitik, die einseitig auf die Interessen der oberen Schichten ausgerichtet sei. Sozialverträglichkeitsprüfungen von Regierungsentscheidungen seien nötig, um die Demokratie zu retten.

Global gesehen nimmt die Wahlteilnahme seit längerem ab. Allerdings gibt es eine wachsende Zahl nationaler und subnationaler Wahlen mit gegenteiliger Entwicklung. Der Grund liegt in der Re-Politisierung der Gesellschaft rund um neue Konfliktthemen und mediale Polarisierungen.
Das ist auch in der Schweiz so. Die unterschiedliche Wahlteilnahme nach sozialer Schichtzugehörigkeit ist hierzulande allerdings ein Tabu geblieben. Das ist eine unheilvolle Negativspirale: Wer keinen Einfluss hat, beteiligt sich nicht mehr demokratisch. Und wer sich nicht demokratisch beteiligt, verliert noch mehr an Einfluss.

Claude Longchamp