25 Jahre Wahlforscher

Die Universität Zürich hat den Lehrauftrag der Lehrstuhls für Schweizer Politik zur Wahlforschung neu vergeben. Ab 2009 werde ich dieses Fach in Zürich unterrichten. Im besten Moment, denn ich bin werde dieses Wochenende 25 Jahre Wahl- und Abstimmungsforscher sein.

Zu einem besseren Zeitpunkt hätte die Entscheidung nicht angekündigt werden können. Am Montag bis ich genau 25 Jahre Wahlforscher. Ich bin am 1. Dezember 1983 mitunter hierfür von Professor Erich Gruner an der Universität Bern angestellt worden. Die nationalen Wahlen von 1983 waren meine ersten, die ich als Politikwissenschafter untersucht habe. Zwischenzeitlich habe ich sechs weitere nationale Parlamentswahlen beobachtet, begleitet und in verschiedenster Hinsicht berechnet. Zahlreiche kantonale und städtische Entscheidungen zur Regierungs- und Parlamentszusammensetzung sind seit 1986 hinzu gekommen.

Für die SRG SSR Idee suisse habe ich seit 1987 alle Schweizer Wahlen mitkommentiert. 1999, 2003 und 2007 habe mit dem Forschungsinstitut gfs.bern auch dreimal das Wahlbarometer mit Vor- und Nachwahlbefragung realisiert. In diversen Partei- und Kampagnenstudien sind die Ergebnisse vertieft worden. Sie haben zu zahrleichen Publikationen und Kursen für Parteien, Medienschaffende und Hochschulen geführt.

Und nun dies: Adrian Vatter, einst mein Hilfsassistent in Bern, heute Professor für Schweizersche Politik in Zürich, hat mich mit der Durchführung der Lehre zur Wahlforschung an der Universität Zürich betraut. Herzlichen Dank, sag’ ich da! Ich nehme die Herausforderung gerne an, und werde mein Bestes geben, um die StudentInnen in Theorie, Empirie und Praxis der Wahlforschung in der Schweiz auszubilden!

Claude Longchamp

FROM LOCAL TO TRANSNATIONAL

Kampagnen verändern sich überall: Obama setzte die Massstäbe in Wahlkämpfen. Irland stimmt regelmässig über die EU-Mitgliedschaft ab. Und weltweit lauft eine öffentliche Kontroverse über den Klimawandel. Was die vielen lokalen Erfahrungen mit politischen Kampagnen für die transnationale Politik bedeutet, soll an einer hochkarätig bestückten Tagung in Zürich diskutiert werden.

Die Europäische Vereingung politischer Berater (EAPC) nimmt sich den Veränderungen in Partei-, Personen-, Sach- und Themenkampagnen an ihrer nächstjährigen Zusammenkunft in Zürich an. Vom 7. bis 9. Mai 2009 diskutieren WissenschafterInnen, ForscherInnen und PraktikerInnen über die Phänomene des Wandels, über die Folge für die Kommunikation und über die Chancen und Risiken für die Demokratie. “From local to transnational” ist die Devise der Tagung, die unter dem Titel “The Challenge of Campaigning in tomorrow’s Europe”. Das Motto nehmen die Organisatoren wörtlich, denn es soll mitunter von den Erfahrungen in der Schweiz mit der weltweit ausgebautesten direkten Demokratie ausgegangen werden, um zu fragen, was das für die grenzdurchschreitenden Politik bedeuten kann.

Ich werde die Session “Demokratie im Praxistest” gemeinsam mit Rudolf Ramsauer, Direktor CC Nestlé, und Hanspeter Kriesi, Professor für vergleichende Politikwissenschaft, an der Universität Zürich, bestreiten. Mein Referat wird zum Thema “Neue Aspekte in Schweizer Wahl- und Abstimmungskämpfen” sein, wobei ich auf die zentralen Veränderungen in kampagnenbezogenen politischen Kommunikation von 1992 bis 2007 eingehen und anhand der learnings einen Ausblick für politische Entscheidungen in Europa machen werde.

Interessenten finden hier mehr Informationen. Das Programm wird in den kommenden Tagen aufgeschaltet werden.

