Am letzten Mittwoch begann ich meine Lehrveranstaltung an der Uni St. Gallen mit der Frage, wo die Grünliberalen politisch stehen, und was für eine Zukunft sie damit vor sich haben. Das war gerade richtig, um fürs Wochenende eingestimmt zu sein.
Analyse der Zürcher Stadtparteien, wie sie von Smartvote nach den Wahlen vorgenommen wurde: Am besten vertreten wird die glp in der Stadtregierung durch den CVP-Politiker Gerold Lauber (Quelle: smartvote via Tages-Anzeiger
Bei der erste Frage waren die Antworten der Studierenden recht einheitlich: In der politischen Mitte oder unwesentlich davon entfernt, wurden sie eingestuft. Als Kompromiss-Partei zwischen Oekologie und Oekonomie, wurden sie charakterisiert. Und als Folge-Erscheinung der globalen Klimadebatte, wurden sie gedeutet.
Das macht sie gegenwärtig für die Medien attraktiv. Doch es mangelt hinter Verena Diener schnell einmal an bekannten Köpfen, die das Politik-Machen verstehen und umstetzen könne. Es besteht die Gefahr, dass die Erwartungen schneller wachsen als die Möglichkeiten.
Politikwissenschaftlich gesehen haben Parteien dann eine Chance, dauerhaft zu bestehen, wenn es ihnen gelingt, eine eigentliche Konfliktlinie zu bewirtschaften, warf ich ein: Dazu gehört eine mehr als momentane gesellschaftliche Spaltung. Dazu zählt, dass daraus ein neues soziales Bewusstsein erwächst und dass dieses durch eine Organisation im politischen System möglichst exklusiv repräsentiert wird.
Von diesen drei Voraussetzungen ist die erste sicher gegeben. Die Oekologiefrage ist seit einer Generation ein politisches Thema, und es ist kein Ende in Sicht. Das eröffnet Möglichkeiten. Doch wird sie nicht nur von einer Partei bewirtschaftet. Die Chance der Grünliberalen ist tatsächlich die Wertesysnthese, das heisst die Versöhnung von ökologischen und ökonomischen Forderungen auf einer neuen Stufe.
Mit Sicherheit gibt es dafür sowohl in der Wirtschaft wie in der Politik eine Potenzial. Wie gross es ist, wissen wir aber nicht. Als vorläufiges WählerInnen-Potenzial dürfte es aber reichen, wohl noch nicht ausgeschöpft sein. Die zentrale Frage Herausforderung ist also die Organisation des neuen Bewusstseins und der vorhandenen Interessen. Hier stehen die Grünliberalen vor einer höheren Hürde. Denn die Erwartungen in der Bevölkerung und den Medien sind hoch, und die Entwicklung als Partei hinkt dem tendenziell hinten nach.
Trotz dieser drei Beurteilungskriterien blieben in unserer Diskussion unter Master-StudentInnen die Aussichten recht offen: der Durchbruch auf nationaler Ebene 2011, die Etablierung als städtisch einflussreiche Partei, die es in Exekutiven schafft, ohne nationale Repräsentation, und das langsame Verschwinden der Partei, wenn andere wie FDP, SP oder Grüne die neuen Positionen bei sich aufnehmen, wurden genannt.
Persönlich neige ich zum zweiten Szenario; es erscheint mir am realistischten.
Angeregt durch diese Auslegeordnung habe ich dem Tages-Anzeiger von heute ein Interview gegeben.
Die Grünliberalen sind eben mehr als nur grün und liberal. Die obige Grafik zeigt sehr schön, dass die GLP einen politischen Raum (Mitte-liberal) einnimmt, der bisher nicht besetzt war: Gesellschaftspolitisch liberal, aussenpolitisch offen, nachhaltige Umweltpolitik, aber auch wirtschafts- und finanzpolitsch wirtschaftsliberal.
Viele Wähler mit guter Bildung in urbanen Gebieten fühlen sich eben von diesen Positionen angezogen. Sie mussten sich vorher immer zwischen den Bürgerlichen, die ihnen gesellschaftspolitisch zu wenig liberal und umweltpolitisch zu wenig nachhaltig waren und den Linken, deren Wirtschaftspolitik ihnen zu verstaubt und ideologisch war, entscheiden.
