Drei Ja und zwei Nein.

Das jedenfalls prognostiziert www.stellus.ch auf seiner Webseite. Das Tool modelliert die Abstimmungsausgänge aufgrund der gesamten Texte im Abstimmungsbüchlein des Bundes. Dafür wurden alle Unterlagen zwischen 1979 und 2017 ausgewertet. Verglichen wurden der Inhalt mit dem Abstimmungsausgang. Das Modell entstand anschliessend mittels Machine-Learning.

«Prognosen für den 13. Juni: Nein – Nein – Ja – Ja – Ja
1. Volksinitiative für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung: Modellprognose: Nein (Modellwahrscheinlichkeit für ein Ja: 13.4 %)
2. Volksinitiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide»: Modellprognose: Nein (Modellwahrscheinlichkeit für ein Ja: 22.8 %)
3. Covid-19-Gesetz: Modellprognose: Ja (Modellwahrscheinlichkeit für ein Ja: 100 %)
4. CO2-Gesetz: Modellprognose: Ja (Modellwahrscheinlichkeit für ein Ja: 100 %)
5. Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT): Modellprognose: Ja (Modellwahrscheinlichkeit für ein Ja: 100 %)»

Zu den Eigenheiten von «stellus» gehört, dass die Prognosen anonym sind. Niemand kann gerühmt werden, aber auch niemand erhält Schelte-
Ich gebe zu, das hat mich am Anfang gestört. Zwischenzeitlich ist es mir gelungen, den Urheber der Prognosen ausfindig zu machen. Zur Person nur so viel: Sie hat das Vorgehen an der ETH Lausanne entwickelt und als akademische Abschlussarbeit präsentiert. Seit dem Hochschul-Abgang arbeitet sie in einem anderen Gebiet, betreibt aber die Plattform als Hobby weiter.

Möglichkeiten und Grenzen
Seit Mitte 2017 sind auf www.stellus.ch 29 Prognosen zu Volksabstimmungen entstanden. 25 sahen die richtige Mehrheit voraus, waren also korrekt. In vier Fällen stimmte die qualitative Aussagen nicht.
Konkret handelte es sich dabei um
. die Reform der Altersvorsorge (2017),
. das Jagdgesetz (2020),
. die elektronischen Identifikationsdienste (2021) und
. die Verhüllungsinitiative (2021), die angenommen wurde.


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Was anfänglich sehr zuverlässig schien, weist damit Schwächen auf. Drei der vier Fehlprognosen fallen in die letzten sechs Monate. Zwei waren am 7. März.
Allerdings waren die falsch prognostizierten Ausgänge knapp. Nur die eID-Entscheidung war deutlich im Nein, anders als die Ja-Vorhersage von «stellus».
Ein weiteres Mal winkte dem Tool auch ein wenig Glück. Denn bei der Konzernverantwortungsinitiative kam das vorhergesehene Nein nicht wegen dem Volks-, sondern einzig wegen dem negativen Ständemehr zustande.
Insgesamt kann man sagen, das Tool ist nicht perfekt, aber brauchbar. Die Trefferquote ist im ähnlichen Bereich wie dem der Umfragen, Wettbörsen und weiterer Medienanalysen. Das ist denn auch der Grund, weshalb ich es in meine jeweilige Uebersichten mit einbeziehen.

Stärken und Schwächen des Tools
Die Stärke von stellus” liegt darin, recht früh eine Aussage machen zu können. Das ist bei einer Vorhersage ein eigentliches Plus. Doch ist die Schwäche ebenso offensichtlich. Besonderheiten der Meinungsbildung werden kaum erfasst. Das Modell ist vor Ueberraschungen nicht gefeit.
Schlimmer noch: Auch ohne das elaborierte AI-Modell kann man die Prognosen von «stellus» machen. In 28 der 29 Fälle folgte es der einfachen Regel, dass Behördenvorlagen angenommen und Volksinitiativen abgelehnt werden. Die einzige Ausnahme betraf die Erhöhung der Mehrwertsteuer für die Rentenreform. Damals sah «stellus» korrekt eine Ablehnung voraus, obwohl es eine Behördenvorlage war. Das Nein fiel mit 50.05 allerdings äusserst knapp aus.
Das relativiert den Mehrwert des AI-Modells, jedenfalls bis jetzt.

Bewertung der aktuellen Prognose
Die aktuelle Prognose ist nicht überraschend, denn sie basiert wiederum auf der einfachen Dichotomie zwischen Behörden- und Oppositionsprojekten.
Riskiert scheinen mir vor allem die Sicherheitsangaben. Bei den drei aktuellen Gesetzesreferenden ist sich das Modell drei Mal zu 100 Prozent eindeutig. Auch wenn der Autor festhält, dass das keine Angabe zur Höhe der Zustimmung ist, habe ich meine Zweifel.
Namentlich beim PMT-Referendum bin ich deutlich weniger sicher. Denn es gibt bei dieser Vorlage einen gut sichtbaren Konflikt von links, der nicht wirtschafts- oder sozialstaatlich ausgerichtet ist. Vielmehr ist er libertär und hat auch die Jungfreisinnigen erfasst.
Das ist meines Erachtens so unüblich, dass ich mich da nicht alleine auf das wording im Bundesbüchlein verlassen würde. Denn das Modell funktioniert nur, schreibt der Autor, wenn es zu einem üblichen Stimmverhalten kommt.