Claude Longchamp

Die Machtfrage in der SVP (Bundesratswahlen 2008/7)

Mit dem Fraktionsentscheid vom Donnerstag über die Kandidatur für die Nachfolge von Samuel Schmid als Bundesrat wird die Machtfrage in der SVP gestellt. Ein eigentlicher Richtungsentscheid bahnt sich via Personen- und Verfahrensfragen an.

christoph blocher und sein publikum, die basis des svp erfolges
christoph blocher und sein publikum, die basis des svp erfolges

Sozialwissenschaftliche Machtdefinitionen
Max Weber, der grosse deutsche Soziologe zu Beginn des 20. Jahrhunderts, definierte Macht als “jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht.“ Damit gab er der Durchsetzungsmacht eine gültige Umschreibung, ohne sich um die Frage zu kümmern, worauf diese Macht basiert. Das haben Sozialpyschologen besser auf den Punkt gebracht. Macht entsteht durch Position, Identifikation oder Wissen und sie bedient sich der Belohnung oder des Zwangs als Mittel.

Christoph Blochers Macht wird in Frage gestellt
Christoph Blocher verfügte lange über verschiedene dieser Machtressourcen; seine stärkste war jedoch sein Charisma. Seine Anhängerschaft ist fasziniert von ihm, fühlt sich mit ihm verbunden, ja identifiziert sich mit ihm in hohem Masse. Das verdrängt Meinungsverschiedenheiten, verringert Diskussionen und führt dazu, das gelegentliche Differenzen meist schnell aufgegeben werden.

Christoph Blochers Charima wirkt in der aktuellen Situation nicht mehr wie früher. Die Machtfrage in der Partei wird offen gestellt. Die Idenfitikation mit dem Uebervater der Partei ist macherorts zum Ritual verkommen, das zwar demonstrativ beschworen, hinter den Kulissen aber unterlaufen wird. 10 Kandidaten aus den eigenen Reihen treten gegen Christoph Blocher an, und man weiss nicht, ob es nichtnoch weitere gibt, die losgelöst vom parteiinternen Verfahren auf einen geeigneten Moment warten, um sich doch noch ins Spiel zu bringen.

Die Entscheidung des Machtkampfes
Die nächsten zwei Tage werden zeigen, wer in der SVP das Sagen hat, das heisst nach Weber seinen Willen auch gegen Widerstände durchsetzen kann. Man wird genau beobachten können, wer in der grössten Partei die Macht inne hat: der Parteipräsident, wie es sich gehört, dier Uebervater, wie man es erwartet, die Seilschaften des Nachwuchses und der Frauen, die ihre Chance wittern, die ideologischen Grundsatzpolitiker, welche die Vorherrschaft über die Partei zu verteidigen suchen oder die pragmatischen Interessenvertreter die ihre politischen Anliegen mit dem Staat realisieren müssen.

Der Vorentscheid fällt schon bei der Zahl der Nominierungen: Eine Einerkandidatur Blocher verhindert mit aller Wahrscheinlichkeit die Rückkehr in den Bundesrat, mit ungewissen Konsequenzen. Eine Einerkandidatur ohne Blocher beendet seine Karriere, auf Geheiss der eigenen Fraktion. Und eine Zweikandidatur mit Blocher und einer weiteren Person ist eine offene Einladung an die Bundesversammlung, die SVP in den Bundesrat aufzunehmen und dabei Blocher nochmals abzulehnen. Damit sind die Aussichten der SVP, mit Blocher im Bundesrat vertreten zu sein, sehr gering. Das Maximum, was der gealterte Machtapparat um ihn herausholen kann, ist dass ein Getreuer als Zweiter nominiert und gewählt wird.

Man erinnere sich nur ein Jahr zurück, um zu begreifen, was sich alles verändert hat. “SVP wählen – Blocher stärken”, war das damalige Motto. Heute ist nicht einmal mehr sicher, ob Blocher wählen auch SVP stärken bedeutet.

Claude Longchamp

“Rita Fuhrer gewinnt Volkswahl”, sagt eine kuriose Online-Umfrage (Bundesratswahlen 2008/6)

So steht es heute in vielen Medien, ohne den Platz, den die Aussage beansprucht, Wert zu sein.

Die Fragen nach der Regierungsbeteiligung der SVP und der geeigneten Vertretung im Bundesrat sind wichtig. Deshalb interessieren Ergebnisse, die helfen, Antworten zu geben.

Die news
Suggeriert wird mit der Meldung, dass durch die Erhebung von Marketagent.com sogar präziseste Resultate vorliegen: “15,9 Prozent der Befragten würden ihre Stimme der Zürcher Regierungsrätin geben. Weniger als das, genau 14,5 Prozent der Befragten, würden sich für Blocher entscheiden.” Und: “Die Mehrheit von 51,6 Prozent der Befragten möchte, dass die SVP wieder in den Bundesrat zurückkehrt.”



