Die Krux mit den Ueberhangmandaten

Nicht-Deutschen muss man das Wort “Ueberhangmandate” erläutern. Denn in Bern ist das unbekannt. Dafür wird in Berlin spekuliert, dass eine bürgerliche Regierung in Deutschland inskünftig alleine dadurch legitimiert sein könnte. Worum geht es?

Die Gesamtzahl der Sitze, die einer Partei in einem Bundesland zustehen, wird zunächst durch die Zweitstimme bestimmt. Hat eine Partei innerhalb eines Bundeslandes mehr Direktmandate, als ihr nach Zweitstimmen Mandate des Landeskontingents zustünden, entstehen Überhangmandate. Die Partei darf die zusätzlichen Sitze aus Überhangmandaten behalten, obwohl sie damit mehr Abgeordnete entsendet, als ihr eigentlich zustehen. Durch diese Überhangmandate erhöht sich die Zahl der Abgeordneten im Bundestag. Noch nie waren es mehr als 16 Mandate, die so zusätzlich zu den 299 Mandaten der Bundesländer und den 299 für Deutschland geschaffen wurden.

Der Friedrichshafener Politologe Joachim Behnke, Verfasser eines Standardwerkes zum deutschen Wahlsystem, gilt als einer der besten Rechner, wenn es um Ueberhangmandate im deutschen Bundestag geht. Demnach kann diesmall alleine die CDU/CSU mit 20 Ueberhangsmandaten rechnen. Forsa-Chef Manfred Güllner ist mit 14-18 etwas zurückhaltender; doch sein Kollege Richard Hilmer von Infratest dimap hält sogar noch mehr Ueberhänger für möglich.

Das kann absurde Folgen haben, insbesondere wenn sich die Volksparteien ungleich stark sind. So könnte die CDU/CSU bei einem Wählendenanteil von 35 Prozent durchaus mehr Direktmandat erringen, als ihr zustehen, während das bei der SPD aufgrund ihres voraussichtlichen Anteils von 25 Prozent weniger wahrscheinlich ist. In der Endabrechung kann es deshalb theoretisch sein, dass SDP, Grüne und Linke mehr Stimmen haben als CDU/CSU und FDP, aber weniger Mandate.

Für diesen Spezialfall hat Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits angekündigt, ohne Rücksicht auf Wähleranteile auf die parlamentarische Mehrheit zu setzen. Sie will Schwarz-Geld, auch wenn die Differenz nur eine parlamentarische Stimme beträgt und diese auf einem Ueberhangmandat basiert.

Unter veränderten Umständen haben die SchweizerInnen gerade eine vergleichbare Diskussion erlebt, deren Ergebnis allgemein umgekehrt gelesen wird. Im Schweizer Bundesrat sollen die Parteien ihre Ansprüche nur entsprechend im WählerInnen-Anteil, nicht aufgrund der Zahl Parlamentsabgeordneter anmelden können, hiess es letzte Woche in Bern. Wahrscheinlich auch, weil es in der Schweiz keine Ueberhangmandate gibt …

Claude Longchamp