SPD im Tief – eine Auslegeordnung aus der Sicht der Wahlforschung

Die SPD ist die klare Verliererin vom vergangenen Wahlwochenende. Ein Minus von 11,3 Prozentpunkten bei den Zweitstimmen ist in der Wahlgeschichte Deutschlands für die Nachkriegszeit einmalig. Grund genug, nach den Ursachen zu fragen, welche die Wahlforschung bisher aufdecken konnte.

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Quelle: Der Spiegel

Antwort der Wahlforschung 1: Parteibindungen
Die für die SPD harmloseste Variante der Auslegeordnung besteht darin, das Klagelied auf das Ende der Volksparteien mitzusingen. Erstens ist es nicht neu; vielmehr gehört es in Deutschland seit den 80er Jahren zum festen Bestandteil der Wahlnachbetrachtungen der beiden grösseren Parteien. Zweitens trifft es nicht nur die SPD, denn auch die CDU leidet darunter, und neuerdings ist auch die CSU davon erfasst worden. Doch genau das hilft nicht zu verstehen, weshalb die SPD selbst für eine sozialdemokratische Partei der Gegenwart einen regelrechten Einbruch erlebte. Vielmehr muss es spezifische Gründe hierfür für die Aufweichung von Parteibindungen geben.

Die Wahlforschung kennt neben der Parteibindung als längerfristiger Orientierung von BürgerInnen an politischen Parteien zwei kurzfristiger Faktoren: die Personen- und die Themenorientierung der Parteien.


Themenkompetenzen der Parteien nach dem Bundestagswahlkampf 2009

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Quelle: Wahlen nach Zahlen

Antwort der Wahlforschung 2: Themenkompetenz
Themenkompetenzen werden gegenwärtig im Umgang mit den Ursachen und Folgen der globalen Finanzmarktkrise analysiert. Die Kompetenzzuschreibungen an die Adresse der SPD am Ende Wahlkampfes zeigen unveränderte Stärken beim Umgang mit ArbeitnehmerInnen; keine andere Partei, weder in Regierung noch in Opposition kommt hier an die SPD heran. Das gilt weitgehend auch für die SPD als Garant sozialer Gerechtigkeit. Anders sieht es aus, wenn man die grossen Herausforderungen der unmittelbaren Zukunft betrachtet. Nicht einmal der Anteil, der weiterhin zur SPD steht, hievt in dieser Frage die eigene Partei auf den Spitzenplatz. Das gilt weitgehend auch, wenn es darum geht, Deutschland wirtschaftlich voranzubringen. Die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands ist der grossen Themenbereich, bei dem die Partei versagt, denn das ist das Feld, auf dem sich der bisherige Regierungspartner CDU/CSU vorteilhaft platzieren konnte. Hinzu kommen einige themenspezifische Konkurrenzen: Genannt seien die FDP, wenn es um Steuern und Haushaltspolitik geht, die Grünen in der Gesundheitspolitik und die Linke bei der sozialen Frage.

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Quelle: Wahlen nach Zahlen

Antwort der Wahlforschung 3: Personenprofile

Generell fällt auf, dass die SPD kein thematischer Hoffnungsträger mehr ist. Das gilt letztlich auch für den Spitzenkandidaten. Frank-Walter Steinmeier punktete zwar als Person und Aussenminister in der bisherigen Regierung. Als Kanzleranwärter versagte er aber deutlich: Gerade mal 33 Prozent wünschten sich ihn als neuen Bundeskanzler. Brandt, Schmidt und Schröder kamen da regelmässig auf absolute Mehrheiten; ja, selbst Oskar Lafontaine schnitt bei seinem misslungenen Griff nach der ganzen Regierungsmacht noch besser ab als Steinmeier. Das hat mitunter auch damit zu tun, dass die bisherige Amtsinhaberin Angela Merkel 2009 einen Spitzenwert für ihre Person erreichte, der sogar mit denen von Helmut Kohl zu seinen besten Zeiten keinen Vergleich scheuen muss.

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Antwort der Wahlforschung 4: Mobilisierung
2009 gelang es der SPD nicht, eine machtpolitische Alternative zu präsentieren. Die Möglichkeit eines rot-rot-grünen Bündnisses, das vor 4 Jahren ausgereicht hätte, wurde frühzeitig ausgeschlossen, und die Hoffnung auf eine rot-grün-gelbe Koalition gründete vor allem in der Verzweiflung der Sozialdemokraten, aus der Umklammerung durch die CSU heraustreten zu können. Inhaltlich wirkte sie nicht vorbereitet, und im Wahlkampf attackierte man regelmässig das Neoliberale des möglichen Koalitionspartners. Ein Ganzes entstand daraus nicht, das einen Machtwechsel realistisch erscheinen liess. So blieb letztlich nur die Fortsetzung der grossen Koalition – und damit die Höchststrafe, wie es der Generalsekretär der SPD selber bezeichnete. Motivierend und mobilisierend wirkt das garantiert nicht.

Erste Bilanz

Am 27. September 1998 wurde Gerd Schröder zum Nachfolger von Helmut Kohl als Bundeskanzler gewählt. Mit ihm wurde die Wende zur rot-grünen Regierung begründet, die sich dem Dritten Weg zwischen Sozialismus und Kapitalismus verpflichtet fühlte. Die Welle der linken Erneuerung ist auf den Tag genau nach 11 Jahren Regierungszugehörigkeit ausgelaufen. Die Wende der Wende folgte.

Das Ende einer Aera, gepräft durch die Suche nach dem Dritten Weg
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Quelle: Der Spiegel

Die SPD wird erst dann wieder aus ihrer Krise heraustreten, wenn sie sich verjüngt und programmatisch so positioniert, dass sie allein oder mit anderen wieder realistisch einen Machtanspruch stellen kann. Das wird dauern.

Claude Longchamp