Die Tücken des Schneeball-Prinzips

Damit man zu solchen Schlüssen kommen kann, braucht man entweder eine Vollerhebung bei allen SchweizerInnen, wie die Titel im Sobli- und anderen Medien fälschlicherweise suggerieren. Oder man macht eine systematische Stichprobenziehung unter den Entscheidungsberechtigten. Doch auch das ist bei Online-Umfragen nach dem Schneeball-Prinzip (“Mach doch auch mit …”) nicht der Fall.

Denn das Ganze funktioniert so: Ich registriere mich bei Marketagent. Meine Angaben werden kontrolliert. Da bin ich in der Community aufgenommen. Wenn ich die Fragebögen ausfülle, kann ich Preise gewinnen und bekomme ich Bonuspunkte. Die kann ich gegen Geld eintauschen oder in Partnerfirmen von Marektagenten damit einkaufen gehen. Um was es dabei geht, legt die Werbeseite der Agentur offen. “express yourself”! Mach mit. ist das Motto, denn Du kannst Trends bestimmen. Die Agentur spricht denn auch ganz bewusst nicht von “Befragten”, sondern ganz offen von “Meinungsbildnern” …

Repräsentativ-Befragung funktionieren ganz anders. Sie brauchen eine systematische Auswahl aus einer bekannten Grundgesamtheit, die durch niemanden beeinflusst werden kann. Beim genannten Beispiel handelt es sich um ein Schneeball-Prinzip, bei dem weder das mitmachende Individuum effektiv kontrolliert werden kann, noch seine Bedeutung für die Grundgesamtheit geklärt ist. Verallgemeinerung von Messergebnissen müssen daher zwingend ausbleiben.

Lernprozesse in Massenmedien nötig
Massenmedien stürzen sich auf solche Erhebungen, weil sie günstig sind, BürgerInnen-Nähe vorgeben, und Ergebnisse liefern, die man gut kommunizieren kann. Solange sie Informationen liefern, die sachdienlich sind, ist dagegen nichts einzuwenden. Wenn sie aber etwas vorgeben, was nicht ist, handelt es sich um Täuschungen, die letztlich keiner Erwähnung wert sind.

Eine kleine Recherche zeigt, was ich damit meine: In der parallel dazu realisierten Online-Umfrage des “Schweizer Bauer” hat Andreas Aebi, SVP-Nationalrat aus dem Bauernstand, 23,4 Prozent der Stimmen erhalten. Er lag damit vor Ueli Maurer (16,2%) und Hansjörg Walther (9,0%). Doch auch das sagt nichts aus, ausser dass die mitmachenden Bauern wohl am liebsten Aebi hätten.

Einige beispielhafte Patzer in dieser Sache kann man hier studieren. Ein Lernprozess, wie man mit solchen Marketingangeboten auf Internet umgeht, ist dringend zu wünschen.

Claude Longchamp

Die Bundespräsident verdient Unterstützung (Bundesratswahlen 2008/5)

Vielleicht ist Pascal Couchepin nicht die richtige Person, um der SVP den Tarif zu erklären. Denn er fordert von ihr aufzuzeigen, wie sie in der Schweiz wieder mitregieren will. Die Reaktion der SVP ist verständlich, trägt aber nichts zur Klärung der Sache bei.


Das renovierte Bundeshaus auf der Suche nach neuem Ausdruck (Foto: cal)

Das Regieren in der Konkordanz ist nicht ohne. Es ist kein Entscheid von Fall zu Fall, sondern auf Dauer angelegt. Deshalb basiert es auf Engagement für die Sache und Mässigung im Verhalten. Es soll garantieren, dass VertreterInnen von Parteien mit unterschiedlichen Position gemeinsam nach Lösungen suchen.

Die alten Eintrittsregeln
Lange war klar, was die Voraussetzungen hierfür waren. Die FDP als Staatsgründerin und ehemalige Mehrheitspartei legte fest, wie sie lauteten. Häufig mussten Oppositionsparteien als Erstes das Problem einer gemeinsamen Lösung zufügen, mit sie stark wurden. Aus der Minderheitsposition heraus konnte sie das auch erheblich kompromitieren. Das galt dann als Zähmung.

Die De- resp. Reregulierung
Von dieser Regulierung sind wir heute weit entfernt. Denn sie wurde in den letzten 20 Jahren vollständig verändert. Unter dem Ansturm der SVP wurden die Eintrittsbedingungen in den Bundesrat weitgehend dereguliert. Artithmetische Konkordanz nennt man das heute: Der WählerInnen-Anteil, allenfalls die Repräsentation in beiden Kammern und in den verschiedenen Landesteilen, berechtigt einzig, Besitzansprüche anzumelden.

