Wie gut treffen die Tamedia-Umfragen zu Volksinitiativen die Endergebnisse?

Seit den gesamtschweizerischen Parlamentswahlen 2019 entschieden die Stimmberechtigten über 12 Vorlagen in Volksabstimmungen. Fünf weitere werden am 13. Juni 2021 dazu kommen. Es ist an der Zeit, Bilanz zu ziehen. Hier die Evaluierung der Tamedia-Umfragen von “LeeWas” zu den Volksinitiativen.

Die Vorlagen
10 der 12 Volksentscheidungen hat die «Tamedia»-Gruppe mit Vorumfragen von «LeeWas» begleitet. Die beiden ersten Vorlagen in der neuen Legislaturperiode liess man aus.
Bein Volksinitiativen liegen nun vier Trenduntersuchungen komplett vor, zwei sind unterwegs.


Bemerkung: Alle Umfragen zu Volksinitiativen gemäss LeeWas

Die Datensammlung
Die vier berücksichtigten Volksinitiativen wurden mit je drei Vorbefragungen begleitet. Bei den aktuellen Vorlagen liegen nun zwei Erhebungen vor.
Sämtliche Erhebungen werden mit gewichteten Mitmach-Umfragen gemacht. Alle, die wollen, können mitmachen. Unebenheiten, die so entstehen, glättet man bei “LeeWas” durch ein ausgeklügeltes Gewichtungsverfahren.
In allen vier Fällen lagen die anfänglichen Zustimmungswerte über dem Endergebnis. Beim Verhüllungsverbot war dies bis und mit der dritten Welle der Fall, bei der Konzernverantwortungsinitiative und der Kriegsgeschäfte-Initiative bis und mit der zweiten. Nur bei der Begrenzungsinitiative änderte sich das nach der ersten Erhebung.
Bei den beiden aktuellen Vorlagen, wissen wir das noch nicht.

Interpretation mit dem Dispositionsansatz
Nun sind das nicht anfängliche Fehlmessungen. Vielmehr entspricht es der empirisch gesicherten Erwartung, die man seit langem bei der Meinungsbildung zu Volksinitiativen kennt. Theoretisch macht das Sinn. Denn Volksinitiativen starten mit einer erhöhten Zustimmung, weil man seitens der Bürger:innen anfänglich eher das Problem beurteilt, das sie ansprechen: Doch am Ende wird auch über die vorgeschlagenen Lösungen abstimmt. Da Volksinitiativen meist mit einem klaren Standpinkt lanciert werden, ändern im Abstimmungskampf die Meinungen vor allem im politischen Zentrum vom Ja ins Nein.
Im Schnitt der vier hier evaluierten Umfragen von «LeeWas» beträgt der Zustimmungsrückgang nach der ersten Umfrage 7.5 Prozentpunkte. Man kann das die «normale» Kampagnenwirkung nennen.
Nach der zweiten Umfrage von “LeeWas” verringert sich die Differenz zum Endergebnis. Sie beträgt nun 6.5 Prozentpunkte.

Ausreisser Verhüllungsverbot
Allerdings gibt es immer wieder Ausreisser. Beim Verhüllungsverbot begann der Nein-Trend erst nach der zweiten Umfrage zu wirken. Ganz anders bei der Begrenzungsinitiative, wo die Meinungen bereits gemacht waren.
Man kann sich fragen, ob die Ja-Anteile von «LeeWas» beim Verhüllungsverbot valide waren. Denn sie stiegen von ersten zur zweitem Welle im Grenzbereich des deklarierten Unsicherheitsbereichs.
Das ist bei einer Volksinitiative ausgesprochen atypisch. Und es ist auch kein weiteres Beispiel bei allen berücksichtigten «LeeWas» Erhebungen der Fall. Es ist also durchaus denkbar, dass es sich um eine mangelhaft modellierte Aussage handelte.
Immerhin blieb sie nicht ohne Folgen. Sie löste die bereits erwähnte ausserordentliche Nein-Kampagne aus, die schliesslich fast zum Erfolg des Gegenlagers geführt hätte.

Prognosegenauigkeit nimmt erst mit der dritten Welle zu
Aufgrund der vier Fälle kann man vorsichtig verallgemeinernd festhalten, dass die Prognose-Genauigkeit der «LeeWas»-Umfragen von der ersten zur zweiten Welle nur gering zunimmt.
Recht gut ist die finale Prognosegenauigkeit der «LeeWas»-Umfragen, bestimmt als Differenz aus der letzten Messung vor der Abstimmung und Endergebnis. Im Schnitt beträgt die Abweichung 3 Prozentpunkte, im Maximum noch 8 Prozentpunkte.

Folgerungen für die Landwirtschaftsinitiativen
Was heisst das für die anstehenden Landwirtschaftsinitiativen?
Unsere Grafik legt nahe, dass die Meinungsbildung bei der Kriegsmaterialinitiative die Referenz ist, die schliesslich scheiterte.
Nimmt man die Ausgangswerte in der ersten Umfrage, die bei 54 Prozent für die Trinkwasserinitiativen respektive 53 Prozent bei der Pestizidinitiative lagen, erscheinen beide Vorlagen knapp mehrheitsfähig.
Erwartet werden kann vorerst eine Zustimmung zwischen 46 und 47 Prozent bei der Trinkwasserinitiative. Bei der Pestizidinitiativen ergibt die Extrapolation einen Ja-Wert von 45 bis 46 Prozent.
Rechnet man die aktuellen Befragungswerte und die mittlere Differenz bei der zweiten Befragungswelle hoch, kommt man bei der Pestizidinitiative auf einen Endwert von 42-43 Prozent, bei der Trinkwasserinitiative von 41 bis 42 Prozent.
Damit würde sich die anfängliche Zustimmungsmöglichkeit in eine recht Ablehnungsmehrheit verwandeln.

Was es diesmal besonders unsicher macht
Dies bleibt diesmal noch unsicher als sonst, denn die Kombination von zwei Vorlagen mit ähnlicher Zielsetzung ist unüblich. Die erste Umfrage von gfs.bern zeigt, dass rund 17 Prozent zwei verschiedene Stimmabsichten haben. Das könnte sich angesichts der Kampagnen noch ändern.
Im besten Fall für die Initiativkomitees stimmen zweifelnde Positiv-Eingestellte zweimal Ja, im schlechtesten Fall zweimal Nein. Das lässt auch Überraschungen in die eine oder anderen Richtung zu. Damit kann man die Annahme im Volksmehr weiter nicht ganz auszuschliessen. Doch würde sich die Frage nach dem Ständemehr akut stellen.
Vielleicht ist diesmal alles noch unsicherer. Denn bei allen drei ökologisch ausgerichteten Vorlagen steht es “Spitz auf Spitz”. Das spricht dafür, dass sie alle drei in der Schlussphase des Abstimmungskampfes im Zentrum stehen werden und sich die Meinungsbildung wechselseitig beeinflussen kann.