Medienpaket zwischen “Demokratieförderung” und “Staatsmedien”

Diese Woche lancierte Bundesrätin Simonetta Sommaruga den Abstimmungskampf zum Massnahmenpaket zugunsten der Medien, über das wir am 13. Februar 2022 unter anderem abstimmen werden. Gleichentags sagte die Präsidentenkonferenz der FDP Nein dazu. Konfliktstoff ist angesagt. Hier meine erste Auslegeordnung.


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Der Anlass und die Vorlage
Das gleichzeitig erschienene Abstimmungsbüchlein des Bundes umschreibt die Ausgangslage so: «Die Schweizer Medien sind unter Druck. Immer mehr Werbegelder fliessen zu den grossen internationalen Internetplattformen ab. Seit 2003 sind über 70 Zeitungen verschwunden. Das schwächt die Berichterstattung über das Geschehen vor Ort. Damit die Bevölkerung weiss, was in ihrer Region und in der Schweiz geschieht, braucht es Zeitungen, Lokalradios, Regionalfernsehen und Online-Medien, die darüber berichten. Darum wollen Bundesrat und Parlament die lokalen und regionalen Medien stärken.»
Konkret ist vorgesehen, die bisherigen Ausgaben von 136 Millionen CHF pro Jahr ungefähr zu verdoppeln. Die Massnahme ist aber befristet.

Die Positionen im Parlament
Im Nationalrat stimmten nach längerem hin und her 115 Volksvertreter:innen zu, 75 warendagegen. Geschlossen dafür votierten die Fraktionen der SP und der Grünen. Mehrheitlich im Ja waren die glp- respektive die Mitte-Fraktion. Gespalten zeigte sich die FDP, und ganz dagegen positionierte sich die Fraktion der SVP.
Im Ständerat stimmten 28 Kantonsvertreter:innen für die Vorlage, 10 waren im Nein. Die Fronten verliefen vergleichbar.
Damit passierte das Paket beiden Parlamentskammern.

Das Referendum von rechts
Von rechter Seite wurde das Referendum ergriffen. Federführend war resp. ist das Komitee «Staatsmedien Nein», geleitet vom alt Nationalrat Peter Weigelt (FDP/SG). Unterstützt wird er von der Kommunikationsagentur Dr. Gut, dessen Leiter Philipp Gut vormals stellvertretender Chefredaktor der Weltwoche war.
So sind knapp 65’000 beglaubigte Unterschriften zusammengekommen, sodass es zur besagten Volksabstimmung kommt.

Medien in heikler Doppelrolle
Die Unterschriftensammlung machte klar, dass ein ideologisch ausgetragener Konflikt zwischen Staats- und Wirtschaftsaufgabe schwelt. Die Opposition von rechts spricht konsequent von Geld für “Staatsmedien”, die gefügig gemacht werden sollen. Anders sieht es die Ja-Seite, welche die Medienförderung demokratiepolitisch für notwendig hält.
Für die Medien selber ist die Aufgabe heikel, denn sie sind Vermittler und Betroffene des Paket. Auf der Ja-Seite ist in erster Linie ein Komitee des Zeitungsverlegerverbandes aktiv. Zudem hat sich ein Verein für Demokratie und Medienvielfalt mit Verbindungen Mediengewerkschaften und Medienschaffenden formiert.
Die grossen Medien haben denn auch angekündigt, nach den üblichen Regeln berichten zu wollen. Es gibt auch offene Opposition. So kündigte der CR der NZZ, Eric Gujer, an, die erweiterte staatliche Medienförderung abzulehnen.
Nochmals anders verhält sich die Rechtspresse von der “Weltwoche” bis zum “Nebelspalter”, die alle das Gesetz bekämpfen. Da schwingt auch mit, der Medienministerin Simonetta Sommaruga nach der CO2-Ablehnung eine Niederlage zu bescheren, um sie politisch zu schwächen. Da gibt es auch Verbindungen zur zivilgesellschaftlichen Opposition, die gegen das Covid-Gesetz mobilisiert(e).

Was die Mittelfrist-Prognosen sagen
Wenn gegen eine Parlamentsvorlage das Referendum ergriffen wird, hat sie langfristig eine Wahrscheinlichkeit von 58 Prozent, angenommen zu werden. Das ist die schnellste, aber auch allgemeinste Prognose, da sie vom Inhalt absieht.
Aufgrund der Schlussabstimmung im Nationalrat kommt die Hochrechnung der Politikwissenschafterin Michelle Huber auf einen wahrscheinlichen Ja-Anteil von 57 Prozent, allerdings mit einem erheblichen Unsicherheitsbereich.
Eben erschienen ist die Umrechnung der Inhaltsanalyse des Abstimmungsbüchleins, die Daniel Müller auf der Prognose-Plattform “Stellus” vornimmt. Er rechnet mit einer Zustimmung von 55%.
All diesen Verfahren der frühen Vorhersage von Abstimmungsergebnissen ist allerdings eigen, dass sie einen normalen Abstimmungskampf annehmen.


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Vermutlicher Parolen-Spiegel
Noch steht der Parolen-Spiegel der Parteien aus, der nicht nur die Willensbildung im Parlament, sondern auch die Meinungen unter den Stimmberechtigten aufnimmt.
Aufhorchen liess aber das frühe Nein der FDP-Präsidentenkonferenz gleichentags wie die bundesrätliche Medienkonferenz war. Damit bewegte sich die Partei ganz ins gegnerische Lager. Im Parlament war man noch geteilter Meinung gewesen, nicht zuletzt aus regionalpolitischen Interessen. Denn in den Randgebieten zählt man auf die staatliche Medienförderung.
Bei der SVP erwartet man aufgrund der Positionierung im Nationalrat ein Nein. Damit vertritt das Nein-Lager sicher 41 Prozent Parteistimmen.
Auf der Ja Seite stehen sicher oder wahrscheinlich die SP, die Grünen, die GLP, die EVP. Das repräsentiert 40 Prozent Wählende. Unsicher ist die Entscheidung der Mitte. Ihr Präsident weibelt dagegen, die Jungpartei folgte ihm jüngst. Anders sah es die PräsidentInnen-Konferenz der Mitte, die zustimmte und den Weg für die Delegiertenversammlung ebnete.

Was die denkbare Referenzabstimmung lehrt
Auch die naheliegende Referenzabstimmung verspricht Spannung. Dabei handelt es sich um das neue Radio- und Fernsehgesetz, über das 2015 abgestimmt wurde. Die FDP war damals noch auf der Ja-Seite, nur die Jungfreisinnigen bekämpften die Vorlage. Das Ergebnis fiel mit 50.1% Ja äusserst knapp aus. Etwas mehr Opposition hätte wohl zu einer Ablehnung geführt.
Beifügen kann man allerdings, dass die heutige Situation der Medien kritischer ist als damals, und während der Corona-Krise mehrfach darauf hingewiesen wurde. Die Notwendigkeit des Eingreifens ist sicher grösser geworden.

Zwischenbilanz
Selber stufe ich den Ausgang der Abstimmung so ein: Die Ja-Seite hat leichte Vorteile aufgrund der Entscheidung in Regierung und Parlament. Entscheidend wird sein, wie sich die Mitte positioniert. Und es steht der Abstimmungskampf aus, der erst festlegen dürfte, wie geschlossen die Lager sind und damit auch, ob das Massnahmenpaket zur Medienförderung angenommen oder abgelehnt wird.

Claude Longchamp