Studie der VoterStudyGroup 2017: Undemokratische Haltungen teilweise rückläufig, ideologische Polarisierungen aber entscheidend

2016, als der Wahlkampf zur US-Präsidentschaft seinem Höhepunkt zustrebt, überraschten die beiden Politikwissenschafter Roberto Foa und Yascha Mounk die Fachöffentlichkeit mit einem Aufsatz zur Dekonsolidierung etablierter Demokratien. Eine Serie von „World Value Studies“ legten nahe: Die Unterstützung nicht-demokratischer Regierungsweisen steige an, und gerade bei jungen Menschen nehme der Anteil ab, der unbedingt in einer Demokratie leben wolle.
Seither ist in der Demokratieforschung der Teufel los. Eine Reihe namhafter Politikprofessoren hat sich umgehend zum Thema angenommen, und zahlreiche Feuilletons haben sich in die entstandene Kontroverse eingebracht. Eine eindeutige Bilanz ist so nicht entstanden. 2017 nun haben zwei Organisation, die Demokratie empirisch untersuchen, neue Daten gesammelt: Pew Research Center in einer grossen Zahl Länder über den Globus verteilt, die „Voter Study Group“ für die USA. Sie kommen im Kern zu vergleichbaren Schlüssen: Mehrheiten in fast allen untersuchten Ländern befürworten Demokratie, sei sie repräsentativer oder direkter Art. Signifikante Minderheiten sind aber gegenüber nicht-demokratischen Regierungsweisen wie Führung durch einen starken Mann oder Militärdiktaturen offen.

Diese Woche ist die Publikation der US-Studie mit einigem Abstand zur Erhebung erfolgt. Die wichtigste gute Botschaft für die Demokratie besteht im Trend. Ganz offensichtlich wurde die recht konstante Entwicklung in den Jahre vor der US-Wahl seither mindestens teilweise gebrochen. So geht der Anteil zurück, der sich einen starken Mann an der Spitze des Staates wünscht. Unverändert zunehmend ist allerdings jedoch die Minderheit, die sich eine Militärdiktatur unter Ausschluss des Parlaments vorstellen kann. Nicht nachweislich ist zudem, dass die jüngsten Alterskohorten erneut am stärksten nichtdemokratischen Meinungen zeigen würden.

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Vordergründig könnte man meinen, dies würde die Alarmglocken aus dem Jahre 2016 verstummen lassen. Doch rütteln selbst die Autoren der neuen US-Studie auf, wenn auch mit differenzierteren Analysen. Zwei Sachen haben sie offensichtlich beunruhigt: Erstens, die Einstellung zur Demokratie ist nicht so konsistent, wie man sich das wünschen würde. Nur gut die Hälfte der rund 5000 Befragten Personen hat eine eindeutige Einstellung im demokratischen Sinne. 28 Prozent haben eine partiell undemokratische Gesinnung. Zweitens, es sind ideologische Merkmale, welche die Verteilung am besten beschreiben. Namentlich der starke Mann polarisiert zwischen Wählern der Republikaner resp. der Demokraten ebenso wie zwischen weltanschaulich Konservativen bzw. Liberalen. Am stärksten teilen die Meinung zum Islam. Je negativer diese sind, desto eher befürwortet man die starke, ordnende Hand in der US-Politik.

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Die neue Studie erscheint mir wertvoll, weil sie nicht nur Trends überprüft und Zusammenhänge aufzeigt, sondern auch Erklärungsansätze anbietet.
Zunächst die anhaltende Welle Immigranten, namentlich auch aus ethnischen und religiösen Minderheiten; damit wächst das Gefühl, einem unkontrollierbaren Prozess gegenüber zu stehen.
Sodann illiberale Populisten, die nicht nur vorgeben, die Lösung zu kennen, sondern entsprechende Stimmungen anheizen, um ihre Rezepte populärer zu machen.
Die Autoren glauben, diese seine Mechanismen, die an vielen Orten gelten. Drei Erklärungen zielen spezifischer auf die USA:
So nennen die Forscher das Zwei-Parteien-System, ideologisch sortiert und polarisiert, denn im direkten Wettbewerb um Macht würde der Respekt vor demokratischen Normen schneller schwinden
Erwähnt werden auch soziale Medien, welche Hass-Inhalten selbst extremistischer Art kaum Einhalt gebieten könnten.
Schliesslich kommt das Ausland zur Sprache, das an einer Polarisierung eines Rivalen auf diesem Weg interessiert sei; Einmischung mit dem Ziel der Schwächung ist das Stichwort.

Migration und soziale Medien sind in der Debatte zur Frage, wie schwach selbst etablierte Demokratien heute geworden sind, schon länger präsent. Sieht man sich die Kommentare der letzten Tage an, kann man einen recht hohen Konsens jenseits dieser beiden Ursachen erkennen. Die Ambivalenz zwischen demokratischen und autoritären Einstellungen, kombiniert mit der härter gewordenen politischen Polarisierung sind das eigentliche Hauptproblem – jedenfalls in den USA.
Eines ist mir bei der Lektüre der neue Studie allerdings aufgefallen: Der wirtschaftliche Hintergrund wird kaum erwähnt. Postindustrielle Umbrüche, Disruptionen durch Digitalisierung der Arbeitswelt und ähnliche Erklärungsansätze, die namentlich die Befindlichkeit einer Nation bestimmen, kommen kaum vor. Genau das könnte ein Grund sein, warum die Krisenbefunde 2011 etwas akzentuierter ausfielen als 2017. Jedenfalls war die ökonomische Lage kritischer, die diesbezügliche Stimmung auch. Das würde die Republikaner gerne hören, lieber jedenfalls, als die sich Meinungen ihrem Präsidenten gegenüber zum Vorteil für die Demokratie abkühlen.

Claude Longchamp