Aber, aber, Philipp Müller!

Sehr geerhter Herr Nationalrat Müller

gemäss “Sonntag” wollen sie “vorzeitige Neuwahlen. Am liebsten schon morgen”. Denn Parlament und Regierung der Schweiz sollten neu bestellt werden, da ihre Politik angesichts der Polarisierung festgefahren sei. Um es gerade heraus zu sagen: über den Befund könnte man diskutieren, über den Vorschlag nicht

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FDP-Leuchtturm Philipp Müller will mehr Politik aus dem Bauch heraus, zum Beispiel mit Parlamentswahlen, die jederzeit möglich sein sollten.

Ich nehme an, Sie kennen die Bundesverfassung. Art. 145 lautet: “Die Mitglieder des Nationalrates und des Bundesrates sowie die Bundeskanzlerin oder der Bundeskanzler werden auf die Dauer von vier Jahren gewählt.” Das ist im aktuellen Fall, der auch für Sie als Nationalrat gilt, bis Oktober 2011.

Sie wollten sich der aufgeworfenen Sache mit einer parlamentarischen Initiative annehmen, schieben sie nach. Schön, sag ich da. Bis die behandelt und entschieden ist, braucht es aber seine Zeit. Und dann müsste eine Verfassungsänderung auch noch vors Volk und die Kantone, und bräuchte erst noch das doppelte Mehr. Das geht wohl noch länger.

Herr Müller, ich schätze Ihre Art, die Sachen, die sie bewegen wollen, gerade heraus zu benennen. Ich bin nicht immer Ihrer Meinung, aber bei Ihnen weiss ich normalerweise, woran man ist. Doch diesmal scheinen Sie, nach ein paar guten Auftritten in der Sonntagspresse der Versuchung erliegen zu sein, erneut das Wort zu Sonntag haben zu können.

Was würde geschehen, wenn wir schon wieder wählen würden? Die kantonalen Wahlen zeigen ein leichtes Plus für die SVP und für die Grünen an. Sitze verlieren würden wohl SP und ihre FDP. Bei der CVP dürfte eine gemischte Bilanz resultieren. Gestärkt würden aber aller Voraussicht nach die BDP und die Grünliberalen.

Die von ihnen beklagte Polarisierung wäre damit nicht geringer. Hinzu käme mit den gestärkten Kleinparteien eine erhöhte Fragmentierung der politischen Landschaft. Ob damit in der Volksvertretung eine klarer Wille zum Ausdruck käme als jetzt, darf bezweifelt werden.

Die Schweiz hat sich, gerade unter freisinniger Führung, politische Institutionen gegeben, die auf Stabilität ausgerichtet sind. Deshalb haben Bundesräte, Nationalräte, Ständeräte und die Spitzen der Bundeskanzlei feste Amtszeiten. Der Grund hierfür ist einfach: Wir haben gleichzeitig eine Verfassung, die man recht flexibel ändern kann. Die totale Flexibilisierung des Staates, wie sie es wollen, müsste zwangsläufig zur opportunistischen Instabilität führen.

Besteht dennoch ein Handlungsbedarf in kürzeren Zeitintervallen, ist politische Führung angesagt. Diese besteht eben nicht, wie das heute so üblich geworden ist, in der eigenen Position, verstärkt durch einen Partner, sondern in der Regel aus drei der grösseren Regierungsparteien. SVP, FDP und CVP rechnet sich, SP, CVP und FDP meist auch. Ihre Partei hätte es also in der Hand, mit der CVP die Zentrumsbrücke der Schweizer Politik zu bilden, und mit jeweils einer der Polparteien eine sachlibezogene Allianz einzugehen.

Die Spekulation, dass man die Schweiz mit einer SVP/FDP-Mehrheit regieren könne, die 2003 aufkam, ist das Problem. Die aktuelle Krise verweist darauf, dass rechte und liberale Politiken zwar materiellen Wohlstand für bestimmte Gruppen bringen, gesellschaftspolitisch aber Gräben in der Europafragen, bei den Sozialwerken und im Verhältnis der Landesteile aufwerfen. Deshalb funktioniert diese Politik weder im Parlament richtig, noch hat sie sich in der grossstädtischen Politik als Alternative zur Konkordanz erwiesen. Herr Leuchtturm, Ihr eigener Parteiräsident, Fulvio Pelli, hat das diese Woche mit aller Deutlichkeit gesagt.

Das einzige Argument, das in dieser Logik für Neuwahlen sprechen würde, dürfte Ihnen nicht behagen: Es wäre die personelle und parteipolitischen Erneuerung des Bundesrates, und zwar im Sinne der Angleichung stabiler Mehrheiten in der Regierung an die, die im Parlament möglich sind. Das kann man auch ohne lange Staatsreformen einleiten.

Sie behaupten, ihre Forderung sei ein uraltes Anliegen der FDP. Ich widerspreche Ihnen. Uralt ist am Freisinn, dass er sich für vernünftige Sachen in der Schweiz eingesetzt hat. Politisch “uralt” sehen dagegen die aus, die solchen Unsinn, wie Sie heute, in die Welt setzen.

Weiterhin schönen “Sonntag”, wünscht Ihnen

Claude Longchamp