Die Parteien vor den eidg. Wahlen: Heute die Grünliberalen – die geforderte Aufsteigerin

Die Grünliberalen sind ein besonderes Phänomen in der Schweizer Parteienlandschaft. Lange behauptete man nämlich, die Grenze zwischen Bürgerlich und Rotgrün sei fundamental und stabil. Da sei nichts zu holen. Doch ewinnt die GLP just an dieser Grenzlinie Wählende gleich von drei verschiedenen Parteien: von der FDP, der SP und den Grünen. Das jedenfalls suggerierte das jüngste SRG-Wahlbarometer. Die Wechselstimmen von SP und FDP finden sich in allen anderen Wahlanalyse seit 2019, die von den Grünen sind neu.

Seinen Grund hat das in der Unzufriedenheit mit den bisherigen Parteien und dem Status Quo bei der politischen Machtverteilung.
Kritisiert wird zuerst die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrats, welche die gesellschaftliche Vielfalt nicht mehr spiegle. Sodann sei das heutige Parteiensystem fragmentiert, genauso wie die Gesellschaft diversifiziert sei. Das wolle die institutionelle Politik mit ihren Absprachen zwischen Parteien und Verbänden nicht wahrhaben.
Mit solchen Ideen stösst die GLP beim Menschen mit einer Persönlichkeit, die offen für Experimente sind, auf grossen Widerhall. Sie wollen etwas Neues wagen, was die wichtigste Begründung für die GLP-Wahl.

Die Positionierung der allseitigen Abgrenzung bringt der GLP bei Proporzwahlen wie für den Nationalrat Vorteile; sie erschwert es aber, bei Majorzwahlen wie im Ständerat Sitze zu erobern. Genau da hapert es bei der GLP auf dem Weg in den Bundesrat.
In der kleinen Kammer ist die Partei nämlich gar nicht vertreten, und das wird sich auf absehbare Zeit auch nicht ändern. Denn dafür bräuchte die Partei starke Allianzpartner, sei es von links, von rechts oder aus der Mitte. Diese Aussage scheut die GLP jedoch.

Soziologisch gesehen, ist die Wahl der GLP umso wahrscheinlicher, je höher das Haushaltseinkommen ist. Ihr Wählenden-Anteil ist auch stärker, je jünger die Wahlenden sind. Und sie wird in urbanen Gebieten vermehrt unterstützt.
Das zeichnet sich als politisches Zentrum für jüngere, urbane und gutstellte Schichten aus, und zwar bei Männern und Frauen.
Und es nährt die Auffassung, da bilde sich die Mitte-Partei der nächsten Generation aus.

Weltanschaulich wird die GLP durch eine Kombination von Gesellschafts- resp. Marktliberalismus ausgezeichnet.
Im Parlament lehnt sie sich die GLP nicht selten immer noch bei der FDP an. Ihre Wählenden-Basis ist insgesamt aber leicht links der Mitte. Das macht es nicht einfacher.
So war die Partei für die Kampfjetbeschaffung dafür, die Wählenden stimmten mehrheitlich dagegen. Aehnliches bei der eID, als die Fraktion dafür, die Parteileitung dagegen und die Stimmenden der GLP im Nein waren.
Bisweilen kommt es aber auch umgekehrt: Bei den polizeilichen Massnahmen gegen den Terrorismus zog die Jungpartei die Mutterpartei mit in die Opposition. Doch die Wählenden widersetzen sich, insgesamt und bei der GLP. Sie nahmen das Gesetz an.

Das hat auch mit dem Alter der GLP zu tun, die erst 2007 entstand. Namentlich in der Suisse romande ist sie immer noch im Aufbau begriffen. Dafür ist sie vor allem 2019 stark gewachsen. Eine ideale Vermittlung der verschiedenen Strömungen in der Wählerschaft und der Parteielite steht noch aus.
Man findet das auch in der Themenarbeit. Im Parlament ist die GLP weiter als in der Oeffentlichkeit. 2023 will man mit den beiden Schwerpunkten Klima- und Europapolitik in die Wahlen ziehen. Doch in einem der beiden Bereiche wagt es die GLP nicht, sich mit einer Volksinitiative zu profilieren.
Schon einmal hatte man zu viel von sich gefordert, als die Volksinitiative für eine ökologische Steuerreform schweren Schiffbruch erlitt, und man das bisher einzige Mal geschwächt aus der Nationalratswahl hervorging.

Es wird solch mutige Profilierungsschritt brauchen, will man inskünftig aus dem Zentrum heraus die Politik des Bundesrats mit gut sichtbaren Alternativen heraus fordern.
Ohne ein klares Profil im Zentrum könnte sich die Gratwanderung zwischen links und rechts auch einmal rächen. Schnell ist so die Konkurrenz da, die Vorwürfe macht: zu links in Umweltfragen, sagen Teile der Wirtschaft; zu rechts in der Sozialpolitik, moniert man seitens der Gewerkschaften.
Um das zu umgehen, braucht es auch mehr ganz starke Identifikationsfiguren. Auch da gibt es Nachholbedarf. Im Moment strahlen der Parteipräsident Jürg Grossen (Klima-/Solarpolitik), die Fraktionspräsidentin Tiana A. Moser (Europapolitik) und Katrin Bertschi (Frauenpolitik) am meisten aus. Das ist für die ganze Themenbreite und vor allem für alle Landesteile noch zu wenig.

Claude Longchamp