Der Wunschkandidat der parteiübergreifenden Linken

Die Wochenzeitung hatte ihn von Anfang an ganz oben auf der Liste der Bundesratsanwärter. Jetzt wird der Tessiner Ständerat Dick Marty von den Linken bei den Grünen und in der SP als eigentlicher Favorit für die Nachfolge von Pascal Couchepin präsentiert, ohne dass er gleich schon “no” sagen würde.

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Dick Marty, Tessiner Ständerat aus den Reihen der FDP, wird von den parteiübergreifenden Linken als Bundesratskandidaten gehandelt.

Der Tessiner FDP-Politiker Dick Marty ist ohne Zweifel eine der orginellsten Persönlichkeiten unter der Berner Bundeskuppel. Als Jurist vertrat der die Schweiz im Ausland. Als Staatsanwalt des Tessins kämpfte er gegen das organisierte Verbrechen. Als Regierungsrat in seinem Wohnkanton war er für die Finanzen zuständig. Und als Ständerat war der Südländer Präsident von “Schweiz Tourismus”.

Allen bekannt wurde Marty mit seiner Delegation in den Europarat, wo man ihn beauftragte, die vermuteten “black sites” der CIA mit Gefangenen aus dem Irak-Krieg zu untersuchen. Sein hartnäckiges Insistieren in dieser Sache brachte ihm querbeet Freund und Feind ein und begründeten definitiv seinen Ruf des unerschrockenen Politikers jenseits von Parteiinteressen.

Nun bringen Teile der Linken Dick Marty ins Gespräch als möglichen Bundesrat. Die WOZ bereitete den Zug seit Wochen vor; die Grünen im Tessin aktualisierten dieser Tage die Idee. Andy Gross, SP-National- und Europarat setzte heute noch einen drauf: Er brachte unter dem Titel “Bundesratswahlen: Keine Castingshow” (erneut) eine Streitschrift zur Regierungszusammensetzung heraus, die Marty zum Favoriten der fraktionsübergreifenden LinkspolitikerInnen erhebt.

Die FDP kann’s ärgern oder freuen: Missmutig dürfte Fulvio Pelli sein, dessen Anspruch, die einzige italienischsprachige Alternative im Kabinett der Minderheiten zu sein, geschmälert wird. Freuen könnte sich aber seine FDP, dass sie über einen Kandidaten verfügt, der links von ihr wählbar erscheint.

Gewählt ist Marty damit bei Weitem nicht. Doch könnte er zur Option der FDP werden, wenn diese die ihren zweiten Sitz im Bundesrat mit den Stimmen von links verteidigen muss. Je nach Verlauf der Bundesratswahlen könnte das von Belang werden.

Mit seinem neuen Buch lanciert Gross auch noch ein zweites Diskussionsangebot: die Bundesregierung in Richtung “kleiner Konkordanz” umzubauen. Gemäss dem Lieblingsthema der Grünen soll mit der Gesamterneuerungswahl von 2011 der Bundesrat auf 9 Sitze erweitert, jedoch um die SVP reduziert werden. Die Bundesregierung solle sich inskünftig aus je zwei Vertretern von FDP, CVP und SP sowie je einem Mitglied der BDP, der Grünliberalen und der Grünen zusammensetzen, um der SVP in der Opposition widerstehen zu können.

Claude Longchamp

Andreas Gross, Fredi Krebs (Hg.): Bundesratswahlen sind keine Casting-Show! Edition le Doubs, St. Ursanne 2009