Tabakwerbung zwischen Wirtschaftsfreiheit und Schutzbedürfnis

Am 13. Februar 2022 stimmt die Schweiz über ein Verbot von Tabakwerbung ab. Dabei ist mit einer Ambivalenz im Abstimmungskampf zu rechnen, wie sie sich bereits in der Parlamentsberatung zeigte. Der Ausgang der Abstimmung ist meines Erachtens offen, wenn auch mit leichten Vorteilen für die Nein-Seite.


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In der Schweiz darf heute für Tabakprodukte geworben werden. Verboten ist nur Tabakwerbung in Radio und Fernsehen. Das gilt auch für Werbung, die sich gezielt an Minderjährige richtet. Eine Mehrheit der Kantone hat zudem weitergehende Verbote erlassen.

Die neue Volksinitiative
Die Vorlage, über die am 13. Februar 2022 abgestimmt wird, will die Tabakwerbung überall dort verbieten, wo Kinder und Jugendliche sie sehen können, zum Beispiel in der Presse, auf Plakaten, im Internet, im Kino, in Kiosken oder an Veranstaltungen. Für elektronische Zigaretten würden die gleichen Regeln gelten.
Erlaubt wäre nur Werbung, die sich an Erwachsene richtet oder sich an Orten befindet, zu denen Minderjährige keinen Zugang haben.
Die Trägerschaft der neuen Volksinitiative stammt aus verschiedenen Gesundheitsorganisationen, darunter der Krebsliga. Und sie kommt aus Jugendverbänden.
Ihr Hauptgrund ist, dass die geltende Regelung ungenügend sei. 109’960 Unterschriften haben sie dafür gesammelt.

Ambivalenz und Entscheidung im Parlament
Im Parlament wurde sichtbar, dass es sich um einen wirtschaftspolitischen Konflikt mit links/recht-Polarisierung handelt. Allerdings kamen auch Fragen der Schutzwürdigkeit der Gesellschaft, insbesondere auch der Jugend, vor Werbung zum Tragen kamen. Das liess insbesondere die Mitte schwanken.
Dennoch gehen geht die Volksinitiative Bundesrat und Parlament zu weit. Wie meist in solchen Fragen, werden generelle Verbote abgelehnt. Allerdings stellen sie der Volksinitiative einen indirekten Gegenvorschlag gegenüber.
Die neuen Bestimmungen würden Werbung für Tabakprodukte und elektronische Zigaretten auf Plakaten und im Kino verbieten. Auch dürften Tabakkonzerne keine Zigaretten mehr gratis abgeben oder internationale Veranstaltungen in der Schweiz sponsern.
Weiterhin erlaubt wäre die Werbung an Kiosken, in der Presse oder im Internet, ausser wenn sie sich an Minderjährige richtet. Zudem wäre das Sponsoring von nationalen Veranstaltungen erlaubt.

Schlussabstimmung mit bürgerlichem Nein
In der Schlussabstimmung kam die Volksinitiative im Nationalrat auf 88 Ja zu 101 Nein, und im Ständerat waren 14 dafür und 29 dagegen. Politisch gesprochen umfasste das Nein-Lager die SVP, FDP und zwei zwei Drittel der Mitte, während SP, Grüne und Grünliberale geschlossen oder grossmehrheitlich für die Vorlage stimmten.
Ueber den indirekten Gegenvorschlag wird nicht abgestimmt; bei einem Nein zur Initiative tritt er in Kraft.


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Frühe Prognosen
Prognosen unabhängig vom Abstimmungskampf gehen von einer finalen Ablehnung aus, wenn auch mit einem respektablen Ja-Anteil.
So kommt die Hochrechnung der Politikwissenschafterin Michelle Huber aufgrund der Schlussabstimmung im Nationalrat auf ein Zustimmungspotenzial von 44 Prozent unter den Stimmenden.
Die Plattform «Stellus», betrieben vom Informatiker Daniel Müller, schätzt den Ja-Anteil auf 41 Prozent. Dabei stützt er sich auf eine Inhaltsanalyse des Abstimmungsbüchleins.

Referenzabstimmungen aus der Vergangenheit
In der Vergangenheit ist mehrfach über ähnliche Volksinitiativen abgestimmt worden. Auch sie scheiterten. Thematisch verwandt war die Entscheidung über ein Verbot der Suchmittelreklame, die 1979 auf 41 Prozent kam. 1993 wurde eine Volksinitiative zur Verminderung der Tabakprobleme gar mit 26 Prozent Ja verworfen. Die Problemstellung war stets vergleichbar, ebenso waren auch die Konfliktlinien ähnlich wie heute.

Der vermutlicher Parolenspiegel
Erste Parteien haben ihre Parolen bereits jetzt festgelegt. Daraus kann man schliessen, dass die Volksinitiative von rechts her abgelehnt, von links her aber unterstützt werden wird.
Noch etwas offen ist, was die Partei “DieMitte” entscheidet. Aufhorchen liess, dass die Kantonalpartei im Thurgau mit 63 zu 26 eine deutliche Ja-Parole fasste und sich damit gegen die Fraktionsmehrheit stellte. Ja sagte auch die Kantonalparteien in Genf, Noch ist offen, ob das bereits ein neuer Trend oder ob es ein Ausreisser sind.
Fest auf der Ja-Seite sind die SP und die EVP. Erwartet wird, dass sich Grüne, Grünliberale anschliessen.
Die Ja-Allianz würde damit 41 Prozent der Wählenden ausmachen, die Nein-Seite 52 Prozent umfassen.

Erwartungen an den Abstimmungskampf
Die bisherige Erfahrungen mit solchen Abstimmungskämpfen zeigen, dass die Ja-Seite moralische Argumente auf ihrer Seite hat, die wirtschaftlichen jedoch auf der Nein-Seite sind.
Noch hat der Abstimmungskampf nicht begonnen. Immerhin nutzte die Ja-Seite eine jüngst publizierte, international vergleichende Studie zu Regelungen der Tabakwerbung in Europa, um die large Gesetzgebung in der Schweiz anzuprangern, die unter dem Einfluss der “Tabakmultis” so belassen werden solle.
Eine wirkliche Prognose wird man erst mit konsolidierten Umfragen machen können, die sich auf Umfragen stützen können. Das wird wohl erst Mitte Januar 2022 der Fall sein.

Szenarien der Meinungsbildung
Man kann aber jetzt schon eine Zustimmungsmehrheit in frühen Befragungen erwarten. Danach sind zwei Szenarien denkbar:
• das häufige , bei dem gleichzeitig die Nein-Seite zu- und die Ja-Seite abnimmt, sodass es auch zum einem Wechsel der Mehrheitsverhältnisse kommen kann;
• das seltene, wonach die Ablehnungsbereitschaft zwar steigt, die Zustimmung aber stabil bleiben. Das würde auch eine finale Ja-Mehrheit erlauben.
Erwartbar ist das zweite Szenario nur, wenn die Partei “DieMitte” ein Ja empfiehlt, die Meinungen früh stabilisiert werden der Abstimmungskampf keinen Meinungswandel auslösen würden. Danach sieht es wenigstens im Moment nicht aus.

Erste Zwischenbilanz
Meine Erwartung ist: Die Entscheidung am 13. Februar 2021 ist noch offen. Im Abstimmungskampf startet die Volksinitiative mit einem Vorsprung, der jedoch schmilzt und sich auch in einen Rückstand verwandeln kann.
Gäbe es ein Ja, wäre das ein Paradigmenwechsel in der Werbepolitik des Landes, bei einem Nein die Fortsetzung der bisherigen Praxis.

Claude Longchamp