Versuchsverbot: Weitreichende Volksinitiative ohne Annahmechancen

Am 13. Februar 2022 stimmt die Schweiz über eine Volksinitiative ab, die Tier- und Menschenversuche verbieten will. Im Parlament erhielt das Volksbegehren keine einzige Stimme. Auch in der Volksabstimmung dürfte es scheitern.


Grafik anclicken, um sie zu vergrössern

Die Ausgangslage
Tier- und Menschenversuche sind in der Schweiz wie auch in vielen anderen Ländern erlaubt. Sie werden eingesetzt, um Medikamente und Therapien zu entwickeln, mit denen Krankheiten von Menschen und Tieren besser behandelt werden können.
Die Schweiz hat hierzu eines der weltweit strengsten Gesetze. Ein Tierversuch wird nur bewilligt, wenn die Ergebnisse nicht auf einem anderen Weg erzielt werden können. Zudem muss der Nutzen für die Gesellschaft die Belastung der Tiere rechtfertigen. Ausserdem dürfen die Forscher:innen mit nur so vielen Tieren wie unbedingt nötig arbeiten. Und sie müssen deren Belastungen so gering wie möglich halten. Sowohl Tierversuche wie auch Menschenversuche sollen nun verboten werden, wenn es nach den Initiant:innen geht.

Die neue Volksinitiative
Die neue Volksinitiative fordert ein weitreichendes Verbot von Tier- und Menschenversuchen. Produkte, die unter Anwendung von Tier- oder Menschenversuchen entwickelt wurden, sollen zudem nicht mehr importiert werden dürfen. Die Initiative verlangt schliesslich, dass Forschung ohne Tier und Menschenversuche mindestens dieselbe staatliche Unterstützung erhält wie heute diejenige mit Tier- und Menschenversuchen.
Lanciert wurde die neue Volksinitiative von Einzelpersonen aus dem Tierschutz und im rotgrünen politischen Lager. Sie haben 123’640 Unterschriften beigebracht. Das zeigt, dass die versuchskritische Szene immer wieder mobilisiert werden kann. Allerdings fehlt es im Moment an einem klaren Aufhänger, der für ein Problembewusstsein in einer breiten Bevölkerung sorgen würden. Dafür spricht auch, dass Tierversuche im Sorgenbarometer nie in den vorderen Rängen auftauchen.

Klare Parlamentsentscheidung
Die Entscheidung fiel dem Parlament nicht schwer. Beide Kammern lehnten die radikale Volksinitiative ohne eine einzige Ja-Stimme ab. Das ist ein sehr seltener Fall. Er zeigt, dass es sich um ein Projekt ohne grosse institutionelle Anbindung handelt.
Für das deutliche Nein der Behörden war zentral, dass es bei Annahme der Initiative in der Schweiz keine neuen Medikamente mehr gäbe, die mit Tier- oder Menschenversuchen entwickelt würden. Dazu gehören auch Impfstoffe. Die Forschung sowie die Entwicklung von Medikamenten oder anderen Produkten wie Pflanzenschutzmitteln würden eingeschränkt und möglicherweise ins Ausland verlagert.
Die klare Entscheidung im Parlament machte deutlich, dass es sich zwar um eine wirtschaftspolitische Entscheidung mit ethischen Implikationen handelt. Diese wogen so schwer, dass es nicht zur üblichen Frontstellung zwischen rechts und links kam.

Frühere Abstimmungen
Volksinitiativen haben im Durchschnitt eine geringe Annahmechance. Auf eine angenommene Vorlage kommen acht abgelehnte. Aussichten auf Erfolg haben Volksinitiativen nur dann, wenn es sich um ein Problem handelt, dass von der Politik übersehen oder stark vernachlässigt wird.
Das ist bei den Tierversuchen nicht mehr der Fall. Wiederkehrende Volksbegehren haben für zunehmend griffige staatliche Regulierungen und Massnahmen der forschenden Institutionen gesorgt. Letztmals abgestimmt wurde über ein vergleichbares Volksbegehren 1993. Es sammelte 28 Prozent Ja-Stimmen. Kein Kanton war dafür. Damit scheiterte das Anliegen sowohl am Volks- wie auch Ständemehr deutlich.

Erste Prognosen
Prognosen, die auf dem politischen Prozess basieren bestätigen die geringen Annahmechancen.
Die Politikwissenschafterin Michelle Huber, welche die Schlussabstimmungen im Nationalrat hochrechnet, kommt auf 20 Prozent Zustimmungspotenzial in der Volksabstimmung.
Informatiker Daniel Müller, der auf der Online-Plattform «Stellus» das Abstimmungsbüchlein inhaltsanalytisch auswertet, ist etwas weniger zurückhaltend. Doch auch er rechnet nicht mit einer Annahme. Sein Schätzwert beträgt knapp 41 Prozent Ja.

Voraussichtlicher Parolenspiegel
Noch ist der Parolen-Spiegel weitgehend unbekannt. Stellung bezogen haben erst die SP, die EVP, die Junge Mitte und die Jungen Grünen. Sie alle lehnen die Volksinitiative ab.
Aufgrund der Parlamentsentscheidung kann man davon ausgehen, dass auch die anderen politischen Parteien ein Nein empfehlen werden. Die Ja-Allianz dürfte damit bei 0 Prozent stehen bleiben.
Auch aus der Wirtschaft dürfte es kaum zu einer Unterstützung kommen. Economiesuisse, der Dachverband der Schweizer Unternehmen, hat führzeitig eine Nein-Empfehlung herausgegeben.

Aussichten auf den Abstimmungskampf
Frühere Abstimmungskämpfe in ähnlichen Fragen zeigten, dass dennoch mit emotionalen und werberischen Kampagnen zu rechnen ist, die stark bildhaft ausgerichtet den Status Quo prinzipiell anprangern.
Auf der Nein-Seite dürften der Schweizerische Nationalfonds mit den Universitäten einerseits stehen, andererseits wird auch die Pharmaindustrie auf der Nein-Seite aktiv sein. Beide haben bereits mit einer indirekten Vorkampagne, die Informationen verbreitet, begonnen.
Angesichts der eindeutigen Ausgangslage kann man zudem davon ausgehen, dass die Vorlage medial eher wenig behandelt werden wird. Die drei anderen Vorlagen vom 13. Februar 2022 werden mehr interessieren.

Zwischenbilanz
Alles zusammengezählt rechne ich mit einer deutlichen Ablehnung der Volksinitiative.

Claude Longchamp