Sind Abstimmungsprognosen ohne Umfragedaten möglich?

Gastbeitrag Michelle Huber, Politikwissenschaftlerin

In einem Master-Seminar am Institut für Politikwissenschaft wurde die Abstimmungsresultate für den 13. Februar 2022 im Voraus prognostiziert. Dabei ging es darum, Alternativen zu Umfragen zu finden. Ganz kommt man wohl nicht aus, aber beschleunigen und präzisieren kann man sie.

Unter der Leitung von Claude Longchamp machten Studierende und ich es uns zur Aufgabe, möglichst frühe und präzise Abstimmungsprognosen zu erstellen. Dafür haben wir Daten aus dem parlamentarischen Prozess und dem Abstimmungskampf getestet und analysiert.
Wir haben schnell gemerkt, dass frühe Prognosen nicht genau genug sind. Doch kamen wir Verbesserungen auf die Spur. Als gute Prädiktoren haben sich aber die Schlussabstimmung im Nationalrat, der Wähler:innenanteil der Parteien, welche die Ja- respektive die Nein-Parole beschliessen, die Medienresonanz und die SRG-Umfragen herausgestellt.
Eine Kombination von diesen Faktoren, welche die Meinung des Parlaments, die parteipolitischen Konflikte im Abstimmungskampf, die mediale öffentliche Meinung und die Abstimmungsabsichten der Bevölkerung abbilden, erlaubt vielversprechende Prognosen.

Meine Prognosen für den 13. Februar 2022
Meine Prognosen für die Abstimmungen vom 13. Februar basierten auf einem solchen multivariaten linearen Regressionsmodell, die Datengrundlage waren Abstimmungen seit 2014. Meine Prognosen waren bei der Mehrheit durchwegs richtig. Die durchschnittliche Abweichung lag bei 3.2% Prozentpunkten. Am grössten war die Abweichung beim Referendum zur Abschaffung der Stempelsteuer, bei dem der Ja-Anteil leicht überschätzt wurde.
Es darf hier angemerkt werden, dass der letzte Abstimmungssonntag mit zwei abgelehnten Behördenvorlagen und einer angenommenen Volksinitiative einen Ausreisser als einen Normalfall darstellt.

Weniger ist mehr?

Sara Taner, eine unserer Student:innen, hat mit einem noch etwas sparsameren Modell ohne Umfragedaten eine sehr genaue Prognose gemacht. Sie hat den Ja-Stimmenanteil in der Schlussabstimmung im Nationalrat und die Medientonalität genommen. Damit hat sie bei den den beiden Initiativen die effektiven Abstimmungsergebnisse auf 3.4%-Punkte respektive 2.5%-Punkte genau prognostiziert. Bei der Tabakwerbeverbotsinitiative wurde der Ja-Stimmenanteil etwas unterschätzt, bei der Versuchsverbotsinitiative etwas überschätzt. Mit durchschnittlich weniger als 3%-Punkten Differenz mit nur zwei Prädikatoren ist dieses Modell jedoch schon sehr gut.

Umfragedaten sollten mit anderen Faktoren kombiniert werden
Sowohl meine wie auch Sara Taners Prognosen zeigen, dass sich Abstimmungen mit Faktoren aus dem Parlamentarischen Prozess und der öffentlichen sowie medialen Meinung robust prognostizieren lassen. Die Kombination von Faktoren, welche die verschiedenen Konflikte und die Meinungen verschiedener politischer Akteur:innen – Parlament, Parteien, Medien, Stimmbevölkerung – abbilden, haben die genausten Prognosen ergeben.
Es ist vielversprechend, die auf Umfragedaten basierenden Prognosen um andere Faktoren zu ergänzen. Es bleibt interessant zu untersuchen, welche Faktoren die besten sind und ob noch andere weitere Faktoren hinzugefügt werden können, um die Prognosen noch genauer zu machen.