Vor spannenden Ständeratswahlen im Kanton Bern: Wer kann Hans Stöckli ersetzen?

Die Ständeratswahlen 2023 im Kanton Bern versprechen Spannung. Hans Stöckli, SP-Vertreter in der kleinen Kammer, tritt nicht mehr an. Das gibt Spielraum, selbst wenn mit Werner Salzmann von der SVP als Bisheriger der zweite Sitze gesetzt ist.

Das Feld der Interessierten ist illuster:
. Flavia Wasserfallen von der SP,
. Bernhard Pulver von den Grünen,
. Jürg Grossen von der GLP,
. Lorenz Hess von der Mitte und
. Sandra Hess von der FDP haben ihr Interesse bekundet.
Bereits nominiert sind Wasserfallen und die beiden Hess. Pulver und Grossen dürften in Monatsfrist bestätigt werden.
Denkbar ist auch noch eine Kandidatur aus den Reihen der EVP.


Lesebeispiel: Auf der Horizontalen variieren die Kandidat:innen politisch von links nach rechts, auf der vertikalen von Land zu Stadt (Ort des Politisierens). Der Bisherige Salzmann ist ein typischer Land-Vertreter und der SVP Ständerat steht politisch rechts.
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Wie Ständeratswahlen funktionieren
Ständerat oder Ständerätin wird normalerweise, wer ein kantonales Regierungsamt inne hatte oder eine erfolgreiche Nationalratslaufbahn hinter sich weiss.
Vorentschieden werden Ständeratswahlen im Kanton Bern meist durch die Position im weltanschaulichen Spektrum und regionale Aspekte, vor allem im Stadt/Land-Unterschied. Seit zwanzig Jahren gewinnt jeweils ein Mix aus SVP und SP aber auch Stadt und übrigem Kantonsgebiet. Davor waren bürgerliche Doppel die Regel.
Ferner kommen Geschlecht und Alter sowie berufliche Erfahrungen und Netzwerke lagerspezifisch hinzu.
Neue müssen meist in einen zweiten Wahlgang. Antreten können im Kanton Bern alle mit 3 Prozent der Stimmen im ersten. Faktisch findet aber eine Selektion aufgrund der Stimmenstärke im ersten Wahlgang statt. Nur aussichtsreiche Kandidatur werden weiter gezogen.
Das schmälert vor allem die Chancen der Nidauer Stadtpräsidentin und Grossrätin Sandra Hess als typische Vertreterin ihrer Herkunftsregion. Offener ist der Ausgang bei den vier anderen

Die Konstellation
Aehnlich sind die Voraussetzungen aus Weltanschauung und räumlicher Herkunft bei Pulver und Wasserfallen, vergleichbar bei Grossen und Lorenz Hess. Das erste Duo ist rot-grün und urban bestimmt, das zweite kommt aus dem politischen Zentrum und agglomeriert-dörflichen Verhältnissen.
Flavia Wasserfallen kann namentlich ihr Geschlecht und ihr Alter herausstreichen. Wohl nur sie kann eine Frau in der Berner Ständeratsvertretung sichern. Die einzige aktive Mutter ist auch die einzige KandidatInnen, die Mutter einen Generationenwechsel realisieren könnte.
Ihr Hauptkonkurrent, alt Regierungsrat Pulver – ein Mann – ist älter, aber auch etablierter. Er kann eine anerkannte Tätigkeit im Regierungsrat und als VR-Präsident des Uni-Spitals vorweisen.
Jürg Grossen ist gelernte Elektroplaner ist ein erfolgreicher Unternehmer im Energiebereich. Von den beiden zentrumsnahen Kandidaten ist er der jüngere und aufstrebende. Lorenz Hess hat eine steile Berufskarriere als Kommunikator vorzuweisen, die ihn in verschiedene Spitzenpositionen der Versicherungs- und Getränkewirtschaft gebracht hat. Er ist allerdings mit 62 auch der älteste aller Kandidat:innen.


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Individuelle Profile
Ausser Pulver sind alle hier besprochenen Personen im Nationalrat. Bei den letzten Wahlen erzielte Wasserfallen obwohl Amtsjüngste der Konkurrent:innen am meisten Panaschierstimmen. Sie lag knapp vor Grossen, der wiederum einiges besser als Hess abschnitt. Das spricht für eine gewisse Ueberparteilichkeit vor allem von Wasserfallen, aber auch von Grossen.
Pulver erzielte bei seiner letzten Wahl in den Regierungsrat das drittbeste Resultat, allerdings vor allen drei SP-Kandidat:innen. Auch das lässt auf eine ausgedehnte Akzeptanz schliessen.
Das Netzwerk von Wasserfallen ist namentlich in der sozial- und gesundheitspolitischen Verbandsszene ausgeprägt. Gesundheits- und bildungspolitisch ist Bernhard Pulver bestens verankert. Er kann zudem auf eine (stille) Unterstützung der LGTB-Szene zählen. Jürg Grossen profitiert sicher von seiner Bekanntheit als nationaler Präsident der GLP. Zudem steht auch wichtigen Swisssolar als Präsident vor. Lorenz Hess ist im traditionsverbundenen Jägerverband gut verankert.

Chancen im ersten und zweiten Wahlgang
Die Ausgangslage der beiden Kandidat:innen im rotgrünen Lager dürfte trotz unterschiedlichem individuellem Profil ziemliche ebenbürtig sein. Im politischen Zentrum ist Grossen leicht zu favorisieren.
Wasserfallen und Pulver resp. SP und Grüne müssen noch entscheiden, ob sie gemeinsam oder einzeln in die Ständeratswahlen steigen. Selbst bei separaten Kandidaturen braucht es wohl eine Abmachung für den zweiten Wahlgang. Keine Frau wäre wohl eine Knacknuss für Rotgrün. Aber zwei Rotgrüne könnten sich gegenseitig konkurrenzieren und zu einer Niederlage führen.
Die Chancen von Grossen dürften etwas geringer sein. Zwar ist er ambitionierte Präsident seiner Partei, die er in den Bundesrat führen will. Doch ist seine Hausmacht ist ohne Allianzpartner deutlich kleiner und im Zentrum nicht ohne Konkurrenz. 2019 scheiterte ein vergleichbares Unterfangen vom Kathrin Bertschy noch klar.
Schwieriger vorwegzunehmen sind die Chancen im zweiten Wahlgang. Denn da spielen die Allianzen, namentlich solche mit der SVP. Sind sie rein taktischer Natur, dürften sie kaum große Auswirkungen haben. Anders ist es, wenn sie strategisch sind und auch inhaltlich Sinn machen.

Zwischenbilanz 10 Monate vor der Wahl
Das Feld der Kandidat:innen für die Ständeratswahlen 2023 ist hochkarätig. Die Chancen der Bewerbungen hängen sowohl von der Konstellation wie auch den personellen Profil ab. Ohne taktischen Fehler ist Rotgrün zu favorisieren. Entschieden ist 10 Monate vor der Wahl noch nichts, da auch der Wahlkampf zählt. Und erst der zweite Wahlgang entscheidet.

Claude Longchamp