Zwischen Bürgerlichen und Linken gab es eine grosse leere Fläche auf der smartmap. Einzig die EVP, die mit ihrer konservativ-religiösen Ansichten die urbanen Wähler auch nicht ansprach, hat diesen Raum (im Fall der EVP Mitte-konservativ) besetzt. Auch die Versuche der CVP diesen Raum zu erobern blieben gerade in urbanen Gebieten erfolglos, da die CVP nach wie vor ein sehr konservatives Image hat.
Können die Grünliberalen diesen oben beschriebenen politischen Raum für sich beanspruchen, dann haben sie eine Zukunft!
Ich bin im Gegensatz zu Dir ganz klar der Meinung, dass eine Partei ein nationales Gesicht braucht (dieses fehlt ja bspw. der GFL Stadt Bern spürbar). Deshalb ist es für mich ganz entscheidend, dass die glp 2011 den “Durchbruch auf nationaler Ebene” anstrebt und erreicht. Dafür ist meines erachtens entscheidend, ob die glp 2011 Fraktionsstärke erreicht (wovon ich stark ausgehe). Dies wird das Vertreten von eigenständigen Positionen und auch die Etablierung weiterer „Köpfe“ auf Bundesebene vereinfachen.
Für die näheren Ausführungen verweise ich auf meinen Beitrag und unsere Diskussion in meinem Blog: http://www.michaelkoepfli.ch/?p=237
at schelmihil
Die Analyse passt perfekt zu meiner.
Der Unterschied ist, dass ich noch etwas perspektivischr argumtentiert und hier für drei Szenarien unterschieden habe.
Persönlich neige ich zum zweiten, sie sind da recht undifferenziert.
Das geht davon aus, dass sich eine Partei dann etablieren kann, wenn es ihr gelingt, das (auch von ihnen aufgezeigte Potenzial) in eine Organisation münden zu lassen, die Identitätsfindung, breite Partizipation, innerparteiliche Demokratie und Allianzfähigkeit in einer Regierung untereinander vermittelt. Letzteres fehlt den Grünliberalen noch eindeutig. Deshalb bin ich offener in der Zukunftserfwartung. Und ich schlage den Grünliberalen vor, das schrittweise zu erarbeiten: zuerst in den Städten, dann in den Kantonen und schliesslich im Bund.
Uebrigens, das NZZ-Interview von Parteipräsident Bäumle tendiert durchaus in die gleiche Richtung, wenn auch auch weniger stark auf die exekutive Verankerung ausgerichtet.
at Michael Köpfli
Was eine Partei anstrebt, entscheidet sie allein. Da würde ich mich nie einmischen wollen!
Was sie aber erreichen kann, unterliegt meiner Meinung nach durchaus einem Diskurs.
Klar ist ja jetzt, dass die Grünliberalen eine eigene Fraktion im NR anstreben, also mindestens mit der BDP gleichziehen wollen.
Zu den 3 Sitzen im Kanton Zürich müssten dafür 1-2 im Kanton Bern, und allenfalls 1-2 in den Kantonen Waadt und Aargau hinzukommen.
Eine eigene Fraktion würde die glp sicher ein klareres und eigenständigeres Profil geben. Vielleicht aber auch ihre parlamentarischen Wert mindern. Denn zwischen Grünen und SP einerseits, CVP und EVP anderseits, wie sich die glp elektoral vermehrt zu positionieren versucht, gibt es zwar offensichtlich Platz, aber kaum machtpolitischen Wert. National würden die grünliberalen damit nicht mehr zu strategisch entscheidenden Mitte gehören, sondern zum links-liberalen Spektrum. Grüne und SP würde mit der glp aber keine Mehrheit schaffen, weshalb sie dich trotz glp-Fraktion eher an die CVP oder FDP halten würden. Auch für die Bürgerlichen könnte die glp an Bedeutung verlieren, weil die Mehrheitsbildung aus der anderen Richtung höchstwahrscheinlich ebenfalls ohne die glp funktionieren würde.
Das wäre mal ein Gegenargument zur eigenen Fraktion!
Zu den Chancen der GLP auf Bundesebene Fraktionsstärke zu erreichen:
Die Aussichten die 3 Sitze im Kanton Zürich zu halten, sind nach den Wahlen in Zürich, Winterthur, Uster und Dübendorf sicherlich sehr gut. Im Kanton Bern gibt es noch kein Wahlergebnis für den ganzen Kanton. In Kürze werden wir das besser einschätzen können.