Seit einiger Zeit beobachtet man eine Tendenz zur Reregulierung der Schwelle, um im Bundesrat vertreten zu sein. Die arthmetische Regel bleibt, doch wird sie immer mehr durch ethische Anforderungen ergänzt. Denn konkordantes Regieren setzt die Anerkennung grundlegender Prinzipien des politischen Systems, seineer Funktionsweisen und der sie bestimmenden politischen Kultur voraus. Respekt vor den Partnern, Akzeptierung der eigenen Minderheitsposition und Loyalität gegenüber gemeinsamen Entscheidungen werden von Mitgliedern einer Exekutive erwartet. Achtung der Institutionen, der Verfassung und internationalen Verpflichtungen durch die Regierungsparteien gehören heute ebenfalls dazu.

Den Tatbeweis einfordern
Diesen Tatbeweis erwartet man heute zurecht, wenn eine Partei aus der Opposition in die Regierung will. Es geht nicht mehr darum, in einer Sachfrage eine totale Kehrwende machen zu müssen. Doch es geht darum, vom politischen Akteur, der sich seiner Stärkung wegen frei definiert, was und wie er etwas tut, zum verantwortungsbewussten Träger eines Staates zu werden, denn man gemeinsam regiert.

Das einzufordern, ist dann die Aufgabe des Bundespräsidenten, wenn alle anderen, denen die öffentliche Sache nicht einfach egal ist, es nicht tun.

Claude Longchamp

“They never come back” (Bundesratswahlen 2008/4)

Boxer sind hart im Nehmen und hart im Geben, sonst geht gar nichts! Doch gibt es für sie ein ehernes Gesetz: Einmal weg vom Fenster, gibt es kein zurück mehr, lautet wenigstens die populäre Redewendung. Auf die Politik übertragen schient das nicht zu gelten. Zwar teilt man gerne aus, und kassiert man dafür auch Schläge, doch bei der SVP macht sich ein stures Festhalten an einer Einerkandidatur von alt-Bundesrat Christoph Blocher bemerkbar. Mit hohen Risiken!


Die Abwahl von Christoph Blocher als SVP-Bundesrat, die bei ihm und seiner Partei unverarbeitet ist

Es erstaunt, mit welcher Hartnäckigkeit die SVP die Rückkehr von Christoph Blocher in den Bundesrat fordert. Und es überrascht, mit welcher Zielstrebigkeit Christoph Blocher selber sein Comeback anstrebt.

Die richtige Person zum richtigen Moment
2003 waren Christoph Blocher und seine SVP im richtigen Moment am richtigen Ort. Was vorher nicht gelang, glückte nach dem grosen Wahlsieg der SVP bei den Parlamentswahlen von 2003. Die grösste politische Partei der Schweiz, die mit nur einem von sieben Bundesräten in der Landesregierung unterdotiert vertreten war, konnte nach den Regeln der arithmetischen Konkordanz Anspruch auf einen weiteren Sitz in der Exekutive pochen. Sie konnte diesen mit Hilfe der interessierten FDP und weniger CVP-Vertretern auch mit einer alternativlos präsentierten Kandidatur durchsetzen. Das Ueberraschungsmoment am Wahlabend selber war für den späteren Erfolg mitentscheidend.

Die Ursachen der Veränderung
Doch vier Jahre später wurde Christoph Blocher abgewählt. Nicht wegen eines fehlenden politischen Leistungsausweises. Auch nicht mangels fachlicher Kompetenzen. Nein, die zustande gekommene Allianz gegen ihn hatte drei Grundlagen:

Erstens, die politischen Gegnerschaft, die Bundesrat Christoph Blocher vorwarf, Verfassungs- und Völkerrecht zum Gegenstand parteipolitischer Gefechte gemacht zu haben, bei denen der Justizminister gerne die Schiedrichterrolle in eigener Sache spielte;
zweitens, der Teil der Wahlmänner und -frauen von 2003, die mit der Verstärkung der SVP im Bundesrat gehofft hatten, eine Zähmung der erfolgreichen Parteien erreichen zu können, zwischenzeitlich aber enttäuscht waren;
und drittens, bürgerliche ParlamentarierInnen, die genug von den regelmässig aggresiven Beleidigungen im täglichen Umgang mit Bundesrat Blocher hatten.

