Nach den Umfragen die Prognosen

Nun liegen die Prognosen zu den eidg. Volksabstimmungen vor. Vordergründig machen sie eindeutig und einheitliche Aussagen: Ja zur Beschränkung der Tabakwerbung, Nein zu den drei anderen Vorlagen. Hintergründig gibt es gewichtige Relativierungen.


Grafik anclicken, um sie zu vergrössern

Die neusten Entwicklungen
Politologe Thomas Willi setzte als Erster künstliche Intelligenz ein, um Abstimmungsausgänge zu prognostizieren. Dafür verwendet er reale, aber zurückliegende Abstimmungs- und Umfrageergebnisse von LeeWas. Ihm folgte Sebastien Perseguers, ein selbständiger Informatiker aus Fribourg. Sein Modell setzt ebenfalls KI ein, ist aber komplexer. Es nimmt Umfragen und Medienanalysen auf, die 10 Tage vor dem Abstimmungssonntag verfügbar sind. Neu hinzu gekommen ist diesmal noch Nick Glättli, Student der Politikwissenschaft an der Uni Zürich. Er stützt sich auf Schlussabstimmungen im Parlament und auf frühe Umfrageergebnisse.

Die Prognosen
Wie gut die Vorhersagen stimmen, wissen wir erst am 13. Februar 2022. Letztlich wird das der entscheidende Test ein. Allerdings interessieren bei Vorhersagen auch andere Kriterien wie der Zeitpunkt und die Sicherheit der Aussage.
Beim Tempo obsiegt Glättli. Dass er nur frühe Umfragen verwendet, bringt ein erhöhtes Risiko mit sich. Dafür ist es schneller.
Das Risiko wird generell durch Unsicherheitsmargen gemindert. Diese sind methodisch korrekt, haben aber den Nebeneffekt, die gemachten Aussagen erheblich zu relativeren.
Letztlich sind nur die Mehrheiten bei Sébastien Perseguers eindeutig. Denn bei den beiden anderen Prognosen sind die Schwellenwerte für ein Ja oder ein Nein – ausser beim Versuchsverbot – alle im Unsicherheitsbereich. Faktisch heisst das, dass man mit 95prozentiger Sicherheit keine valide Aussage über den Ausgang machen kann.
Bei Willi wirkt das besonders unausgereift. Denn beim Versuchsverbot prognostiziert er 14% Ja, bei plus/minus 28% Unsicherheit. Willis Vorteil besteht allerdings darin, den Grad der Unsicherheit noch zu qualifizieren. Ein Ja zum Versuchsverbot sei «sehr unwahrscheinlich», eine Zustimmung zum Tabak-Initiative «eher wahrscheinlich» und eine positive Mehrheit zur Stempelsteuer- resp. zum Medienpaket «eher unwahrscheinlich».
Sieht man von den Spezifizierungen ab, kann man aus den drei fast gleichlautenden Prognosen den Schluss ziehen. Die Begrenzung der Tabakwerbung bekommt eine mehrheitliche Zustimmung im Volksmehr, die drei anderen Vorlagen scheitern.
Die einzige, nicht berücksichtigte Eventualität ist ein Auseinanderklaffen von Volks- und Ständemehr, wie es wenigstens bei der Tabakwerbung vermutet werden kann.

Mein Kommentar
Es ist ein Fortschritt, dass zwischenzeitlich genauer zwischen Umfragen und Prognosen unterschieden wird. Jene sind letztlich Momentaufnahmen, diese verweisen auf einen kommenden Zustand.
Dabei sind die neuen Vorhersage-Tools keine Alternative zu Umfragen, denn die bisherigen Prognosen setzen solche voraus. Sie sind eher als eine Form der Veredelung von Umfragen anzusehen.
Im Herbstsemester 2021 habe ich mich in einem Forschungsseminar an der Uni Bern mit meinen StudentInnen ausgiebig mit Prognosen zu Volksabstimmungen beschäftigt. Zielsetzung war, neue Prognoseverfahren zu entwickeln, die sich gar nicht mehr auf Umfragen beziehen und damit einer Alternative hierzu sein könnten. Man kann gespannt sein!