Ein letztes Mal: Prognosen und Bestandesaufnahmen vor eidg. Abstimmungen

In meinem letzten Forschungsseminar am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern habe ich Tools entwickelt und evaluiert, die Vorhersagen zu eidg. Volksabstimmungen zu lassen. Daraus habe ich gelernt, zwingend zwischen Prognosen und Bestandesaufnahmen. Prognosen sagen voraus, wie es endet. Bestandesaufnahmen zeigen, was gegenwärtig ist; sie sind abhängig vom Zeitpunkt, an dem sie gemacht werden. Was man daraus für den 18. Juni 2023 lernen kann.

Was Prognosen sind, und was nicht
Abstimmungsprognosen basieren auf Modellen. Verwendet werden beispielsweise frühe Umfragen, aber auch die Rechtsform der Abstimmung und das Fachgebiet oder die Departemente der Themen. Auswertet werden alle rückwärtig vorhandenen Information dazu. Geschaut wird, in welchem Masse, die Kombination das effektive Endergebnis vorausgesagt hätte.
Daraus ergibt sich eine Prognoseformel. In der Folge werden die dazu vorhandenen Informationen für einen neuen Fall in die Formel eingesetzt. Das Ergebnis aus der Formel ist die neue Prognose.
Solche Prognosen erstellen bei Abstimmungen
. Stellus (anonym arbeitender Wissenschafter via Internet, der mir bekannt ist)
. Nick Glättli, Masterstudent der Politikwissenschaft an der Uni Zürich
. Thomas Willi, Politikwissenschaft bei LeeWas und
. Sebastien Perséguers, Physiker, vormals Uni München, heute selbständig.
Stellus verwendet nur das Bundesbüchlein, das er mittels künstlicher Intelligenz auswertet, während die drei anderen Umfrageergebnisse mit weiteren Daten kombinieren.
Alle Modellrechnungen basieren auf Wahrscheinlichkeiten resp. kennen einen Unsicherheitsbereich. Der ist bisweilen gross. Das Risiko reduziert sich aber, wenn verschiedene Prognosen zu ähnlichen Schlüsse kommen.

Was die Prognosen aussagen
Die Prognosen alle kommen mit Blick auf dem 18. Juni 2023 zum Schluss, dass alle drei Vorlagen angenommen werden. Im Mittel lauten die Vorhersagen:


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67% Mindeststeuer
59% Klimagesetz
64% Covidgesetz

Am skeptischsten ist das Verfahren von Stellus. Im Schnitt geht es von 55% Zustimmung aus. Perséguers kommt im Mittel auf 67%, Glättli auf 65% und Willi auf 63%. Perséguers betont allerdings, dass erst die komplette Prognose genau ist. Sie folgt in einigen Tagen. Das bestimme ich die finalen Werte für die Vorhersagen.
Man kann trotzdem heute schon mit 3 Ja-Mehrheiten beim Volksmehr rechnen. Bei der Mindeststeuer braucht es auch ein Ständemehr (Verfassungsabstimmung), doch steht die in der angenommenen Höhe der Zustimmung beim Volksmehr ausser Frage.

Was Bestandesaufnahmen sind und was sie sagen
Kann man nun auf Umfragen verzichten, lautet die häufigste mir gestellte Frage? Natürlich nein! Denn mit einer Ausnahme berücksichtigen alle Prognosen Umfragen. Es wird sie also weiterhin brauchen, nur können ihre Ergebnisse so veredelt oder eingenommen werden.


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Anbei findet sich die Uebersicht über die Tool, die keine direkten Prognoseabsichten haben, von mir aber zu meiner Einschätzung beigezogen werden.Es sind dies
• die Schlussabstimmungen im Nationalrat (gemäss @parlCH
• die Stärke der Parteien bei Nationalratswahlen, die eine Ja-Parolen beschlossen haben (gemäss @Swissvotes)
• die Wettbörse @50plus1ch der Uni Zürich, die eine Gruppe von ExpertInnen die Ausgänge schätzen und verhandeln lässt
• die erwarteten Ausgänge der Befragten in den Umfragen von @gfsbern
• die Stimmabsichten in den Umfragen von @gfsbern und @Leewas_ch und die
• die Medienanalyse vom @FögUZH der Uni Zürich.
Hinzu kommt noch die Werbeanalyse von APS der Uni Bern, die aber noch aussteht. Das ist unwichtig, weil sie am wenigsten zu meiner Einschätzung beiträgt.
Die Bestandesaufnahmen kommen alle zu etwas unterschiedlichen Einschätzungen, bestätigen aber die Ja-Mehrheiten der Prognosen ausnahmslos.
Wenn ich die Komplexität verringern muss, stelle ich auf vier Tools ab: die Schlussabstimmungen im Nationalrat, die Allianzstärke der befürwortenden Parteien, die Medienanalyse fög und die Umfragen von gfsbern. Sie haben kombiniert, die allerhöchste Treffsicherheit.

Claude Longchamp, Politikwissenschafter