Vom Versagen der öffentlichen Kommunikation und den Phänomenen hierfür

Zur Debatte gestellt wird mit den neuen Jahrbuch “Qualität der Medien” der Zustand der Infrastruktur der Demokratie. Darauf beziehen sich die Medien gerne, wenn sie ihre Bedeutung herausstreichen müssen, zeigen aber Mühe, den Zusammenhang anzuerkennen, wenn andere darüber kritisch sprechen. Der Start zur Debatte durch Medien, in Medien und über Medien ist gemacht.

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Bestelladresse des Jahrbuches “Medien und Qualität” hier.

Eines ist klar: Wenn Kurt Imhof im Nu das bis anhin öffentlich nicht bekannte Phänomen des Botellons mit einem Interview bekannt macht, in dem er sich selber leicht beschwippst von Frage zu Frage labbert und mit jeder Antwort das Thema genial trifft, dann klatschen die Medien einhellig und lautstark dem Star und den hiesigen Sozialwissenschaftern.

Wenn der gleiche Mediensoziologe indes genau diese Medien einer Qualitätskontrolle unterzieht, reagieren sie unterschiedlich irritiert: Im schlechtesten Fall schweigen sind, im Einzelfall diskreditieren sie seine Forschung ohne sie gesehen zu haben, und nur im guten Fall setzten sie sich mit der Medienkritik durch Aussenstehende auseinander.

Denn seit Beginn des 21. Jahrunderts ist es, ausgehend von den USA, üblich geworden, sozialwissenschaftlich angeleitete Qualitätsmessungen der Medienberichterstattung vorzunehmen, sie wissenschaftlich und öffentlich zu diskutieren. Zu dieser Kategorie Forschung zählt auch die erste Publikation des neuen Observatoriums “Medien und Qualität” des Forschungsbereich für Oeffentlichkeit und Gesellschaft an der Universität Zürich.

Im gestern erschienenen gleichnamigen Jahrbuch haben die versammelten MedienwissenschafterInnen ihre vorläufigen Einsichten in die Versorgung durch das Mediensystem Schweiz und in die qualitätsrelevanten Trends, die hierzu beobachtbar sind. Finanziert wurde das gross angelegte Unterfangen durch verschiedenen Stiftungen in der Schweiz, die meisten aus dem Bereich der Privatwirtschaft, teilweise auch mit gemeinnützigem Hintergrund.

Zu den Hauptbefunden des Berichts auf der übergeordneten Ebene der Medienarena zählen:

* Erstens, die Printmedien im einstigen «Presseland Schweiz» verlieren bezüglich Auflagen, Nutzung und ihrer wirtschaftlichen Grundlagen an Bedeutung. Nur die Gratistitel und teilweise die Sonntagszeitungen können innerhalb der Presselandschaft noch Zuwachsraten verbuchen und so den generellen Abwärtstrend der Presse abmildern, allerdings ohne den Qualitätsverlust auffangen zu können.

* Zweitens, der Onlinebereich ist klar fast flächendeckend und auf in vielerlei Hinsicht auf dem Vormarsch. Allerdings ist ihre Refinanzierung prekär. Sie ziehen jedoch den Newssites anderer Medien substanzielle Publikumssegmente ab. Dies betrifft insbesondere die Abonnementszeitungen und die öffentlichen Radiosender.

* Drittens, das Fernsehen verzeichnet Reichweitenverluste bei den Jungen, ohne diese mit Reichweitengeiwnnen bei den Aeltern kompensieren zu können. Generell leidet die Nutzung von Informationsformaten von Radio und Fernsehen, ohne dass ihre überragende Bedeutung verschwunden wäre. Private Angebote sind hier allenfalls als komplementär einzustufen, vor allem im Lokalbereich.

* Viertens, es hat sich eine Gratiskultur durchgesetzt, die die nötigen Ressourcen für guten Journalismus nicht bereitstellt und Publizistik ausserdem von der hohen Volatilität eines schwindenden Werbeaufkommens abhängig macht. Das fördert den Konzentrationsprozess sowie Einsparungen bei den Redaktionen.

* Fünftens, die verschiedenen Mediengattungen tragen in höchst unterschiedlichem Mass zur Vielfalt und Relevanz der Berichterstattung in der Schweiz bei. Zudem kann man davon ausgehen, dass die Bedeutung gerade derjenigen Typen und Gattungen in Zukunft zunehmen wird, die weniger zu Relevanz und Vielfalt beitragen.

* Sechstens, bei Boulevard- und Gratiszeitungen, den Privatsendern sowie den Onlinemedien finden generell personenzentrierte Human Interest-Themen Aufmerksamkeit. Auch die Politik wird viel stärker über Geschichten einzelner Personen aufbereitet. Bei diesen Typen ist die Forumsfunktion ist nur bedingt erfüllt.

* Siebtens, in der schweizerischen Medienarena steigt die Binnenorientierung im Zeitverlauf auf Kosten der Auslandsberichterstattung. Die Fokussierung auf den Medienkonsumenten und die Kostenreduktion lässt die Welt ausgerechnet im Zeitalter der Globalisierung zugunsten des Nationalen und des Regionalen in den Hintergrund treten. Die neuen Medien beschränken die Welt zudem auf Krisen, Kriege und Katastrophen.

* Achtens, für eine einordnende, reflexive und Hintergrundinformation vermittelnde Berichterstattung sorgen primär die Abonnementszeitungen, die Sonntagszeitungen und das Magazin sowie die öffentlichen Programme von Radio und Fernsehen. Umgekehrt ist die Berichterstattung der Newssites, der Boulevard- und Gratiszeitungen sowie der Nachrichtensendungen des Privatfernsehens überwiegend episodisch.

Es liegt nun an den Angesprochenen, sich damit auseinander zusetzen: den Medien, Medienverlagen und Medienschaffenden selber, aber auch den politischen und wirtschaftlichen Akteuren, den gesellschaftlichen Kräften, die von der Oeffentlichkeit leben und denen die aufgezeigten Entwicklungen nicht egal sein können.

Ihnen haben die ForscherInnen jedenfalls eine kecke Behauptung zugeworfen, die sie nicht kalt lassen kann, sprechen die Obervatoren doch recht generell von einem Systemversagen der öffentlichen Kommunikation in der schweizerischen Demokratie. Die Diskussion lanciere ich mit folgender Differenzierung hierzu: Niemand mehr kann über eine Vielzahl von Phänomenen des Versagens öffentlicher Kommunikation in der Schweiz hinweg sehen, doch bleibt die Frage offen, ob man sie soweit verallgemeinern kann, wie das hier geschieht. Denn untergegangen sind bis jetzt weder die Schweiz noch ihre Demokratie. Vielmehr bleibt die Assoziation auf den kritisierten Katastrophismus neuen Medien(wissenschaften)!

Claude Longchamp