Umfragenvergleich: Trend zu grün eindeutig, Herkunft der Stimmen unklar

Eine gemittelte Betrachtung aller Umfragen zu den Parteistärken macht klar: Es gibt heute einen grünen Trend, nicht mehr gesichert ist der liberale.

Heute publizierte die Tamedia-Gruppe ihre erste Umfrage im Wahljahr 2019. Gleich wie die das SRG-Wahlbarometer vor 10 Tagen hält sie Gewinne für beide grüne Parteien fest. Anders als dieses sieht sie die SP und FDP stabil, während CVP mehr, SVP weniger verlieren würde.
Bestätigt wird der Trend zur ökologischen Parteien. Vor dem Hintergrund des jüngsten Schülerstreiks und den Auswirkungen auf Forderung zu einer wirksameren Klimapolitik macht das durchaus Sinn. Unsicher ist es aber zwischenzeitlich, ob es auch der liberale Trend anhält. Man ist versucht, seine Abschwächung als Folge der Neupositionierung in der Klimafrage zu sehen.
Es könnten aber auch statistische Zufälligkeiten in Umfragen sein, die innert weniger Tage erhoben werden. Punktgenaue Ereignisse mitten in der Erhebungszeit sind als Einflussgrössen durchaus denkbar.


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Neutralisiert werden kann dies, wenn man gewichtete Mittelwerte aus allen drei Umfrageserien bildet. So entsteht eine Super-Umfrage. Dabei macht es Sinn, jüngere Erhebung stärker zu berücksichtigen als ältere. Das europäische Umfragen-Projekt «pollofpolls» geht analog vor.
Demnach bleibt die Reihenfolge unter den Parteien gleich wie 2015. Weder ist die FDP dabei, die SP zu überholen, wie das Wahlbarometer suggerierte, noch sind die Grünen der CVP eng auf den Fersen, wie es heute im Tages-Anzeiger aufscheint. Beide Annahmen dürften Umfragen-Artefakte sein.
Ganz stabil sind die Parteien dennoch nicht: Eindeutige Gewinne gibt es für die GPS und die GLP, ebenso eindeutige Verluste für die SVP. Tendenziell verlieren CVP, BDP und SP, während die FDP insgesamt stabil ist.
Vergleicht man die beiden neuen Umfragen untereinander, sind die Angaben zu Grünen und GLP fast identisch, die zur BDP ähnlich. Am deutlichsten unterscheiden sich die Messwerte für die grösste Partei, die SVP: Im Wahlbarometer gibt es Verluste, bei Tamedia ist die Partei stabil. Gar Gegenteiliges vermelden die aktuellen Umfragen bei der FDP. In der SRG-Umfrage legt sie zu, bei Tamedia verliert sie tendenziell. Bei SP und CVP sind zwar die Richtungen gleich, doch unterscheiden sich die Minus-Anteile.
Davon nicht betroffen ist eine zentrale politische Aussage: Gemäss Super-Umfrage ist die Wählerschaft heute nicht nur grüner als 2015, sie ist auch etwas linker. Rotgrün gewänne aktuell 1.7 Prozentpunkte hinzu, mit der GLP gar 3.5 Prozentpunkt. Das entspricht 3-4 resp. 7 Sitzen mehr für links resp. Mitte/Links. Angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse seit den Wahlen 2015 im Nationalrat wäre dies erheblich. (Nicht berücksichtigt sind dabei Verschiebungen aufgrund von Listenverbindungen resp. Restmandaten).
Eine Schwäche der heute gebräuchlichen Online-Mitmach-Umfragen wurde dieser Tage allerdings deutlich: Hinsichtlich der Beteiligungsabsichten machen sie keine Aussagen mehr. Damit fehlen sowohl Angaben zur aktuellen Wahlbeteiligung, als auch zur Mobilisierung. Das ist erheblich, denn alle Nachanalysen der Nationalratswahlen seit 2007 betonten die hohe Bedeutung der Potenzialausschöpfungen für das Wahlergebnis. Und, ohne Beteiligungsabsichten nach Parteien gibt es auch keine Abschätzungen der Wählerwanderungen.
So sicher es zwar ist, dass GPS und GLP heute gewinnen würden. Es bleibt aber unklar, ob dies aufgrund von Wechselwählenden aus andern Parteien geschieht, oder ob die Klimafrage zu einem neuen Beteiligungsmuster bei Personen führt, deren Wahlteilnahme an sich unsicher, aktuell aber vorhanden ist.