Buchbesprechung: Die SP im Jahr vor den nationalen Wahlen – und darüber hinaus

Verfasst für Links. Magazin der SP Schweiz

Gerade rechtzeitig vor den nationalen Wahlen 2023 ist im Verlag NZZ Libro das Buch «Wählerschaft und Perspektiven der Sozialdemokratie in der Schweiz» erschienen. Verfasst haben es eine Reihe von Politikwissenschafter:innen der Universität Zürich rund um Silja Häusermann.

In ihrem neuen Buch greifen die Politwisschenschafter:innen zunächst gängige Thesen auf, wie etwa die Verlagerung hin zu einer postindustriellen Dienstleistungs- und Wissensökonomie. Es ist auch nicht neu, dass nicht mehr der alte Links/Rechts-Gegensatz vorherrscht, sondern eine ein Konflikt zwischen linksgrünen und rechtsnationalen Bewegungen und Parteien. Klarer als anderswo weisen die Politikwissenschaftler:innen jedoch auf die Herausforderung hin, wonach die SP dadurch die Vertretung von Arbeitsnehmenden neu ausrichten muss.

Doch wer wählt heute überhaupt die SP? Die Wählerschaft hat sich bezüglich Bildung und Alter in den letzten Jahren verschoben. Gut vertreten sind heute soziokulturelle und technische Berufe aus der neuen Mittelschicht. Allerdings ist die Wählerschaft im Vergleich zu den Grünen auch deutlich älter geworden. Vier von zehn sind über 60 Jahre alt!

Wie sehr fühlt sich die Wählerschaft der SP verbunden? Die Sozialstruktur einer Partei wirkt sich in diesem Punkt über die Vermittlung politischer Identitäten aus. Das unterscheiden sich die Wählenden der SP vom Schweizer Mainstream. Sie orientiere sich nicht mehr ausschliesslich an der Schweiz, sondern identifiziere sich verstärkt mit Menschen mit Migrationshintergrund oder mit Feminist:nnen. Dies habe zu einer neuen, recht gefestigten Konfliktlinie in der Schweizer Politik beigetragen, führen die Autor:innen aus.

Mit welchen Themen kann die SP punkten

SP-Wählende stimmen heute bewusst aus einer linken Optik ab, namentlich in verteilungs- und gesellschaftspolitischen Fragen. Hauptgrund dafür, so die Autor:innen, sind die entschieden progressiven Einstellungen der neuen Mittelschichten in Fragen der Migration, Gleichstellung, Integration und Minderheitsrechten. Anders als in der Umweltpolitik sehen die SP-Wählenden ihre Partei hier unverändert eine Führungsrolle.

Auf Zustimmung stossen vor allem gesellschaftsliberale Forderungen zur Zuwanderung, zur multikulturellen Gesellschaft, Integration und Gleichstellung. Sozialpolitisch zeigt sich dasselbe Bild bei den Themen Kinderbetreuung und Frühpensionierung. Moderater sind die bevorzugten Positionen in der Umwelt- oder Mietpolitik. Da denken die Grün-Wählenden radikaler.

Das Potenzial der SP beziffert die umfassende Studie zur Wählerschaft etwas überraschend mit knapp 40 Prozent. Gewählt wird die Partei jedoch bloss von knapp der Hälfte, seit der Klimawahl von 2019 sind es gar noch weniger. Nach Ansicht der Autor:innen wird sich dies nicht so rasch ändern. Immerhin sehen sie bei der grünen und linken Konkurrenz gewisse Chancen, namentlich wenn man sich inskünftig auf eine Verjüngung der Wählerschaft konzentriere.

Starke Empfehlung für strategische Korrektur

Damit dies gelingen kann, seien strategische Korrekturen nötig, folgern die Autor:innen der Untersuchung: Sie empfehlen, dass sich die SP als Polpartei in der direkten Demokratie neu erfinden muss. Bisher zahlt sich die Polarisierung mit einer gestiegenen Wahlbeteiligung aus. Allerdings hat dies die Konkurrenz im linken Lager verstärkt.

Mit Grund: Die Autor:innen schreiben, die SP sei im Regierungslager zunehmend isoliert, was linke und linksliberale Oppositionsparteien befördere. Deshalb sei die Linke in der Schweiz auf die Allianz mit der GLP angewiesen. Bei Referenden funktioniere das bereits recht gut, bei Initiativen seit Neuestem punktuell auch.

Weil SP und Grüne zusammen recht konstant bei 30 Prozent Anteil Wähler:innen verharren, wird sich nach Ansicht der Autor:innen an der rotgrünen Doppelvertretung im Bundesrat nicht viel ändern. Dafür wäre eine mittelfristig progressiv und ökologisch ausgerichtete Politik mit der GLP nötig, damit das Lager national auf einen Anteil Wähler:innen von knapp 40 Prozent käme, was im Bundesrat zu einer Verstärkung der progressiven Kräfte führen könnte.

Das neue Buch ist sehr breit dokumentiert, anteilnehmend und kritisch zugleich. Es überzeugt in der Analyse über weitere Strecken. In den Schlussfolgerungen wird es wohl noch viel zu diskutieren geben.