Es ist aber davon auszugehen, dass es hier für mindestens einen Sitz bei den Nationalratswahlen reichen wird.
Dann fehlt noch ein Sitz, um die angestrebte Fraktionsstärke zu erreichen. Hier werden, da bin ich einverstanden, vor allem die Kantone Waadt und Aargau wichtig sein. Gelingt es in einem dieser Kantone ein Mandat zu erobern, reicht es für die Fraktionsstärke.
Im Kanton Zürich wird es schwer sein einen vierten Sitz zu holen, da die GLP bei den letzten Wahlen mit 3 Sitzen bei einem Wähleranteil von rund 7% gut bedient war. Für einen vierten Sitz müsste sie sich klar steigern. Im Kanton Bern liegt möglicherweise ein zweiter Sitz drin. In den Kantonen St. Gallen und Luzern wird es eher schwierig, einen Sitz zu erobern.
@cal:
Sie raten den Grünliberalen es schrittweise anzugehen, zuerst in den Städten, dann in den Kantonen und erst dann im Bund. Heisst das, sie schlagen der GLP vor, auf die Teilnahme an den Nationalratswahlen zu verzichten? Oder bei Erreichen der Fraktionsstärke auf die Bildung einer eigenen Fraktion zu verzichten?
Ich teile die Meinung von Micheal Köpfli, ohne nationales Gesicht, wird eine Partei kaum wahrgenommen (siehe GFL).
Um in Exekutiven gewählt zu werden, braucht es zuerst einmal Politiker mit einem gewissen Bekanntheitsgrad, die sich in Legislativen pofiliert haben. Das fehlt der GLP natürlich in den meisten Kantonen noch, da es sie erst seit ein paar Monaten oder wenigen Jahren gibt. Aber auch hier ist die GLP auf gutem Weg, schliesslich haben in den letzten Monaten 7 kantonale Parlamentarier zu den Grünliberalen gewechselt. Siehe hierzu: http://schlemihl.swissblog.ch/2010/03/04/zuwachs-fur-grunliberale/
Zunächst: Das Ziel einer Partei ist die Eroberung politischer Macht. Das Mittel dazu sind in der Demokratie Wahlen. Einer Partei zu raten, auf die Beteiligung an Wahlen zu verzichten, wäre absurd, ein Widerspruch in sich.
An keiner Stelle habe ich je auch nur eine Andeutung in dieser Hinsicht gemacht.
Meine Analyse bezieht sich auf das politische Gewicht einer Partei. Dieses bestimmt sich einmal aus dem WählerInnen-Anteil resp. aus den Sitzen. Dann geht es aber auch darum, ob man Allianz- oder Koalitionsfähig ist, um Mehrheiten zu schaffen.
Der Reiz der glp in der Stadt Zürich besteht ja im Moment darin, als Partei mit knapp 10 Prozent Wähleranteil Match-entscheidend zu sein, das heisst, für die Mehrheitsbildung im Züricher Stadtrat die Partei zu sein, auf die man von links wie rechts schauen muss. Das erhöht das politische Gewicht ungemein.
Aehnlich ist die CVP/EVP/glp-Fraktion im Nationalrat zu beurteilen. Wenn nach Blöcken abgestimmt wird (was national insbesondere wegen der Sprachenfrage nicht immer der Fall ist), dann ist diese Fraktion massgeblich.
Nun kann man sich fragen, was geschieht nach den nächsten Wahlen. Seit der Bundesratsrwahl im letzten Herbst war ruchbar, war am Martin Bäumle am letzten Wochenende in der NZZ klipp und klar zum Ausdruck brachte: Die glp strebt eigene Fraktionsstärke und den Austritt aus der Zentrumsfraktion an.
Das ist nicht ausgeschlossen, und, wie sie oben darlegen, in den Kantonen Bern, Waadt und Aargau auch am einfachsten zu machen. Ob es gelingt oder nicht, wissen weder sie noch ich, aber wir können gedanklich einmal davon ausgehen.
Analog zu oben stellt sich die Frage nach dem Gewicht einer Partei, die national vielleicht 3 Prozent ausmacht.
