30 Jahre als Politikwissenschafter unterwegs

Politik- und Sozialforscher, Dozent an Universitäten und Fachhochschulen, Medienmensch vom Fernsehen über Radio zu Blogs bis Twitter und Lokalhistoriker – das sind die festen Bestandteile meines Berufslebens. Auf den Tag genau 30 Jahre übe ich diese Rollen in einer festen Anstellung resp. in selbständiger Tätigkeit aus. Eine kleine (Zwischen-)Bilanz.

2bf19398e95eb90ef5e9258057ad3740

Es war der 1. Dezember 1983. Die Universität Bern stellte den 27jährigen Jung-Wissenschafter fest an. Fortan sollte ich als Assistent von Erich Gruner als Forscher am Forschungszentrum für schweizerische Politik amten. Uebertragen wurde mit die Leitung der VOX-Analysen eidg. Volksabstimmungen. Zudem wurde ich (vorübergehend) Mitarbeiter an der Jahreschronik “Année politique suisse”; etwas später kamen ein vom Schweizerischen Nationalfonds gefördertes Forschungsprojekt zur “Politischen Kultur im Wandel”, von Wolf Linder geleitet, sowie verschiedenen Lehrveranstaltungen zur Wahl- und Abstimmungsforschung hinzu. 1991/2 hielt ich während dem Sabbatical meines Chefs die Einführungsveranstaltung in Politikwissenschaft an der Universität Bern. Nach einem mehrjährigen Unterbruch bin ich seit 2008 wieder als Dozent an den Lehrstühlen von Adrian Vatter und Silja Häusermann für Wahl- und Abstimmungsforschung, aber auch für Christoph Frei im Bereich der Lobbying-Analyse an den Universitäten St. Gallen, Bern und Zürich tätig. Zudem geben ich regelmässig Seminare am MAZ in Luzern, an der ZHaW in Winterthur, am VMI in Fribourg und am IDHEAP in Lausanne.

Bereits 1986 hatte ich begonnen, ein zweites Standbein zu entwickeln. Das GfS-Forschungsinstitut, damals noch unter der Leitung von Werner Ebersold, berief mich als Projektleiter, um die Monitoring-Projekte zur Oeffentlichen Meinung voran zu treiben. 1992 machte ich daraus die Berner Filiale des Instituts, und ab 1993 leitete ich gemeinsam mit Peter Spichiger das GfS-Forschungsinstitut. 2004 verselbständigten sich die beiden Standorte in Zürich un Bern; fortan war ich Institutsleiter von gfs.bern, seit vielen Jahren bilde ich gemeinsam mit Lukas Golder und Urs Bieri auch die Geschäftsleitung. 2004 wurde ich Verwaltungsrat des Betriebs; seit 2008 bin ich dessen Präsident und seit 2011 Alleinaktionär. Parallel dazu bin ich Mitglied des Verwaltungsrats des gfs-Befragungsdienstes, dem Dienstleistungsunternehmen, dass für die gfs-Gruppe die Umfragen realisiert.

Zahlreiche Projekte sind daraus entstanden, die heute in der schweizerischen Oeffentlichkeit ein Begriff sind: die VOX-Analysen (gemeinsam mit der Bundeskanzlei und drei Universitäten), das Sorgen- resp. Identitätsbarometer (mit der Credit Suisse), der Gesundheitsmonitor (mit der Interpharma), aber auch der Finanzmonitor (mit Economiesuisse). Nicht zuletzt sei an die SRG-Hochrechnungen (seit 1992), das Wahlbarometer (seit 1999) für die SRG-Generaldirektion) und die Trendanalysen zu den Volksabstimmungen (seit 1998 für die Chefredkatorenkonferenz der SRG-Medien) erinnert. Der bisher letzte Monitor in dieser Serie ist dem “Zusammenleben in der Schweiz” gewidmet, an dem ich seit 4 Jahren arbeite und der im Februar 2014 vorgestellt werden wird.

Mein drittes Standbein besteht aus der Medienarbeit für Medien. Bereits 1987 hatte ich einen kurzen Auftritt nach den Wahlen beim Schweizer Fernsehen; seit 1991 war ich lückenlos Analytiker aller eidg. Parlamentswahlen; seit der EWR-Abstimmung kam mir diese Aufgabe als Gesprächspartner von Filippo Leutenegger bis Urs Leuthard auch in allen Live-Sendungen von SRF zu den gesamtschweizerischen Volksabstimmung zu. Darüber hinaus war ich wohl für alle politischen Sendegefässe der vor allem in der deutschsprachigen, aber auch in der französisch- und italienischen Schweiz aktiv. Gleichsam ein Höhepunkt war die Lancierung der Sternstunde Geschichte, an der ich mit Roger de Weck und Thomas Maissen beteiligt war.

Ja, das ist denn auch das Stichwort für meinen vierten Tätigkeitsbereich, das Stadtwandern. Ursprünglich ein Form des täglichen Bewegungsprogramms, hat sich aus meinen Spaziergängen, dort, wo ich gerade bin, eine neue Leidenschaft entwickelt. Seit 2004 nehmen ich 10 bis 12 Mal pro Jahr eine Gruppe mit auch meine Wanderungen, um anhand von Plätzen, Strassen, Brücken und Häusern, die Lokalgeschichte Berns, aber auch anderer Städte wie Fribourg in der Nachbarschaft oder Dôle im Burgundischen wieder auferstehen zu lassen. Meine neuste Führung, “Konkordanz woher? woher?” getauft, wird den nächsten Politologenkongress in der Schweiz eröffnen.

stadtwanderer” und “zoon politicon” heissen meine beiden Blogs, die ich seit 2006 resp. 2008 betreibe. Ueber sie mische ich mich regelmässig ins Tagesgeschäft der Politik ein, versuche ich etwas anzustossen, vielleich auch mal etwas zu korrigieren, geht es mir darum, zu zeigen, was demoskopische und politikwissenschaftliche Forschung kann, aber auch wie einem die Historie zu nutzen kommt, wenn man sich im Getümmel der Gegenwart zurecht finden soll.

“30 Jahre als Politikwisssenschafter unterwegs” ist eine anspruchsvolle Arbeit, immer im Sinne der Demokratie, häufig als Teil der politischen Analyse und Kommunikation, meist in der Schweiz, immer häufiger aber auch im Ausland! Zahllose Vorträge sind so entstanden, fast ebenso viele Artikel und Beiträge in Büchern, die sich ausgehend von bis jetzt mehr als 500 Forschungsprojekten zum Verhalten und Denken der Menschen mit meinen Kernthemen der zeitgeschichtlichen, aber auch systemischen Politik- und Gesellschaftsanalyse beschäftigen. Spannende Presönlichkeiten haben mich dabei als MitarbeiterInnen begleitet, so Ingrid Deltendre, die schliesslich Fernsehdirektorin wurde, Andreas Rickenbacher, heute Regierungsrat im Kanton Bern oder Petra Huth, nun selbständige Unternehmensberaterin.

Das alles war und ist eingepackt in eine Rolle, die man in der Schweiz in Vielem zuerst entwickeln musste, die viele wohlwollende und kritische BegleiterInnen im und ausserhalb des GfS kennt, die in der Regel respektiert, selten auch despektiert wird, und die ich als Teil meines (Berufs)Lebens nicht missen möchte!

Claude Longchamp