Diagnosen für die Welt nach dem amerikanischen Zeitalter

Wie entwickelt sich die Welt? Ueber die Wirtschaftskrise hinaus, stellt sich die Frage, welche Rolle die USA inskünftig einnehmen werden. Denn allgemein rechnet man mit dem wirtschaftlichen und politischen Aufstieg Asiens. Weniger eindeutig sind die Haltungen dagegen, wenn es um die Frage geht, wie sich die führende, aber angeschlagene Weltmacht hierzu stellen wird. Zwei typische Beispiele hierzu.

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“Der Aufstieg der Andern. Das postamerikanische Zeitalter” heisst der Bestseller von Fareed Zakarias, der im Sommer 2008 in den Staaten, anfang 2009 auch in der deutschen Uebersetzung von Thorsten Schmidt erschien, und seither so etwas die Basis der Analyse in einer multipolaren Welt gilt.

»Goodbye, America«, lautet der etwas bittere Refrain von Fareed Zakaria, dem in indischen Bombay geborenen Politikwissenschafter der Harvad University. Dennoch bleibt der Chefredaktor von Newsweek International und regelmässige Kommentator auf CNN zuversichtlich.

Für ihn ist zwar klar, dass eine epochalen Machtverschiebung stattfindet. Nach dem Siegeszug der westlichen Rationalität zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert und dem kometenhaften Aufstieg Amerikas im 19. und 20. Jahrhundert durchläuft die Welt gerade eine dritte Phase. Sie erlebt das Ende der amerikanischen Vorherrschaft und den »rise of the rest«, den Aufstieg der übrigen Mächte.

“The Post-American World” heisst das Buch im Amerikanischen, das bewusst das Wort vom Niedergang vermeidet, denn es will dem offensichtlichen Machtverlust der USA eine Pointe abgewinnen: »Globalisierung der Welt – das war die amerikanische Vision«, und davon hhaben andere Länder profitiert und den Anschluss geschafft, vor allem China und Indien.

Fareed Zakaria hat offensichtlich Sympathien für die Demokraten von Barack Obama. Er ist überzeugt, Amerika werde seine Krise meistern, sobald es die Spaltung der Gesellschaft überwunden habe. Aussenpolitisch gibt er Obama den Rat, sich um die »Einbeziehung der aufsteigenden Länder« kümmern und die neuen Großmächte China und Indien so weit integrieren, bis diese aus eigenem Interesse die globale Ordnung tatkräftig unterstützten.

Härter mit den Amerikanern ins Gericht geht Parag Khanna, ebenfalls aus Indien stammend und Politikwissenschafter in den USA und Grossbritannien. In seinem Buch “Der Kampf um die Zweite Welt” tritt Amerika nämlich als gerupfter Riese auf, von einem entfesselten Kapitalismus verunsicherte, im Irakkrieg blamierte Supermacht, die ihren Machtverlust noch gar nicht begriffen hat. Selbst wenn das Land unverändert die konkurrenzfähigste Volkswirtschaft der Welt habe, schreibt Khanna, sei die politische Macht längst neu verteilt worden: Asien wird – mit oder ohne Amerika – das 21. Jahrhundert gestalten.

Folgt man Khanna, wird die Welt künftig von drei Imperien beherrscht werden, von den Vereinigten Staaten, von China und von der Europäischen Union, während Russland keine entscheidende Rolle spiele, weil dessen Volkswirtschaft nichts Nennenswertes zustande bringe. Auf Khannas Landkarte gehört Russland deshalb zur Zweiten Welt, genauso wie der Nahe Osten, Lateinamerika und Afrika. Hier, in der Zweiten Welt, tobt nach Khanna der Kampf um Einflusszonen, und hier entscheide sich, wie viel Macht die geopolitischen Machtsphären in die Waagschale werfen können.

Die beiden Thesen sind hilfreich, das aktuelle Verhalten der Grossmächte zu analysieren. Nützlich sind hierfür auch die beiden Bücher, welche die generelle Sichtweise ausführen. Ihre Lektüre sei empfohlen, nicht zuletzt auch, um den Wandel der politikwissenschaftlichen Perspektiven, die unter der Bush-Administration und dem Schlagwort des Kampfes der Kulturen galten, zu realisieren.

Claude Longchamp

Fareed Zakaria: Der Aufstieg der Anderen. Das postamerikanische Zeitalter, München 2009
Parag Khanna: Der Kampf um die zweite Welt. Imperien und Einfluss in der neuen Weltordnung, Berlin 2008