Eidg. Abstimmungen vom 24.9.22: Der Parolenspiegel ist komplett

Die Parolen für die eidg. Abstimmungen vom 25. September 2022 sind seit heute komplett. Sie machen eine klare thematische Polarisierung der Parteienlandschaft im Links/Rechts-Spektrum deutlich. Die Frage ist, ob es am 25. September auch drei Ja und ein Nein gibt?

Die parteipolitische Polarisierung

Die beiden AHV Vorlagen und die Verrechnungsteuer werden von SVP, FDP, Mitte und EDU befürwortet. Sie alle lehnen auch die Massentierhaltungsinitiative ab. Den Gegenpol bilden SP, GPS und Piraten, denn sie empfehlen genau das Gegenteil. Die Grünliberalen stimmen allen Vorlagen zu. Die EVP ist bei der AHV auf bürgerlicher Seite, bei der Verrechnungssteuer im linken Lager. Zur Massentierhaltungsinitiative fasste man keine Empfehlung.
Alle Vorlagen polarisieren klar im Links/Rechts-Spektrum. Das bürgerliche Lager und Rotgrün stehen jeweils geschlossen da. Zerrissen ist einzig das Zentrum. Die Mitte-Partei ist bei dem Bürgerlichen, die Piraten sind bei den Linken, und die GLP resp. EVP gehen eigene Wege.
Das hat auch mit dem jeweiligen Verbandshintergrund der Polarisierung zu tun. Die Dachverbände der Wirtschaft (economiesuisse, Gewerbeverband, Arbeitgeber und Bauernverband) bilden eine breite Allianz und fördern bürgerliche (Wirtschafts)Politik. Die Gewerkschaften machen Gleiches auf linker Seite. Andere Akzentsetzungen gibt es eigentlich nur bei der Masstierhaltung.
Das hat zunächst mit den Vorlage zu tun: Finanz-, Sozialpolitik und Umweltpolitik sind Bereiche mit klar gegensätzlichen Interessenvertretungen. Spielräume für lagerübergreifende Kompromisse sind kaum mehr vorhanden, ein Jahr vor den eidg. Wahlen schon gar nicht. Vielmehr ist angesagt, sich klar zu Positionen zu beziehen.

Parolenspiegel und Abstimmungsausgänge

In der laufenden Legislaturperiode waren die Grünliberalen die Partei mit der höchsten Übereinstimmung von Parolen und Abstimmungsmehrheiten. Spricht das für ein vierfaches Ja am25. September?
Man kann das bezweifeln. Denn perfekt die Kongruenz auch bei der GLP nicht. Der Parolenspiegel als Ganzes ist da schon besser, wenn auch nicht immer. Nötig ist es, Zwischenschritte einzulegen.
Der erste besteht in der Bestimmung der zustimmenden Allianzstärke. Die Ja-Parolen der Pareien ergeben, umgerechnet in ihre Wählendenstimmen bei den Nationalratswahlen 2019, 65 Prozent bei den AHV-Vorlagen. Bei der Verrechnungssteuer kommt man so auf 62 Prozent. Ganz anders sieht es bei der Massentierhaltungsinitiative aus. Da ergibt die Ja-Allianz gerade mal 38 Prozent. Das sortiert die Annahmechancen schon mal. Doch sind noch keine direkten Abstimmungsprognosen. Dafür braucht es eine Umrechnung, welche die bisherigen Erfahrungen mit solchen Allianzstärken berücksichtigen. Bei den AHV-Vorlagen kommt man so auf 59 Prozent Zustimmung, bei der Verrechnungssteuer auf 56 Prozent. Zur Massentierhaltung ergibt diese Hochrechnung ein Ja von 39 Prozent.

Parolen und Umfragen im Vergleich

Die ersten Umfragen bestätigen das teilweise. Die AHV-Reform kommt bei der Tamedia-Umfrage auf 53 resp. 58 Prozent, bei der SRG-Erhebung auf 64 bzw. 65 Prozent. Auch das deutet auf ein Ja am Abstimmungstag hin. Die Deblockierung der Rentenpolitik durch die BürgerInnen würde damit Tatsache werden, wohl mit einem deutlichen Unterschied im Stimmverhalten von Männern und Frauen.
Anders sieht es bei der Massentierhaltung aus. Die Initiative kann gemäß Umfragen in der Ausgangslage mit 55 resp. 51 Prozent rechnen. Doch dürfte der übliche Prozess der Meinungsbildung bei linken Initiativen erst noch einsetzen, bei dem sich anfängliche Sympathien im Zentrum mit dem Abstimmungskampf verringern. Das dürfte zu einem Kippen der Mehrheit führen, wie es die Parteiparolen nahe legen.

Knacknuss Verrechnungssteuergesetz

Nochmals anders ist der Fall der Verrechnungssteuer. Die Umfragen sind sich in der Ausgangslage uneinig, schwanken zwischen 30 und 49 Prozent Zustimmungsbereitschaft. Das ist jedoch so oder so tiefer, als es die Parteiparolen und ihre Hochrechung erscheinen lassen.
Man kann das auch so interpretieren: Allianzmässig hat die Vorlage zur Teilabschaffung der Verrechnungssteuer durchaus Annahmechancen. Seitens der Stimmberechtigten kommt es aber stark auf den Abstimmungskampf an. Möglichen Vorteilen für Staatseinnahmen stehen Nachteile bei der Steuerhinterziehung gegenüber. Das lädt zu einer Argumentation ein, zwischen einem Plus für Bevorteilte und einem Minus für die Allgemeinheit zu unterscheiden, die allfällige Steuerausfälle kompensieren müssten.
Das mag zwar populistisch klingen, ist aber in der Wirkung auf die Meinungsbildung und Mobilisierung nicht zu unterschätzen. Denn es hat das Potenzial, eine Kluft zwischen Parlament und Stimmenden entstehen zu lassen, wie man das schon bei der Abstimmung über die Stempelsteuer gesehen hat.