Umfrage zu den Berner Regierungsratswahlen: Vorteile für Bisherige

Die Berner Medien veröffentlichen heute die erste (und letzte) Umfrage zu den Berner Regierungsratswahlen. Was sie warum gesichert zeigen, und was noch offen ist, in meiner Kurzanalyse.


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Was die Wahlforschung weiss
Hätte ich keine Umfragen vor eine Regierungsratswahl zur Verfügung, würde ich alleine auf die folgenden, bewährten Erkenntnisse der Wahlforschung setzten:
1. Bisherige werden wiedergewählt, wenn sie skandalfrei sind und nicht zu oft wiederkandidieren.
2. Neue, die Bisherige ersetzen und aus der gleichen Partei stammen, haben erhöhte Wahlchancen.
3. Neue, die aus bisherigen Nicht-Regierungsparteien stammen, haben verringerte Wahlchancen, solange kein übergeordnetes Wendemoment besteht.
4. Die Hausmacht der Kandidierenden, bestehend aus Partei- resp. Allianzstärke bestimmt die individuellen Wahlchancen namentlich der Neuen mit.
Hat man Umfragen zu einer Regierungsratswahl zur Verfügung, kann man diese Erkenntnisse überprüfen und sie als Interpretationsrahmen verwenden.
Das ist im Kanton Bern seit heute morgen der Fall!

Was die ersten Befragungsergebnisse sagen
Gemäss dem Bericht in “BernerZeitung” und “DerBund” über die “LeeWas”-Erhebung haben die sechs bisherigen RegierungsrätInnen intakte Wiederwahlchancen.
Am knappsten erscheint das bei Christoph Neuhaus, der seit 2008 im Amt. Es wäre seine vierte Wiederwahl. Das ist zwar viel, im Kanton Bern aber nicht unmöglich.
Die anderen Wiederkandidierenden sind zwischen 4 und 7 Jahre im Amt. Für Evi Allemann (SP) und Philippe Mueller (FDP), wäre es die erste Wiederwahl, für die anderen die zweite, allerdings alle mit erst einer vollen Legislaturperiode.
Von wirklichen Skandalen wurde keine(r ) der bisherigen Amtspersonen erschüttert. Am umstrittensten war in den letzten Jahren wohl die Corona-Politik der Regierung, die aber über weite Strecken Zustimmung fand. Umstritten waren allenfalls die Schliessung von Clubs (Schnegg) und die Schulpolitik (Häsler).

Was noch offen ist und was nicht
Auf dem entscheidenden siebten Platz ist Astrid Bärtschi, die neue Kandidatin der neuen Mitte-Partei. Sie bewirbt sich auf dem bürgerlichen Ticket, das SVP, FDP und Mitte vereint. Zusammen kamen sie 2018 auf fast 50 Prozent der Wählenden.
Das Umfrage-Ergebnis spricht dafür, dass die BDP, die in Bern als grösserer Partner in der Mitte aufgegangen ist, ihren bisherigen Sitz verteidigen könnte. Damit wäre auch diese Erwartung erfüllt.
Auf dem ersten Platz, der nicht in den Regierungspart führen dürfte, liegt der dritte SP-Kandidat Erich Fehr. Er wird von seiner Partei und den Grünen unterstützt.
Zusammen kam diese Allianz 2018 auf 32 Prozent, also deutlich weniger als die bürgerliche. Zudem müsste sich Fehr wohl auch gegen eine(n) Bisherigen auf der eigenen Liste durchsetzen, um sicher gewählt zu werden. Seine Platzierung entspricht deshalb durchaus der Erwartung.
Wenig aussichtsreich erscheinen die weiteren KandidatInnen der GLP und der EVP. Sie bilden zwar eine gemeinsame Allianz, die auf 13 Prozent kommt. Doch vereint sie vor allem der versuchte Griff nach der politischen Macht. Gesellschaftspolitisch vertreten ihre Parteien recht unterschiedliche Positionen. Für einen sicheren Erfolg fehlt das Wendemoment.

Was man weiter beachten sollte
Definitiv gemacht sind die Meinungen allerdings nicht. Denn die Umfrage fand zwischen dem 21. und 28. Februar statt, also einen Monat vor dem Wahlsonntag. Da bleibt gerade bei Personenwahlen immer noch Spielraum – auch wenn die Umfrage nicht sagt, wie viele unentschieden waren.
Ausschliessen kann man eigentlich nur, dass es zur grossen Ueberraschung kommt. Dafür fehlt es bei diesen Wahlen eindeutig am Wende-Moment. Sie verlaufen stark nach dem gewohnten Muster. Ein eigentliches Streitthema fehlt, und für eine unerwartet hohe Beteiligung spricht gegenwärtig nichts.
So kann man die Umfrageergebnisse durchaus als erste verbindliche Vorgabe sehen.
Dabei sollte man allerdings nicht übersehen, dass die Differenz zwischen dem 7. und 8. Platz nur gerundete 3 Prozentpunkte in einer Umfrage beträgt. Und dies bei einem angegebenen Unsicherheitsbereich von +/- 2.6 Prozentpunkten. Da kann man qualitativ relevante Verschiebungen nicht ganz ausschliessen.

Claude Longchamp, Politikwissenschafter