Wie die Aufmerksamkeit im kommenden Abstimmungskampf verteilt sein dürfte

Für den 13. Februar 2022 mit vier Abstimmungsgegenständen kann man vorerst von einer Stimmbeteiligung von 50-55 Prozent ausgehen. Und man kann mit einer Hierarchisierung der Vorlagen im Abstimmungskampf rechnen. Wie man das abschätzen kann, zeige ich in diesem Blog.

Die Teilnahmeforschung zu Volksabstimmungen weiss, dass die mittlere Beteiligung an einem Abstimmungssonntag unter anderem von der Zahl Vorlagen abhängt. Drei Vorlagen mobilisieren mehr als 2 Vorlagen. Die durchschnittliche Differenz beträgt 5 Prozentpunkt bei der Teilnahme. Das gilt auch, wenn die Vorlagenzahl weiter steigt, aber es nimmt die Zusatzbeteiligung stetig ab.

Allgemeine und spezifischen Konfliktlinien
Zuerst sei erwähnt, was den vier Vorlagen gemeinsam ist. Zwar geht es mit Forschung, Werbung, Steuern und Staatshilfen um verschiedene Inhalte. Doch haben alle einen mehr oder weniger engen Bezug zur Wirtschaft. Das polarisiert erfahrungsgemäss zwischen der bürgerlichen Rechten und der rotgrünen Linken. Für die Mehrheitsverhältnisse sind die Positionen der «DieMitte» und der glp von grosser Bedeutung. In einem Fall, beim Versuchsverbot, ist das aber nicht der Fall. Im Parlament waren die massgeblichen Parteien die «DieMitte» und die glp
• gegen das Forschungsverbot
• gespalten beim Werbeverbot
• für die Abschaffung der Stempelsteuer
• etwas gespalten bei der Medienförderung.
Die Ambivalenzen entstanden, weil es nicht nur wirtschaftspolitische Überlegungen gibt. Bei beiden Volksinitiativen kommen ethische Fragen hinzu, bei der Tabakwerbung insbesondere auch der Jugendschutz. Beim Medienpaket geht es auch um regionale Interessen, insbesondere von Randregionen.
Schliesslich wird auch die aktuelle Hauptsorge der Bürger:innen, die Pandemiebewältigung, eine Rolle spielen. Damit direkt oder indirekt verbunden sind die beiden Gesetzesreferenden, denn sie sprechen die Richtung an, in der sich die Schweiz für die Zeit danach weiterentwickeln soll. Beschränkt ist der Zusammenhang bei den Volksinitiativen.

Faktoren der Hierarchisierung
Man kennt mindestens vier Faktoren der Hierarchisierung von Vorlagen im Abstimmungskampf:
1. erstens, von der Unsicherheit bezüglich des Ausgangs
2. zweitens, von Dynamik der Kampagnen
3. drittens, von der parteipolitischen Polarisierung respektive von Abweichler:innen davon
4. viertens, von spezifische Interessen, die aufgrund ihrer Betroffenheit oder ihrer allgemeinen Fähigkeit spezifischen Kampagnen führen können
Man fasst das meist unter Thematisierung und Problematisierung einer Vorlage im Abstimmungskampf zusammen.

Erwägungen zur Prioritätensetzung im Einzelnen
Die Spannung im Abstimmungskampf steigt erfahrungsgemäss mit den ersten Umfragen 50 bis 40 Tage vor dem eigentlichen Abstimmungssonntag. Diese kommen um die Jahreswende. Dennoch kann man bereits jetzt Unterschiede erkennen. Am klarsten dürfte der Ausgang beim Versuchsverbot sein. Das heisst auch, dass die mediale Aufmerksamkeit hier am geringsten sein dürfte.
Noch haben nicht alle Kampagnen begonnen. Vorangegangen ist Bundesrätin Simonetta Sommaruga mit ihrer Medienkonferenz zum Medienpaket. Zudem ist ihre Gegner:innenschaft unter Führung der FDP bereits aktiv geworden. Beim Werbeverbot für Tabakwaren starteten die Initiant:innen ebenfalls früh- So skandalisierten sie den internationalen Tabakwerbeindex, eine Studie, die sich kritisch zum Stand der Dinge in der Schweiz äusserte. Zudem ist ein gesellschaftskonservatives Komitee Ja zum Jugendschutz in den Kampagnenmodus gewechselt. Hier hat der Bundesrat gestern nachgezogen, und die Nein-Argumente der Behörden präsentiert. Praktisch noch nichts sieht man zum jetzigen Zeitpunkt von der Abstimmung über die Stempelabgabe. Nur wenig sichtbar geworden ist von der Gegner:innenschaft zum Versuchsverbot.
Auf grösseres Interesse im Abstimmungskampf stösst erfahrungsgemäss die Parolenfassung der Parteien. Da geht es regelmässig nicht nur um die Bestätigung der Position im Parlament. Vielmehr schaffen Abweichung davon Spannung. Beim Tabakwerbeverbot ist die Ablehnung der “DieMitte” in der Partei unsicher. Beim Medienpaket stehen FDP und DieMitte nicht geschlossen im Nein-Lager respektive im Ja-Lager. Und bei der Stempelabgabe hofft zumindest die Linke, weitere Verbündete zu finden, die sich gegen einen Abbau von Einnahmen des Staates stellen. Kaum Support wird da das Versuchsverbot erhalten. Denn im Parlament stimmte gar niemand dafür.
Zu den Besonderheiten des kommenden Abstimmungspakets gehört die Medienförderung. Denn sie versetzt die Massenmedien in eine heikle Doppelrolle als Vermittelnde und als Betroffene. Das dürfte ihre Aufmerksamkeit für diese Vorlage steigern. Da alle Vorlagen einen Wirtschaftsbezug haben, kommen auch die Interessen der Wirtschaftsverbände hinzu. So hat sich economiesuisse gegen beide Volksinitiativen ausgesprochen, aber auch gegen die Medienförderung und selbstredend für die Abschaffung der Stempelabgabe. Das wird nicht folgenlos sein und mindestens für die werberischen Kampagnen mobilisierend sein.

Zwischenbilanz
Fasst man das zusammen, kann man folgende Annahme wagen: Die höchste Aufmerksamkeit im Abstimmungskampf wird das Medienpaket haben. Das Gegenstück wird sich beim Versuchsverbot finden. Mittlere Aufmerksamkeit werden das Werbeverbot und die Stempelabgabe bekommen.

Claude Longchamp