Eidg. Abstimmung über der Klima- und Innovationsgesetz: Vorteil für die Ja-Seite, Restunsicherheit bleibt

Die Umsetzung der Energiewende ist ein zentrales Thema der jetzigen Legislaturperiode. Der erste Versuch scheiterte. Nun kommt es mit dem Klima- und Innovationsgesetz zu einer modifizierten Zweitauflage. Analyse.

Inhalt
Das «Bundesgesetz über die Ziele im Klimaschutz, die Innovation und die Stärkung der Energiesicherheit» (kurz KIG) verankert das Netto-Null-Ziel in der Schweiz bis 2050. Der Bund wird aufgefordert, die Treibhausgasemissionen soweit wie möglich schrittweise zu reduzieren. Verbleibenden Emissionen sollen kompensiert werden. Denkbar sind dabei Aufforstungen, die Speicherung von CO2 im Boden oder die Gewinnung von Bioenergie. Zudem fördert das neue Gesetz Innovationen bei der Energiegewinnung. Und es subventioniert den Ersatz von fossilen Heizungen mit einem Implusprogramm von 200 Mio. CHF.
Abgaben wie im 2021 gescheiterten CO2-Gesetz sind im neuen Vorlage nicht keine vorgesehen.
Trotzdem versteht das Parlament das Gesetz als relevante Roadmap zur Erreichung der Klimaziele im Pariser Klimaabkommen.

Uebersicht über die vier wichtigsten Indikatoren zum Abstimmungsausgang beim Klima- und Innovationsgesetz vom 18. Juni 2023

• Nationalrat: Ja in der Schlussabstimmung/200
• Parolenspiegel: % NRW 2019 des Ja-Lagers
• Medientenor: fög Index
• Umfragen: SRG/gfs Erhebungen

Parlament
Das KIG entstand im Wesentlichen im Parlament. Es wird vom Bundesrat befürwortet. Es versteht sich als indirekter Gegenvorlage zur Gletscherinitiative. Deren InitiantInnen sind bei Annahme des KIG in der Volksabstimmung zum Rückzug bereit.
In der Schlussabstimmung ging die Vorlage mit 139:51 im National- und mit 39:4 im Ständerat durch. Bei Parlamentarierinnen und Parlamentariern der SP, Grünen, GLP und Mitte war das Vorhaben unbestritten. Vereinzelte skeptische Stimmen gab es in den Reihen der FDP. Die SVP stellte sich komplett dagegen.

Referendum
Ein Komitee aus SVP-Grössen hat erfolgreich das Referendum ergriffen. Trotz anfänglichen Schwierigkeiten kam 104’000 Unterschriften zusammen; 50000 wären nötig gewesen.
Gemäss dem Argumentarium der Nein-Seite stösst man sich daran, dass die Stromproduktion zurückgehe und damit die Preise erhöhe. Gekämpft wird deshalb plakativ gegen das sog. “Stromfressergesetz”. Es sei teuer, beinhalte Vollmachten und verlange staatliche Umerziehungsmassnahmen.
Im Dezember 2022 haben sich die Vorzeichen der Volksabstimmung etwas geändert. Denn dem federführenden UVEK steht nach dem Rücktritt von BRin Simonetta Sommaruga (SP) BR Albert Rösti (SVP) vor, selber Mitglied des Referendumskomitees. Er wird im Abstimmungskampf die Position des Bundesrats gegen seine eigene Partei vertreten müssen. Seine Partei wird auf die bekannten personalisierten Angriffe verzichten, aber die Politik der Energiewende umso klarer in Frage stellen.

Parolen
Bis jetzt haben drei Parteien eine Ja-Parole gefasst. Die SP, die FDP und die Mitte sind dafür. Die SVP ist selbstredend dagegen.
Verhalten sich die Parteien gleich wie ihre Mitglieder im Parlament, wird das Ja-Lager durch Parolen der Grünen, der GLP und der EVP verstärkt werden. Die SVP wäre damit parteipolitisch isoliert.
Auf der Ja-Seite befinden sich vor allem Wirtschaftsverbände, aber auch kirchliche Organisationen. Dagegen ausgesprochen habt sich vorerst nur der Hauseigentümerverband. Casafair, eine kleine Vereinigung von HauseigentümerInnen, widerspricht ihm allerdings.

Abstimmungskampf
Die Vorlage ist nicht selbstredend, sie muss erklärt werden. Es besteht in Informationsbedarf im Abstimmungskampf.
Der mediale Abstimmungskampf hat noch nicht begonnen. Es ist mit einem kurzen aber heftigen Abstimmungskampf zu rechnen, der auf ein breites mediales Interesse stossen dürfte. Entscheidend wird sein, ob es beispielsweise in der FDP, allenfalls auch der Mitte zu einem Elite/Basis-Konflikt kommt. Warnhinweise dafür wären ParlamentarierInnen mit Nein-Werbung.
Im Mitte/Links-Lager dürften die Zustimmungsmehrheiten gesichert sein.

Referenzabstimmung
Aehnlich war das Konfliktmuster beim C02-Gesetz. Im Parlament ging die Vorlage mit einer ähnlichen Unterstützungsallianz durch. Der Elite-Basis-Konflikt brach erst im Abstimmungskampf auf.
Dabei mobilisierte die Nein-Seite besser als das Ja-Lager. Hilfreich war die Kombination der Vorlage mit den Agrarinitiativen, vom Bauernverband exemplarisch bekämpft.
Die Zustimmungsbereitschaft sank entsprechend in den letzten Wochen vor der Abstimmung knapp unter 50 Prozent.

Ausblick
Alles spricht für eine labil vorbestimmte Vorlage mit Vorteilen für die Ja-Seite sprechen. Abschliessend gemacht sind die Meinungen nicht. Ohne überraschende Ereignisse im Abstimmungskampf dürfte die Mehrheit dafür bleiben.
Bei einem Ja würde das modifizierte Regierungslage ohne SVP, aber mit GLP gestärkt werden. Denn eine grosse Baustelle der Legislaturperiode konnte mit einem breiten Kompromiss gerade noch rechtzeitig begradigt werden. Sollte die SVP mit ihrem Nein durchkommen, wäre das scharfe Munition für ihren Wahlkampf und die beste Legitimation für BR Rösti, bei der Umsetzung der Energiewende eine Neuanfang zu wagen.