Die falsche Person im Moment der Rückkehr

Das Szenario, das sich jetzt bei der Ersatzwahl für Bundesrat Samuel Schmid abzuzeichnen beginnt, erinnert zu stark an frührere Vorgänge: Die SVP will Christoph Blocher. Sie verweist auf seinen Leistungsausweis als Unternehmer, der viele Herausforderungen erfolgreich bestanden hat. Doch sie schliesst personelle Alternativen von Beginn weg aus.

Damit ging und geht sei ein hohes Risiko ein. Rechnet man die gemachten Erfahrungen mit Bundesrat Blocher zwischen 2003 und 2007 hinzu, muss man von einem halsbrecherischen Poker sprechen: Wenig wahrscheinlich ist es, dass der Trumpf sticht und die SVP erneut mit Christoph Blocher im Bundesrat vertreten sein wird. Denn die anderen Regierungsparteien haben nicht offiziell, aber unmissverständlich verlauten lassen, abgewählte Bundesräte nicht wieder zu wählen. Viel wahrscheinlicher ist es, dass die Karte, auf die man zu setzen scheint, nicht zieht. Die SVP wäre dann keinen Schritt weg von der Oppositionsrolle, in die sich die Partei wegen der Abwahl von Christoph Blocher manövriert hatte.

Die Hoffnung stirbt zuletzt
Zu hoffen wäre, dass die SVP den Reflex der Boxer aufnimmt, nicht ungeschützt einen k.o.-Schlag zu kassieren, sondern rechtzeitig auszuweichen. Auf die Politik übertragen heisst dies, Partei- und Personeninteressen zu unterscheiden, damit die Partei ihren Anspruch auf einen Bundesratssitz einlösen kann.

Entscheidend ist bei einer erfolgreichen Wahl in die Landesregierung, auf die Unterstützung im den eigenen Reihen und auf die Anerkennung durch eine Mehrheit der ParlamentarInnen zählen zu können. Dass es ohne Rückhalt in einer Partei nicht geht, hat das Scheitern von Samuel Schmid nachträglich bewiesen. Ohne die nötigen Zustimmungsabsicht im Wahlgremiums ist eine Kandidatur von alt-Bundesrat Blocher schon im Voraus illusorisch.

Claude Longchamp

10 Gründe, warum man in der Schweiz besser in der Regierung als in der Opposition ist (Bundesratswahlen 2008/3)

Unmittelbar nach der Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat erklärte die SVP, in die Opposition zu gehen. Sie nahm den Bisherigen Samuel Schmid und die Neue Eveline Widmer-Schlumpf nicht (mehr) in die Bundeshausfraktion auf. Es folgte die Parteispaltung in die grosse Mehrheit der SVP und die kleine Minderheit der BDP. Jetzt will die SVP wieder zurück in die Regierung. Eigentlich nicht überraschend, denn es gibt in der Schweizer Politik 10 Gebote, warum man besser in der Regierung als in der Opposition ist.


Aller Kritik zum Trotz: Die 1959er Wahl in den Bundesrat, die Geburt der Zauberformel, ist bis heute stilbildend für das sinnvolle Verhalten der grösseren politischen Parteien in der Schweiz geblieben.

Erster Grund
Das politische System und seine Kultur sind auf Machtteilung und Integration der grösseren politischen Parteien ausgerichtet. Eine Oppositionsrolle für eine politische Partei existiert nicht. Selbst die Parteien, die nicht direkt im Bundesrat vertreten sind, verstehen sich in der Regel nicht als Oppositions-, sondern als Nicht-Regierungsparteien.

Zweiter Grund
Die Volksrechte sind ein Mittel der thematischen, nicht aber der systematischen Oppostion. Volksinitiativen sind geeignet, länger andauernde gesellschaftliche Probleme, die keiner politischen Lösung zugeführt werden, aufzugreifen und zu thematisieren. Ihre Behandlung erfolgt aber weder just in time, noch ist die Mehrheit wahrscheinlich.

Dritter Grund
Referenden sind zwar besser geeignet, schnell auf parlamentarische Entscheidungen reagieren zu können als Initiativen. Doch ist ihr taktischer Gebrauch für eine politische Partei nicht unproblematisch, weil sich der Konflikt nicht zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien focussieren lässt. Je nach Interessen verlaufen die Bruchlinien eher quer zu den Parteien und Fraktionen.

Vierter Grund
Oppositionsparteien finden zwar unverändert mediale Aufmerksamkeit. Sie können aber nicht mehr darauf zählen, in Themen, welche den Mediendiskurs bestimmen, automatisch als Trendsetter angesehen zu werden. Das verändert ihre Darstellung und Bewertung, die, ohne eigene Medien kritischer wird.

