Viel Sympathie, aber nicht mehr: Erstanalyse der Abstimmung über die Massentierhaltung

Die Massentierhaltungsinitiative scheiterte heute. 62 Prozent der Stimmenden waren gemäß Hochrechnung dagegen. Das ist deutlich genug, um von einem Nein zu sprechen. Eine Ursachenanalyse.

Bei rotgrünen Volksinitiativen kennt man den sog. Rutschbahneffekt bestens: Es beginnt gut, endet aber schlecht für die Initiative. Am Anfang diskutiert man über das Problem, dann über dessen Lösungen.
Auch im Abstimmungskampf zur Massentierhaltungsinitiative kippten die anfänglich positiven Vorberfragungen ins Negative. 52-60 Prozent Nein gab es schon vor 2 bis 3 Wochen – Trend negativ. Dem folgte die Wettbörse «50Plus1». Die Erwartungen der Börsianer pendelten sich schliesslich bei einem prognostizierten Nein-Anteil von 50-59 Prozent ein.
Für Fachleute zeichnete sich die Abstimmungsniederlage schon nach der Parlamentsberatung ab. Beide Kammern stellten sich klar dagegen. Hochrechnungen aus dem Nationalrat sprachen für einen erwartbaren Nein-Anteil von rund 59 Prozent. Die KI-Analyse des Bundesbüchlein suggerierte ein Nein von 60 Prozent. Und der umgerechnete Parolenspiegel kam auf 59 Prozent Nein.
Auf gut Deutsch hiess dies: Die Nein-Allianz war mächtig genug, hielt sich und konnte kommuniziert werden.

Grenzen postmaterialistischer Forderungen
Postmaterialistischen Forderungen haben es schwer, mehrheitsfähig zu werden. Das gilt selbst für die reiche Schweiz mit einem fortgeschrittenen sozio-kulturellen Wandel. Denn der zeigt drei, nicht zwei Wertmuster: Postmaterialismus, Materialismus und gemischte Werte. Keine Gruppe hat eine Mehrheit hinter sich, deshalb entscheidet die Mischgruppe. Und sie schwankt zwischen gängiger Kritik an der Leistungsökonomie und eigenen materiellen Erwartungen.
Einen Vorgeschmack gab es letzten Sommer, als die beiden Agrarinitiativen nach einer heftigen Kampagne der bäuerlichen Kreise am Stadt/Land-Graben scheiterten. Sie machten deutlich, wie gut der Schweizerische Bauernverband zwischenzeitlich gelernt hat, Kampagnen auf dem Land zu fahren und gegen Initiative zu kommunizieren. Diesmal waren ihre Aktivitäten etwas weniger heftig, dafür besser in die Kampagne der Wirtschaftsdachverbände eingebettet.
Dem Verbund half die Zukunftsskepsis angesichts steigender Preise und beschränkter Aussichten auf Lohnverbesserungen. Experimente mit unsicherem Ausgang sind nicht angezeigt. Schadensminimierung lautet die Devise.

Eingespielte Gegensätze
Die beiden Lager merkten früh, was sie trennte: Die Gegnerschaft sprach selbstbewusst von der Tierhaltungsinitiative, denn sie negierte im Vergleich mit dem Ausland das Problem Massentierhaltung. Ein Ja würde nur den Tier-Import steigern und die Selbstversorgung schmälern, argumentierte sie. Anders kommunizierten die Befürworter:innen: Sie zeigten exemplarisch, wie Schweine und Hühner auch in der Schweiz zu reinen Produktionsfaktoren degradiert werden. Und sie verlangten einen neuen Lifestyle, etwa beim Fleischkonsum.
Der Argumententest von gfs.bern legte nah, dass die gegnerische Optik mehr Wirkungen auf die Stimmabsichten haben würde. Stellt man auf alle getesteten Argumente ab, stehen die teilnahmewilligen Stimmberechtigten inhaltlich zu 53 Prozent der Nein-Seite, zu 44 Prozent der Ja-Seite näher. Die wirksamste Hauptbotschaft war dabei, dass die Schweizer Tierschutzgesetzgebung strenger sei als die ausländischen. Das sprach für ein Nein.

Kampagnen verstärkten Nein-Trend
Die Kampagnen dürften das alles verstärkt haben. Die APS Inserate-Analyse verwies auf ein Werbeverhältnis von 85 zu 15 zugunsten der Gegnerschaft. Etwas weniger einseitig, mit 2 zu 1 aber immer noch klar im Nein, bilanzierte Mediafocus die eingesetzten Werbemittel.
Die Modellprognostiker, welche verschiedene dieser Indikatoren kombiniert hochrechnen, kamen auf hochgerechneter Nein-Anteil von 59 bis 63 Prozent. Volltreffer!
Die einzige kleine Unsicherheit ergab sich aus der Medienanalyse von foegUZH. Der Endstand ergab 55 Prozent Artikel näher beim Ja, 45 mehr beim Nein. Viel medial Sympathie, aber zu wenig, um das Blatt noch zu wenden.

Nachanalyse LeeWas
Die erste Nachbefragung zeigt vor allem den Unterschied nach Parteiwählerschaft. Klar dafür war nur die Basis der Grünen. Mehrheiten gab es bei der SP und der GLP. Geschlossen war die Ablehnung allerdings nicht. Die bürgerlichen Wählerschaften war deutlich im Nein. Zustimmungsmehrheiten gab es ferner nur in den Grossstädten.


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Bilanz
Es ist die fünfte, ökologische Volksinitiative zur Landwirtschaft die seit 2018 scheiterte. Alle kamen nicht über 40 Prozent Zustimmung hinaus. Das Muster wiederholt sich. Diesmal war die Initiative etwas bei den Uebergangsfristen moderat. Doch sie scheiterte vergleichbar klar. Der Angriff auf die Landwirtschaft polarisiert zu stark. Gefragt sind pragmatische Schritt, die den Konsum verändern. Darauf reagiert der Markt fast sicher.

Claude Longchamp