Damit Rotgrün (mit einem Wähleranteil von rund 30%) mehrheitsfähig wird, wird es die glp nicht brauchen. Also kann man sie auch aussen vor lassen. Denn SP und Grüne werden sich je nach Thema an die CVP oder an die FDP oder an beide halten.
Umgekehrt, damit SVP und FDP (mit einem Wähleranteil von rund 45-47 %) könnte es allenfalls Parteien wie die EDU und die glp brauchen, um zur Mehrheit mindestens im Nationalrat zu gelangen. Im Ständerat nützt das aber wenig.
So bleibt, dass auch die Rechte auf die CVP schauen wird, um in beiden Kammern mehrheitsfähig zu sein.
Das Gewicht der glp wird also selbst bei Gewinnen an Wählenden wie auch durch den Austritt an der Zentrumsfraktion geringer sein.
Es mag sein, dass es für die Eigenprofilierung der Partei einfacher ist, als eigene Partei und eigene Fraktion aufzutreten. Doch es kann sein, dass das zu allianzpolitisch zu einer Isolierung der glp führt, weil beide Seiten und die CVP nicht auf sie angewiesen sein werden, und sich regelmässig beklagen werden, die Partei helfe nur der anderen Seite.
Köpfe braucht jede Partei in jeder Situation. Da haben sie recht. Beteiligung an Wahlen gehört zu den Grundaufgaben einer Partei. Alles andere ist Unsinn.
Das sich eine junge Partei möglichst eigenständig profilieren will, kann man noch nachvollziehen. Dass diese aber fernab von politischen Ueberlegungen ausserhalb der eigenen Logik geschieht, habe ich als Absturzrisiko bezeichnet. Eigentlich als gutgemeinte Warnung, verbunden mit dem Hinweis, sich erst einmal auf legislativer und exekutiver Ebene in den Städten zu profilieren, und das Gleiche in den zentralen Kantonen anzustreben, ohne rasche Misserfolge zu kassieren.
Der Misserfolg der versuchten Kandidatur für die Regierungsratsersatzwahlen im Kanton Zürich letztes Jahr sollte eigentlich Fingerzeig genug gewesen sein.
@cal:
Gehen wir mal davon aus, dass die Fraktionen im Parlament einheitlich stimmen (In der Realität ist das ja häufig nicht der Fall). Es kommt teilweise zu knappen Ergebnissen bei Sachfragen(neulich bei der Abzocker-Initiative) oder auch bei Bundesratswahlen. Da können eben auch kleine Fraktionen das Zünglein an der Waage spielen.
Sie schreiben, rot-grün wäre nicht auf die glp angewiesen. Sie könnten auch mit der CVP oder der FDP zusammenspannen. Das stimmt nicht, denn SP/Grüne/CVP/EVP kommen nicht auf eine Mehrheit im Nationalrat, sondern nur auf 97 Stimmen. Das gleiche gilt, wenn die Linke mit der FDP zusammenspannt. Auch hier ergibt sich keine Mehrheit. In beiden Fällen könnte aber mit Hilfe der glp eine Mehrheit erreicht werden.
Im Ständerat sieht es natürlich anders aus, da haben sie recht.
Nach den Wahlen 2011 könnten eben gerade die kleinen Fraktionen wie BDP und glp im Nationalrat eine entscheidende Rolle spielen. Denn es ist gut möglich, dass weder SP/Grüne/CVP, noch SP/Grüne/FDP, noch SVP/FDP, noch SVP/CVP mehrheitsfähig sind.
Wenn wir es ganz genau nehmen wollen, dann braucht es im NR 101 Stimme, um sicher in der Mehrheit zu sein.
So bleibt (mindestens vorerst) mein Schluss, dass sich Rotgrün an CVP und FDP ausrichten müssen, um in beiden Kammern mehrheitsfähig zu sein.
@cal
Darf ich mal zitieren:
“Das Ziel einer Partei ist die Eroberung politischer Macht.”
Du bringst es zwar auf den Punkt, politische Macht sollte aber nicht das Ziel sein, sondern höchstens Zweck, um Ziele zu erreichen. Und Ziel sollte z.B. Wohlstand sein.
ok, ich verbessere mich:
Das Ziel einer politischen Partei ist es, mit demokratischen Mitteln die politische Macht im Staat zu erlangen, um die eigenen Programme zu realisieren.
Besser so?