Fünfter Grund
Eigene Massenmedien als politische Partei zu haben, ist illusorisch geworden. Dazu ist keine Partei mehr in der Lage. Artikulationsmedien, die via schnell und kostengünstig via Internet funktionieren, sind zwar möglich, aber nicht besonders wirkungsvoll. Sie bestimmen den Mainstream in den Massenmedien nicht.

Sechster Grund
Die periodischen kantonalen und städtische Wahlen werden vor allem für Oppositionsparteien zu Herausforderungen. Denn es wird erwartet, dass sie diese lückenlos gewinnen. Gelingt ihnen das nicht, wendet sich die Erwartungshaltung schnell gegen sie, was die Partei und ihre Wählenden rasch verunsichert.

Siebster Grund
Da auch nationale Oppositionsparteien auf kantonaler und kommunaler Ebene in der Regierung sind und verbleiben, ist die Kommunikation einer klaren Alternative zum Regierungslager problematisch, denn faktisch gehört man auch als nationale Opposition in vielen, vor allem lokal und föderalistisch bestimmten Politiken zum Regierungslager.

Achter Grund
Die parlamentarischen Entscheidungen auf nationaler Ebene eröffnen zwar reichhaltige Möglichkeiten der thematischen Opposition. Diese ist jedoch ohne faktischen Fraktionszwang nicht ohne Weiteres durchsetzbar. Das Problem erhöht sich, je unvollständiger die Oppositionrolle definiert wird, etwa bei der Besetzung von Kommissionspräsidien.

Neunter Grund
Fraktionen, die keinen formellen und informellen Zugang zum Bundesrat haben, sind von relevanten Informationen der Willensbildung abgeschnitten. Die Chance, politische Entscheidungen relevant vorweg nehmen zu können, um sie im Sinne der Opposition zu beeinflussen sind bescheiden.

Zehnter Grund
Die politischen Ambitionen der Schweizer PolitikerInnen ist nicht auf die Realisierung bestimmter Politiken ausgerichtet. Sie ist auch durch den Wunsch, politisch relevant an der Macht beteiligt zu sein, bestimmt. Das erschwert die innere Kohärenz von Fraktionen in Oppositionsparteien.

Zwar konnte man diese 10 Geründe gegen die Opposition von Parteien im politischen System der Schweiz in den letzten 10 Monaten ausgesprochen gut beobachten. Allerdings sind sie alles andere als neu.

Die unübersehbaren Spaltungen in der Konkordanzkultur der Schweiz von heute, dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass die Struktur der politischen Entscheidfindung in der Schweiz ausgesprochen auf Integration angelegt ist, die es nur um den Preis der politischen Mässigung gibt.

So bleibt eigentlich nur ein Fazit: Der einzige wirkliche “Erfolg” der Oppositionspolitik von Parteien ist der Sturz von Regierungsmitgliedern, die den eigenen Interessen, selber wieder in der Regierung vertreten zu sein, entgegenstehen.

Claude Longchamp

“Grosse” resp. “kleine” Konkordanz-Ideen (Bundesratswahlen 2008/2)

Mit dem Rücktritt von Bundesrat Schmid ist – von links her – die Idee der kleinen Konkordanz erneut aufgebracht worden. Was hat es damit auf sich, wie ist der Vorschlag zu beurteilen, und was sind die Konsequenzen für die Nachfolge Schmids.

Der Vorschlag
Entstanden ist die Vorschlag der kleinen Konkordanz in der letzten Legislatur. Richtig lanciert wurde er Ende August 2007 mit dem Buch “Fahrplanwechsel“, das im Wesentlichen rot-grüne Stimmen aus Politik, Publizistik und Wissenschaft vereinte.

Die Ueberlegung dahinter besticht auf den ersten Blick: Die Regierungszusammensetzung wird im politischen Spektrum auf jene Kräfte verringert, die sich grundsätzlich zur Zusammenarbeit verpflichten. Aktuell sind das wohl die CVP, die FDP, die BDP und die SP.

In Sachfragen besteht zwar keine regelmässige Einigkeit, in den wesentlichen Dossiers wie etwa der EU-Frage ist man sich aber sehr nahe, sodass die Homogenität eine solchen Regierung auf Personen- und Parteienebene erhöht werden könnte. Ihre Handlungsfähigkeit könnte damit gestärkt werden, was der Verteidigung zentraler Werte, Rechte und Institutionen gegen die Opposition dienlich wäre.

