Wahlkampf in den Online-Medien

Das Projekt Chronik-ON des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Bern analysiert die Online-Berichterstattung in elektronischen Print- und sozialen Medien. Erste Resultate zeigen, dass die wahlkampfbezogene Berichterstattung steigt, prominente Personen der Parteien diesen helfen und Online-Medien vor allem den ereignishaften Wahlkampf verstärken.

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Intensitäten der Parteiberichterstattung gemäss dem neuen Forschungsprojekt “Chronik-ON” des Instituts für Politikwissenschaft an der Uni Bern

Seit Anfang Juni werden RSS-Feeds von über 60 Schweizer Online-Print- und sozialen Medien aus drei Sprachregionen gesammelt.Aehnlich wie die Nachrichtenticker liefern sie Titel und Textanrisse sowie Links zu Originalartikeln. Untersucht werden dabei sechs zentrale Wahlkampfthemen (EU, Migration, Energie und Umweltschutz, Verkehr, Steuern und Abgaben sowie Sozialwerke).

Die bisherige Auswertung (Kalenderwochen 24 bis 36) verdeutlicht den Trend zu stärkerer Parteiberichterstattung. Die Analyse bringt insbesondere drei erfolgreiche Muster der Berichterstattung zu Tage:

Erstens wird häufig über Parteihandlungen berichtet, wobei die Parteien die mediale Aufmerksamkeit mitbeeinflussen können. Ein solches Parteiereignis kann ein Wahlfest, ein Bundesratsrücktritt oder die Einreichung einer Initiative sein. Die Rücktrittserklärung von Micheline Calmy-Rey sowie die Einreichung der Cleantech-Initiative bescherte beispielsweise der SP in Kalenderwoche 36 hohe mediale Aufmerksamkeit.

Zweitens steigern Auftritte von Parteiexponenten wie Bundesräte oder Parteipräsidenten die mediale Aufmerksamkeit. Ob die Aushängeschilder dabei überlegt vorgehen oder sich eher ungeschickt verhalten spielt für die Medienpräsenz vorderhand keine Rolle. Die Ergebnisse von Chronik-ON zeigen beispielsweise eine überraschend hohe onlinemediale Präsenz des Freisinns, welche grösstenteils Fulvio Pelli zu verdanken ist.

Eine besondere Herausforderung ist drittens das Erzeugen von Ereignissen, die sich über längere Zeit in den Medien halten und Reaktionen von anderen politischen Akteuren provozieren. Letztere kommen einer Multiplikation des Medienechos gleich, von der insbesondere die provozierende Partei profitiert: Ohne ihr Zutun wird über sie berichtet. Auch Negativberichterstattung verhilft zu Medienaufmerksamkeit und mobilisiert – so das Kalkül – mindestens die eigene Wählerschaft.

Die verschiedenen Parteien sind in den drei Mustern unterschiedlich erfolgreich. Während kleinere Parteien kaum eigene Medienereignisse produzieren können, deckt die SVP alle drei Muster ab. Durch sehr rasche Reaktionen auf aktuelle Geschehnisse und provokative Zuspitzungen erreicht die Partei Reaktionen von allen Seiten. Zwar haben auch die SP und die FDP Strategien entwickelt, um in den Medien präsent zu sein, jedoch gelingt ihnen dies nicht im selben Ausmass wie der SVP.

Das Chronik-ON Projekt ist gegenüber dem einfachen Google-Rating, welche die Sonntagszeitung präsentiert, sicher ein Fortschritt. Nicht unproblematisch am neuen Projekt ist aber der Vorgriff, auf das, was Wahlkampf-Themen sind. So fehlt mit der “Starke Franken” als explizite Kategorie: Es fehlt die Offenheit gegenüber dem Unbekannten im Wahlkampf – was nachgerade sein konstitutives Element im Jahre 2011 geworden ist.

Claude Longchamp