Wahlforschung international.

Wahlforschung gehört zu den international am weitest verbreitetsten Teilgebieten der Politikwissenschaft, die aus dem Vergleich über Wahlsysteme hinaus besondere Erkenntnisse zum Beispiel über die Wahlbeteiligung gewinnt.

wessels
Der Berliner Politikwissenschafter Bernhard Wessels, eine der führenden Netzwerker unter den Wahlforschern auf der ganzen Welt

Die Wahlforschung gehört traditionell zum Kernbereich der Politikwissenschaft. Seit der bekannten Columbia Studie die Paul Felix Lazarsfeld in den 40er Jahren in den USA durchführte, haben sich dabei Meinungsumfragen als zentralen methodisches Instrument zur Bestimmung von Wahlmotiven, Wahlabsichten und Wahlenscheidungen erwiesen. Viele national fokussierte Studien sind seither erstellt worden. Seit den 90ern konzentrieren sich PolitologInnen auf eine international koordinierte und gemeinsam entwickelte Wahlforschung. Sie soll es ermöglicht, vergleichende Schlüsse zu ziehen.

Bernhard Wessels, Privatdozent am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, ist Mitglied im Planungskomitee für vergleichende Studien in verschiedenartigen Wahlsystemen (CSES) und Ko-Leiter der deutschen Langzeit Wahlstudie (German Longitudinal Electoral Studies GLES). Er ist eine der treibenden Kräfte, die Geld für die deutsche akademische Wahlforschung nach amerikanischem und nordischem Vorbild beschaffen und erstklassige Wissenschaftlern rekrutieren. Sich selber bezeichnete er in einem Vortrag am Liechtenstein Institut als “Lastesel der deutschen Wahlforschung”.

1994 initiierte Wessels mit andern Wahlforschern eine Initiative, international vergleichende Wahlforschung zu betreiben, der sich zwischenzeitlich 53 Länder freiwillig angeschlossen haben. Zu den vorrangigen Fragestellungen zählt, was BürgerInnen dazu bewegt, von der Möglichkeit, ihre Stimme abzugeben, Gebrauch machen. Zu den zentralen Ergebnissen zählt, dass sie am bereitwilligsten teilnehmen, wenn die Wahlen bedeutungsvoll sind, eine echte Wahlmöglichkeit besteht, und sich Wahlergebnisse für die nachfolgende Politik auwirken. Oder anders gesagt: Wenn das Resultat zu effektiver Regierungsarbeit führt.

Die Schweiz ist übrigen ein gutes Beispiel dafür: Die mittlere Wahlbeteiligung liegt knapp unter 50 Prozent. Sie ist erst in jünster Zeit wieder angestiegen. Lange Zeit hatten Schweizer Parlamentswahlen keine Auswirkungen auf die Regierungszusammensetzung, und die Sachpolitik wird bis heute nicht via Wahlen global, sondern über Volksabstimmung im Einzelnen festgelegt. Die bekannteste Ausnahme sind die USA mit ihrer ebenfalls tiefen Wahlbeteiligung, obwohl der Präsident (indirekt) gewählt wird. Immerhin stieg die Teilnahme 2008 wieder an, als ein Regierungswechsel möglich erschien. Der Zusatzmobilisierung verdanke Barack Obama unter anderem auch seinen Wahlsieg.

Claude Longchamp