Seine Schwächen
Der Nachteil dieser Variante ist offensichtlich: Ohne die SVP würden zwischen 25 bis 30 Prozent der rechten, nationalkonservativen WählerInnen von der Regierung ausgeschlossen sein. Käme inskünftig eine Variante mit SVP, aber ohne SP zustanden, wären mit den Grünen eher mehr Wählende auf der linke, rotgrünen Seite ausgeschlossen.

Angesichts dieser Schwäche des Konzept, die auf den zweiten Blick nicht zu verkennen ist, kann man sich fragen, ob eine solche Regierung überhaupt noch konkordant wäre, oder ob es nicht besser wäre gleich zum einem Koalitionsmodell überzugehen.

Zu diesem scheint die Schweizer Politik aber nicht reif zu sein. Die republikanischen Mehrheit, von der die Fahrplanwechsler im Jahre 2007 träumten, hat sich nicht entwickelt. Ihr sichtbarstes Ergebnis ist die Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat geblieben. Was als Negativ-Allianz in Personenfragen funktionierte, ist nicht zur Positiv-Allianz in Sachfragen geworden. Das hat viel damit zu tun, dass die SP einen bindenden Koaltionsvertrag scheut, und die Spielmöglichkeiten der FDP zur Mehrheitsbeschaffung unter generellem Ausschluss der SVP verringert werden.

Nachfolge Schmid: Vorentscheid über Zukunft der Konkordanz
Vor diesem Hintergrund gilt es auch die parteipolitische Herkunft des oder der NachfolgerIn von Samuel Schmid zu beurteilen: Die Wahl eines CVP-Vertreters wäre wohl das Ende der grossen Konkordanz und würde den Uebergang zu einem Regierungs- und Oppositionssystem mit Koalition nötig zu machen, um mittelfristig kohärent regieren zu können.

Wenn man umgekehrt eine SVP-Vetretung berücksichtigt, wäre das, ebenso mittelfristig ein erster Schritt zur konkordanten Zusammensetzung des Bundesrates, die sich mehr oder minder stark an der Stärke der Parteien unter Wählenden und im Parlament zu reichten hätte. Das könnte für die BDP und Eveline Widmer-Schlumpf eng werden, je nach Ausgang der nächsten Parlamentswahlen allenfalls auch für die FDP/LP.

Claude Longchamp

Rechne! (Bundesratswahlen 2008/1)

Samuel Schmid ist zurückgetreten. Am 10. Dezember 2008 finden damit Bundesratsersatzwahlen statt. Die Spekulation schiessen keine 24 Stunden nach dem Rücktritt ins Kraut. Dabei wäre es sinnvoll kühlen Kopf zu bewahren, und zurechnen. Denn nur das hilft, die kommenden Wahlen strategisch zu analysieren.

Wer hat wieviel Gewicht?
Um bei vollständiger Besetzung des Wahlgremiums, der Bundesversammlung, als neuer Bundesrat gewählt zu werden, braucht es 124 der 246 Stimmen. Ohne das geht nichts!

Keine der Fraktionen in der Bundesversammlung bringt es auch nur annähernd auf diese Zahl. Damit ist die Hoffnung, den Ausgang der Wahl parteiintern bestimmen zu können, für alle eine blanke Illusion.

Das trifft vor allem die SVP, die liebend gerne eine rein interne Nomination durchführen und die bevorzugte Kandidatur ohne wenn und aber durchs Wahlgremium durchdrücken würde.

Es gibt in der gegenwärtigen Bundesversammlung auch keine Allianz aus zwei Parteien, die mehrheitsfähig wäre. Konkret heisst das, weder ein Bündnis aus rot-grünen Parteien, noch aus SVP und FDP kann mit Sicherheit den Wahlausgang bestimmen.

Grüne, die gerne im Bundesrat wären, sind damit nicht nur auf alle Stimmen der Linken angewiesen. Sie brauchen auch jene der Zentrumsfraktion, und zwar fast vollständig geschlossen. Das gilt, in eingeschränkter Hinsicht auch für Wahlallianzen aus SVP und FDP. Auch ihre FavoritIn muss eine Minderheit der Stimmen aus dem CVP-Lager mobilisieren können.

Das ist die Logik der Mehrheitsfindung in einem Parlament, dass nicht mehr allein durch die Polbildung rechts und links bestimmt werden kann, sondern mit den Wahlen von 2007 eine neues Zentrum erhalten hat, das vor allem aus CVP besteht, und das durch EVP und Grünliberale verstärkt wird.

