Schwarze Kassen, explodierendes Kernkraftwerk und die erste Hochrechnung zu Wahlen im Kanton Bern

Mir ist die kantonale Wahl gut in Erinnerung geblieben, weil es die erste war, die ich als junger Politikwissenschafter ganz nahe verfolgen, analysieren und kommentieren durfte. Für das damalige Forschungszentrum für Schweizer Politik der Uni Bern machte ich gemeinsam mit Hans Hirter auch meine erste Hochrechnung.


Links Benjamin Hofstetter, rechts Leni Robert, 1986 neu gewählte Grüne im Regierungsrat

Die spannende Ausgangslage – das überraschende Resultat
Die Spannung war gross. Die Finanzaffäre rund um Geldzahlungen des Kantons bei der Jura-Abstimmung prägte das Geschehen. Die Freie Liste hatte sich von der FDP abgespalten. Sie beteiligte sich erstmals an den Wahlen.
Dennoch brachten SVP und SP ihre 4 resp. 3 KandidatInnen für den Regierungsrat im ersten Wahlgang durch. Die FDP musste aber in den zweiten Wahlgang, wo sie beide Sitze an die Freie Liste verlor. Bei den Parlamentswahlen hielt sie sich schadlos, die Zeche bezahlte vor allem die SVP. Grosse Siegerin war auch hier die Freie List, die auf Anhieb Fraktionsstärke erlangte.
Nach der zweiten Runde war der Regierungswechsel perfekt. Rotgrün hatte eine Mehrheit in der Regierung. Die Bürgerlichen dominierten aber weiterhin das Parlament.

Der erste Wahlgang
Im ersten Wahlgang gastierten wir im Radio Studio an der Schwarztorstrasse. Die Idee für die Neuerung hatte Hans Räz, damals beim «Regi» Redaktor. Kurzfristig stellten wir ein Team zusammen, entwarfen wir ein Computer-Programm und nahmen im Studio Einsitz.
Das Interesse an der Innovation war gross, selbst Kandidaten kamen vorbei und schauten uns über die Schulter. Je nach Hochrechnungsergebnis zuckten sie ihre oder stellten sie ihre Brust. Der FDP-Sekretär ging an diesem Abend frühzeitig nach Hause.
Die Hochrechnung hatte schon früh am Nachmittag der ersten Runde ergeben, dass eine Wende nach rechts möglich würde. Aber eine nach rechts! Denn die SVP hatte durchaus die Aussicht, im Regierungsrat einen Sitz zu gewinnen und damit die absolute Mehrheit zu erreichen.
Selbst am Wahlabend mit den Endresultaten war das möglich, wenn auch nur über den zweiten Wahlgang. Einzelne KandidatInnen feiert bereits. Die Parteileitung beendete jedoch die Spekulationen rasch, denn sie wollte in der politisch angespannten Situation auf keinen Fall für Regierungsentscheidungen alleine verantwortlich sein. So beteiligte sich die Partei nicht an der zweiten Runde.
Dafür musste die FDP zittern. Die Staatsgründerin hatte erstmals in der Nachkriegszeit keine Listenverbindung mit der angeschlagenen SVP gebildet, dafür selber drei KandidatInnen ins Rennen geschickt. Damit kündigte sie den freiwilligen Berner Proporz mit 4 SVP, 3 SP und 2 FDP auf. Die SVP ging ihrerseits in die Offensive und nominierte sechs Anwärter auf einen Regierungssitz.
Der Mut der FDP kam ihr teuer zu stehen, die stimmen für ihre Bewerbungen verteilten sich, sodass sie in den zweiten Wahlgang musste. Nicht einmal die Jura-Kandidatin kam auf Anhieb durch.
Da die Freie Liste nach den turbulenten Tagen mit der Finanzaffäre die vakanten Sitze der FDP nicht überlassen wollte, trat sie mit Leni Robert und Benjamin Hofstetter zu finalen Kampf an. Letzterer bewarb sich auch für den garantierten Jura-Sitz.
Am Wahlabend war die Sensation gross. Es gab eine rotgrüne Regierungsmehrheit und erstmal hatte der Kanton Bern eine Regierungsrätin bekommen. Die FDP war nach 132 Jahren erstmals nicht in der Kantonsexekutive vertreten.

Der zweite Wahlgang
Die zweite Runde war nicht minder spannend. Denn nur wenige Tage davor war der Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl. Der Schock sass uns allen in den Knochen, und die Hauptfrage war, ob es nun zur Wende nach links kommen würde.
Die Hochrechnung fand nun im Rathaus selber statt. Geleitet wurde das kleine Studio im obersten Stock von Heinz Däpp. Als das Resultat bekannt war, lud er die neu gewählten Grünen zum Interview. Benjamin Hofstetter, ganz neu im Rathaus, fand dann als gewählter Regierungsrat den Ausgang nicht. Ich musste ihn schliesslich selber nach draussen begleiten.
Da feierte die Freie Liste mit ihrer Musik aus der Karibik schon kräftig den doppelten Wahlsieg. Ein Hauch von Revolution lag in der Abendluft.

Die Folgen
Die Wahl blieb nicht ohne Folgen. Leni Robert übernahm die Erziehungsdirektion und griff in die chaotischen Zustände an verschiedenen Uniinstituten direkt ein. Der Direktor der Soziologen wurde frühpensioniert, und bei den Politologen wurden Wolf Linder, bei den Medienwissenschaft Roger Blum als neue Institutsleiter gewählt.
Die Hochrechnung von 1986 hatte sich bewährt. Sie wurde mehrfach wiederholt. 1992 durfte ich dann beim der EWR-Entscheidung erstmals für die SRG die nationale Hochrechnung machen. Auch das wurde zur Tradition, die es heute noch gibt.