Ja, Ja, Ja – wenn auch mit ein bis zwei Fragezeichen

Bereits liegen drei Mittelfrist-Prognosen zu den eidg. Abstimmung vom 15. Mai 2022 vor. Was sie aussagen, und wie sicher sie schon sind in meiner Kurzanalyse.

Eines ist klar: Der Krieg in der Ukraine überlagert gegenwärtig auch die Schweizer Politik. Er kam letztlich unerwartet, veränderte die öffentliche Agenda und lässt neue Allianzen entstehen. Das bleibt nicht ohne Folge für den Abstimmungskampf zu den eidg. Vorlagen, über die am 15. Mai befunden wird.
Diese ausserordentliche Situation erschwert die Einschätzung, wie erfolgreich die drei zustande gekommen Referenden zum Filmgesetz, zum Transplantationsgesetz und zum Frontex Abkommen sein werden.
Um so hilfreicher sind Tools, die unabhängig von Interessen und individuellen Präferenzen helfen, die Lage zu analysieren.

Mittelfrist-Prognose und ihre Aussagen
Zu diesem Instrumenten zählen frühzeitig namentlich
. die Extrapolation der Schlussabstimmungen im Nationalrat
. die automatische Inhaltsanalyse des eben erschienenen Bundesbüchleins und
. die Wettbörse.
Was sie machen ist am Ende dieses Textes erklärt. Hier zählt, wie gut sie als Mittelfrist-Prognose geeignet sind. Generell gilt: Alle haben ihre Stärken in der Vergangenheit bewiesen, ohne fehlerfreie Prognosen zu liefern.
Die hochgerechnete Schlussabstimmung in der grossen Kammer, aber auch die Inhaltsanalyse der Abstimmungsbroschüre sind gelegentlich zu behördennahe. Sie erfassen damit speziell ausserparlamentarische Oppositionen nicht hinreichend. Die Wettbörse wiederum ist nicht ganz stabil, reagiert vor allem auf starke Ereignisse, nach denen sich die Erwartungen verändern. Im aktuellen Fall war das der Krieg in der Ukraine, der die angenommenen Zustimmungschancen ansteigen liess.
Nun besagen alle drei Tools das Gleiche. Sie gehen von einem dreifachen Ja aus, das heisst, alle Vorlagen gegen die Unterschriften gesammelt wurden, würden am 15. Mai 2022 angenommen werden.
Am sichersten ist die Aussage beim Transplantationsgesetz. Es wird durchwegs mit einem Ergebnis nahe dem 2:1 für die Behörden gerechnet.
Weniger eindeutig ist es beim Filmgesetz resp. bei der Frontext-Vorlage. Die Vorhersagen gehen ausnahmslos von einem Ja zwischen 50 und 60 Prozent aus.

Qualifizierung der Prognosen
Beginnen wir mit dem Referendum zu Frontex. Da wird es entscheidend sein, ob es zu einer doppelten Opposition bestehend aus linker und rechter Gegnerschaft kommt oder nicht. Denn das würde die Annahmechancen klar schmälern. Das Ja-Lager aus der Mitte hat diese Gefahr erkannt und mit dem Doppelauftritt der BundesrätInnen Karin Keller-Sutter und Ueli Maurer früh antizipiert. Sie setzt primär darauf, dass ihr die SVP auch an der DV im April die Stange hält. Zudem werden die Dissonanzen im linken Lager betont.
Beim Filmgesetz hat sich die Ausgangslage durch die Nein-Parole der FDP bereits etwas verschoben. Im Parlament war die Mehrheit dafür, an der Delegiertenversammlung klar dagegen. Das relativiert den vergleichsweise hohen Wert bei der Hochrechnung der Schlussabstimmung in der grossen Kammer. Offensichtlich wurde bis jetzt allerdings, dass es einen Sprachengraben gibt. In der Suisse romande ist die Zustimmung unter meinungsbildenden Akteure fast parteiübergreifend hoch. In der deutschsprachigen Schweiz ist eine Konflikt entstanden, entfacht von den Jungparteien Mitte/Rechts.
Fast unbestritten ist bis jetzt das Transplantationsgesetz. Bekämpft wird es ist nur in klar konservativen Kreise. Die einzige Ueberraschung gelang bis jetzt der auflagenstarken Zeitschrift K-Tipp, die prominent die Frage aufwarf, «wann ein Toter wirklich tot sei».

Was der Abstimmungskampf bringen kann
Man kann insbesondere bei der Frontex Vorlage wie auch beim Filmgesetz die Frage aufwerfen, ob es im Abstimmungskampf noch zu einem Kippen der Zustimmung kommt. Das war ja bei Referenden in jüngster Zeit gleich mehrfach der Fall war.
Das schliessen die Mittelfrist-Prognosen, die jetzt vorliegen, an sich nicht aus. Nötig ist aber, dass es zu einer ausserordentlichen Kampagne aus den Nein-Lagern kommt, dass die Beteiligung überdurchschnittlich ist und vor allem die Mobilisierung asymmetrisch ausfällt. Das geht mit einer Behörden-skeptischen Oeffentlichkeit einher.
Bis jetzt ist das allerdings kaum der Fall. Sollte es eintreten, werden die Prognosewerte für das Ja sinken.
Insofern kann man das dreifache Ja in ein bis zwei Fällen mit einem Fragezeichen versehen. Umfragewerte und Medienanalysen werden hier helfen, eine präzisierte Einschätzung vorzunehmen.

Erläuterungen zu den Tools
Hochrechnung der Schlussabstimmungen im Nationalrat: Regressionsanalyse zum Zusammenhang von Ja-Stimmen in der grossen Kammer resp. der Volksabstimmung. Basis: alle Vorlagen seit 1990, getrennte Auswertung für Behördenvorlagen und Volksinitiativen. Quelle: www.zoonpoliticon.ch
Inhaltsanalyse Bundesbüchlein: Forschungsprojekt seit dem 21. Mai 2017. Auswertung des Textes, der in alle Haushalt verschickt wird mittel machine learning. Klassifikationsanalyse für qualitative, Regressionsanalyse für quantitative Aussagen zum Ausgang und zum Ja-Anteil. Forschungsprojekt Quelle: https://www.stellus.ch/
Wettbörse «50plus1»: Panel mit anonymen AbstimmungsprognostikerInnen, die laufend evaluiert werden. Fiktive Wetteinsätze zum erwarteten Abstimmungsausgang, der sich bei genügend Interaktionen einpendelt. Aussagen zum wahrscheinlichen Ausgang resp. zum wahrscheinlichsten Range für den Ja-Wert: www.50plus1.ch
Mittelfrist-Prognose: Sie liegen letztlich vor dem Abstimmungskampf vor. Mit diesem kommen neue Tools wie Umfragen, Medienanalysen und Kombinationen alles Tools hinzu.