Mögliche Entwicklungen
Drei Szenarien sind denkbar:

Erstens, die Zentrumsfraktion löst sich als Block auf und verliert damit jedes Gewicht in der Wahl. Die Exponenten, vor allem am rechten Flügel sind dann die Königsmacheren.
Zweitens, sie erklärt die Bedingungen, unter denen eine Partei, die jetzt nicht im Bundesrat vertreten ist, wählbar ist. Wer die Gelegenheit nutzen will, muss sich danach richten.
Drittens, sie verweigert rechten wie linken Wahlvorschlägen ihre Unterstützung, nominiert dafür selber eine Kandidatur der Mitte.

Meine vorläufigen Bewertungen
Am wahrscheinlichsten ist gegenwärtig das mittlere Szenario: Die CVP/EVP/grünliberale-Fraktion bestimmt, wer mit wem im Bundesrat vertreten ist. Konflikte sind bei einer SVP-Kandidatur, die nicht CVP-like ist, zu erwarten. Möglich ist in dieser Variante Szenario 1. Was bei Sachfragen immer wieder vorkommt, könnte auch in der Wahlfrage spielen: eine bürgerliche ausgerichtete, rechte Mehrheit bestimmte demnach den Wahlausgang für sich.

Für die wieder erstarkte CVP wäre das fatal; für die bei der Blocher-Nichtwiederwahl unterlegene Minderheit in der Partei wäre es indessen eine willkommene Imagekorrektur. Da die CVP ihren leichten Aufwind von 2007 kaum aufs Spiel setze will, ist zu erwarten, dass sie sich deshalb demonstrativ auf keine grüne Kandidatur einlässt, dafür aber auf eine eigene Kandidatur setzt, die von ihr, SP, Grünen, allenfalls auch BDP getragen wird, um die anstehenden Bundesratswahlen indirekt mitzubestimmen.

Spekulieren ist bei Bundesratswahlen Sache der Spassmacher. Wer sich ernsthaft damit beschäftigt, rechnet zuerst einmal.

Claude Longchamp

Realignment or not? – Die Debatte zur Analyse der US-Wahlen 2008 ist eröffnet.

Jay Cost, Autor des HorseRaceBlogs, nimmt sich kritisch der These an, die jüngste Präsidentschaftswahlen liessen sich als Realignent oder Neueinbindung ins amerikanische Parteiensystem interpretieren. Damit stellt er sich gegen die mediale Dramatisierung der Wahl, – mit Argumenten, die für einen Historiker der Wahlen gar nicht so schlecht sind.

In einem zeitbezogenen Ueberblick bestimmt er, was realignment für die USA heisse: “The parties had to manage issues of existential importance that could not be ignored. This is why we remember Lincoln’s “House Divided,” Bryan’s “Cross of Gold,” and Roosevelt’s “New Deal.” Each man took clear stands on issues whose resolution would determine the course of the nation. In these elections, little else mattered.”


Effekt des Realignment von 1932: breiter nationaler Konsens für eine Wechsel von den Republikanern zu den Demokraten.

Diese Problemstellung habe das normale Funktionieren der Parteien ausser Kraft gesetzt. Die Parteien hätten in der Bestimmung der Wahlkampfthemen und der Antworten darauf gar keine Wahl gehabt. Historisch gesehen ging es bei den Wahlen ohne Alternative um Sklaverei, Industrialisierung und Bewältigung der Depression. Und: Wer hierzu eine Partei gewählt habe, der sie auch bei ihr geblieben.

Dann setzt Cost zur entscheidenden Frage an: “Did the parties behave similarly this year as they did then? Were the issues similar?” Und gibt folgende Antwort: “I think the answers to both questions are negative, which cuts against the hypothesis that this election was a “realignment”.”

Im ersten Moment mag man staunen, denn die Subprime-Krise hat sich erheblich auf den Wahlkampf ausgewirkt. Doch Cost ist anderer Meinung: Beide Kandidaten hätten mit verschiedenen Themen zu punkten versucht. Das habe eine klaren Kontrast verhindert. In der entscheidenden Frage, dem Hilfsprogramm für die amerikanische Wirtschaft, hätten beide Senatoren gleich gestimmt. Deshalb habe es auch keine dauerhafte Richtungsentscheidung wie etwa 1932 beim New Deal gegeben.

Cost schliesst: “It might be that 2008 was a kind of realignment – perhaps a “partial” or “soft” or “semi” or “emerging” realignment.” Und das sei nicht viel mehr als schon bei den Wahlen von 1948, 1958, 1968, 1974, 1980, 1992, 1994, 2002 und 2006 geschehen sei.

Schluss: “I’m left wondering if the country has ever been aligned so that it can then realign!”

Claude Longchamp