Das Bild zum Ausgang der Volksabstimmungen vom 29. November 2020 verdichtet sich: Zwischenzeitlich liegen die frühen Umfragen, die Wettbörse, die Inhaltsanalyse des Bundesbüchleins und die Extrapolation der Schlussabstimmungen im Parlament auf den Abstimmungstag vor. Bei der Kriegsgeschäfteinitiative zeichnet sich eher ein Nein ab, während der Ausgang bei der Konzernverantwortungsinitiative offen ist.
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Bei der Konzernverantwortungsinitiative sind die SP und die Grünen dafür. Hinzu kommen noch die GLP, BDP, EVP und EDU. Dagegen sprechen sich national die SVP, FDP und CVP aus. Das entspricht einer modifizierten Links/Rechts-Polarisierung. Vergleicht man den Parolenspiegel mit dem zur Kriegsgeschäfteinitiative vergleicht, wird dies noch deutlicher. Da sind, wie bei einer Rechts/Linksspaltung gewohnt, SP und GPS dafür, – und einzig die EVP macht mit ihrem Ja eine Ausnahme.
Damit angesprochen wird die Konfliktlinie. Sie ist eine Determinante der politischen Entscheidung, sprich des Abstimmungsresultats. Andere wie die Vorlage selber, der Abstimmungskampf in Medien und Werbung, die Meinungsbildung der BürgerInnen, ihre Mobilisierung und das politische Klima der Entscheidung kommen hinzu.
Die Abstimmungsforschung hat eine Reihe von Tools entwickelt, um den Ausgang von Volksentscheidung im Voraus zu analysieren. Da sind einmal Bevölkerungsumfragen und Wahlbörsen, welche die Dynamik der Meinungsbildung spiegeln. Und es gibt Inhaltsanalysen der amtlichen Unterlagen sowie Umrechnungen der Schlussabstimmungen, welche einmalige Vorhersagen erlauben.
Jedes Tool hat Stärken und Schwächen. In ihrer Gesamtheit erlauben sie es allerdings, den Ausgang von Volksabstimmungen qualitativ hinreichend einzugrenzen.
Was heisst das mit Blick auf den 29. November 2020?
Erstens, bei der Kriegsgeschäfte-Initiative ist das einfacher. Die Schlussabstimmungen in beiden Parlamentskammern, die Extrapolation dieser auf das Volksmehr, die Inhaltsanalyse des Bundesbüchleins und die Wettbörsen sehen das genauso. Nur die Umfragen sind gegenwärtig knapp im Ja. Doch sind das Momentaufnahmen, keine Prognosen. Vor allem bei Volksinitiativen mit einem klaren Links/Rechts-Profil rechnet man am besten mit einem Rückgang der Zustimmungsbereitschaft. Denn die Nein-Kampagnen vor rechts zeigen unter diesen Bedingungen Wirkungen in der bürgerlichen Wählerschaft.
Zweitens, genau das ein auffälliger Unterschied zur Konzernverantwortungs-Initiative. Sie kann sich gemäss Tamedia-Umfrage auf 57 Prozent, bezogen auf die Erhebung für die SRG gar auf 63 Prozent stützen. Zwar dürften auch diese Werte mit dem Abstimmungskampf zurückgehen. Doch bleibt es hier offen, ob es auch zu einer Wende kommt.
Für ein knappes Ergebnis bei der KVI sprechen zuerst die Schlussabstimmung im Nationalrat. Hochgerechnet auf das Abstimmungsergebnis kann man von einem Ja/Nein-Verhältnis von 49 zu 51 ausgehen. Das ist zudem nicht zwingend, denn es unterstellt eine Normalkampagnen. Diese ist aber, wenn man den bisherigen Verlauf verfolgt, nicht eindeutig. So sind das Engagement von JuristInnen und der Kirche zugunsten der Vorlage hoch – und überwiegend wohlwollend. In beiden Umfragen zeigt sich die entscheidende Bedeutung der CVP-Wählerschaft. Die kennt ein Nein der Mutterpartei und ein Ja der Jungpartei; hinzu kommen verschieden Kantonalparteien von Genf bis Thurgau. Gleich wichtig sind die Parteiungebundenen, also jene Wählende, die sich keine Partei nahe fühlen und deshalb verstärkt auf Argumente von allen Seiten reagieren.
Abstrahiert von diesen Aktivitäten kommt die Inhaltsanalyse des Bundesbüchleins zu einem Nein, wenn auch nur mit 55prozentiger Wahrscheinlichkeit. Für ein Ja sprechen der ersten Angaben aus der Wahlbörse. Gemäss diesem Tool wir mehrheitlich mit einer Zustimmung gerechnet, am ehesten mit einem Endwert zwischen 50 und 60 Prozent. Das deckt sich letztlich mit den Umfragewerten.
Keine direkten Schlüsse lassen sich daraus für das Ständemehr ziehen. Diese müsste separat analysiert werden.
Noch ist offen, was bei der Konzernverantwortungsinitiative weiter geschieht. Der Normalfall ist der Rückgang der Zustimmung. Bei Spezialfall ist das nicht so, weil der Problemdruck, wie ihn die Stimmenden sehen, überparteilich als hoch angesehen wird.
Was hier Sache ist, kann noch nicht abschliessend beurteilt werden. Bei der Atomausstiegsinitiative der Grünen reichte es nicht für eine Stabilisierung der Zustimmung, die anfänglich gleich hoch war wie bei der Konzernverantwortungsinitiative. Sie scheiterte nach dem Abstimmungskampf. Hingegen war der öffentliche Druck seitens der Bevölkerung stark genug, dass es bei der Abzocker-Initiativen nicht dazu kam.
Weitere Umfragen, verbunden mit Medien- und Werbeanalysen um Abstimmungskampf, werden helfen, das zu klären.