Der Bundesrat. Reformbedürftig.

Seit gestern im Buchhandel, seit heute auf “zoonpoliticon” besprochen: “Der Bundesrat” -, das neue Standardwerk von Adrian Vatter.

Adrian Vatter, Co-Direktor des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität Bern, hat in der letzten Dekade einen ausgezeichneten Ruf als Denker zum politischen System der Schweiz erworben. Mit seinem Engagement als SRF-Kommentator der Bundesratswahlen seit 2015 ist er zudem aus dem akademischen Umfeld herausgetreten und in der Oeffentlichkeit deutlich bekannter und geschätzter geworden.

Vom Lexikon der BundesrätInnen zum Analyse der Institution Bundesrat
Gestern hat Vatter sein Buch «Der Bundesrat. Die Schweizer Regierung» nach 10jähriger Arbeit veröffentlicht. Der Herausgeber NZZ Libro präsentiert das Werk als die erste politikwissenschaftliche Spezialpublikation zur Schweizer Erfindung unter den Regierungssystemen der Welt. Erweitert wird damit die primär historische Betrachtung des Bundesrats, die der Freiburger Historiker Urs Altermatt mit seinem «Bundesratslexikon» aus dem gleichen Verlag eingeleitet hat.
Im neuen Bundesratsbuch wird die Landesregierung in ihrer Stellung im Regierungssystem, hinsichtlich ihrer politischen Zusammensetzung, ihrer Wahlen und Rücktritte, ihrer Organisation und Arbeitsweise sowie ihrer Aufgaben und Funktionen gründlich analysiert. Hinzu kommt ein äusserst aufschlussreiches Kapitel zu Modellen der Regierungsreform, die in jüngster Zeit öffentlich gemacht wurden.

Die drei Dilemmata des Bundesrats
Gut lesbar verdichtet wird das 400seitige Werk in einer Schlussbetrachtung, die auf 20 Seiten die Essenz der gemachten Ergebnisse zusammenfasst. Zentral sind dabei Vatters Ausführungen, warum sich der Bundesrat lieber «durchwurstelt» (O-Ton Vatter) denn als führungsstark zeigt. Konkret spitzt der Autor die drei Dilemmata so zu:
Erstens, der Konflikt zwischen den Parteiinteressen und dem Kollegial(itäts)prinzip;
zweitens, das Spannungsverhältnis zwischen der Verantwortung für das Departement und der Zusammenarbeit über im Bundesratsgremium und
drittens, die problematisch geworden Legitimation angesichts steigender Erwartung durch verbreitete Mitsprache und einer strategischen Staatsführung, die damit nicht mithält.
Vatter sieht dies bereits in der Staatsgründung angelegt, im 21. Jahrhundert durch Polarisierung, Medialisierung, Personalisierung, aber auch durch die Internationalisierung der Schweizer Politik verschärft.

Ansätze einer systemischen Reform
Der Politik-Professor stellt drei Ansätze der Entschärfung zur Diskussion:
. die gleichzeitige Listenwahl des Bundesrats zur Stärkung des Kollegial(itäts)systems
. ein Präsidialdepartement zur Erhöhung der Planungs-, Leitungs- und Koordinationskapazitäten und
. einen Konkordanz-Vertrag zur Förderung der von Prioritäten im Regierungshandeln und der Kohärenz der Staatsführung.
Neu ist, dass Vatter sie aus einer breiten Palette von Reformvorschlägen aufgrund einer umfassenden Evaluierung ausgewählt und zu einem System an Veränderungen zusammengeführt hat.

Listenwahl mit einem Mix aus Volks- und Parlamentswahl
Namentlich die Listenwahl würde die bisherigen Wahlen ändern. Anstelle der sequenziellen Einzelwahl wären inskünftig Auswahlen aus verschiedene Listen mit partei- und sprachübergreifenden Mischungen denkbar.
Bei der Bestimmung des Mixes schwebt Vatter ein zweistufiges Verfahren vor. Mit der Parlamentswahl würde die parteipolitische Zusammensetzung proportional zur Wählenden-Stärke bestimmt, während das Parlament selber die personelle Bestimmung der Regierungsmitglieder bestimmen würde.
Aktuell gäbe das wohl sechs Parteien im Bundesrat, zu den bisherigen SVP, SP, FDP und CVP neu auch die GPS und die GLP.
Vatter ist Realist genug, um zu wissen, dass seine Vorschläge bei der nächsten Gesamterneuerungswahl 2023 nicht umgesetzt sein werden. Er ist aber auch ein hinreichend konsequenter Analytiker, um zu merken, dass die identifizierten Trends anhalten werden.

Die erste Diskussion im Politzentrum der Stadt Bern
Vorgestellt wurde das neue Buch gestern Abend im Berner Politforum «Käfigturm». Das war einmal ein Gefängnis, das sich nun zu einer anregenden Dialogplattform entwickelt. Geübt wurde dabei der Ausbruch aus dem bisherigen Denken, um die Spuren des neuen zu entdecken.
Sparring-Partner für den Forscher waren die alt-BundesrätInnen Ruth Dreifuss und Adolph Ogi. Dieser warb vehement für einen Bundesrat mit nicht nur sieben Mitgliedern, denn das sei heute unmenschlich. Er forderte dreizehn Bundesräte, um bei einem Gremium mit 9 oder 11 zu landen. Geführt werden müsse dieses von einem Regierungspräsidenten, der auf drei Jahre gewählt wäre.
Konträr zum ehemaligen SVP-Magistraten äusserte sich die SP-Politikerin Ruth Dreifuss. Sie plädierte für die Verkleinerung des Hauptgremiums auf 5 Mitglieder, die alle relevanten politischen Strömungen des Landes repräsentieren und an kollegial abgestützten Lösungen für die Zukunftsfragen arbeiten müssten. Zur Entlastungen im Alltagsgeschäft sollten sie durch rund ein Dutzend SpezialistInnen umgeben sein, die als Delegierte die Verwaltung politisch führen würden.
Die Diskussion ist neu lanciert, auch dank dem neuen Buch von Vatter zum Bundesrat!