Worüber wir am 5. Juni 2016 abstimmen (4): die Asylgesetzrevision

Asylgesetzrevisionen wie die, die am 5. Juni 2016 zur Abstimmung kommt, haben es in sich. Sie betreffen einen der Bereiche, bei denen man bevölkerungsseitig am am verbreitetsten Lösungen erwartet. Deshalb sind Reformen im Asylwesen nicht nur Gesetzesänderungen; es geht in hohem Masse auch um Bewältigung von Alltagserfahrungen.

Das Anliegen

Das geltende Schweizer Asylrecht ist seit dem 1. Oktober 1999 in Kraft. Seither ist es mehrfach teilrevidiert worden. Die letzte Volksabstimmung hierzu fand 2013 statt.
Die jüngste Gesetzesrevision will die Verfahren bei der Erteilung von Asyl oder Wegweisung von Bewerbern markant beschleunigen. Lange sah es nach einem breiten parteiübergreifenden Kompromiss aus. Doch während den Schlussabstimmungen am Ende der letzten Session vor den Parlamentswahlen erklärte die SVP-Fraktion, sie ergreife wegen den vorgesehenen Gratisanwälten und der Möglichkeit zu Enteignungen für den Bau von Bundeszentren das Referendum. Dies setzte reihenweise kritische Stimmen von der politischen Konkurrenz ab, man habe die Beschleunigung gefordert, jetzt wo sie pfannenfertig sei, lehnen man sie ab. Das sei reine Problembewirtschaftung und trag nichts zur Problemlösung bei. Davon unbeirrt sammelte die Partei im Alleingang in der nötigen Zeit 58’000 Unterschriften, sodass es am 5. Juni 2016 zum Volksentscheid kommt.
Aufgrund der Positionierungen im Parlament kann man die Parolen der Parteien weitgehend abschätzen. Allgemein rechnet man damit, dass die SVP isoliert bleibt. BDP und EVP sagen ja. FDP, CVP und GLP dürften ebenso für die Revision sein. Die SP, als Partei der Justizministerin Simonetta Sommaruga, dürft sich dazu gesellen. Etwas unsicher ist der Entscheid vor allem bei der GPS. Die Jungen Grünen haben ihre Opposition beschlossen, der Fraktionspräsident wirbt dafür.

Typologie der Meinungsbildung
Für eine mehrheitlich positive Prädisponierung der anfänglichen Stimmabsichten zur Asylgesetzrevision spricht das angestrebte restriktive Regime. Bisher sind alle Bestrebungen in diese Richtung unterstützt worden. Aktuelle Befragungen zeigen, dass bis zu vier Fünftel der Stimmberechtigten für die neuen Bundeszentren sind; knappe Mehrheiten stellen sich aber gegen eine kostenlose Rechtsberatung aus.
Entscheidend wird der Abstimmungskampf sein, für den es zwei Szenarien gibt: Entweder kommt es zum Normalfall bei einer Behördenvorlage, bei dem die Unschlüssigkeit zugunsten von Zustimmungs- und Ablehnungsbereitschaft schwindet, und die Vorlage angenommen werden dürfte. Nötig hierfür ist eine gute Ja-Kampagne mit Unterstützung in den Massenmedien. Oder aber es tritt der Ausnahmefall bei einer Behördenvorlage ein, bei dem nicht nur die Ablehnungsbereitschaft steigt, sondern auch die Zustimmungstendenz sinkt. Das ist dann der Fall, wenn es zu einem eigentlich Protestvotum kommt. Die Vorlage dürfte dann scheitern.

Bisheriger Abstimmungskampf

Im aktuellen Abstimmungskampf nimmt die Asylgesetzrevision eine Leadposition ein. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil die Asylthematik gemäss allen Umfragen im Problemhaushalt der Bürgerinnen eine Spitzenposition einnimmt. Das spricht für ausgebildete Meinungen unabhängig von Kampagnen, sodass das mediale Interesse an der Sache auf Widerhall stossen dürfte.
Der Abstimmungskampf begann am 21. März 2016 mit der Medienkonferenz von Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Er könnte mehr als 70 Tage dauern – eine lange Zeit, die Umschwünge in der Meinungsbildung zulässt. Die relevanten Ereignisse könnten auch aus dem europäischen Umfeld kommen. So nehmen die SVP-Opponenten das Kippen der Stimmung zur Willkommenskultur in Deutschland direkt auf. Auf die Schweizer Stimmungslage übersetzt sehen wir vor allem die Fragen des militärischen Grenzschutzes und der Obergrenzen für Asylsuchende als virulent an, verbunden mit der Unterbringung von Flüchtlingen in den Gemeinden, denn die macht Asylfragen am ehesten direkt erlebbar.
Die SVP überraschte die Öffentlichkeit mit der Aussage, kein Geld in den Abstimmungskampf stecken zu wollen. Vielmehr erwarte man eine kontroverse Debatte in den Medien und ein persönliches Engagement in den Kantonen. Spekuliert wird, es könnte sich um eine Retourkutsche gegen die (privaten) Medien handeln, die bei der Durchsetzungsinitiative die SVP exemplarisch bestragen wollten. Auf Engagement setzt auch die Gegnerschaft. So will Economiesuisse aktiv Stellung dafür beziehen, aber kein Geld spenden. Für die Vorlage kämpfen will Operationlibero, die seit der Durchsetzungsinitiative auf einen starken Mitgliederzuwachs setzen kann.
Die Befürworter werben seit Kampagnenstart mit günstigeren und schnelleren Verfahren. Das soll raschere Entscheidung über Integration in den Arbeitsmarkt oder Wegweisung aus der Schweiz erlauben. Nebst den Gründen für das Referendum (Gratisanwälte, Enteignungen) werden auf der Gegenseite Kritiken laut, dass es keine Verbesserung der Missbrauchsbekämpfung geben würde und die Ausschaffung abgewiesener Asylsuchender nicht vereinfacht werde.

Referenzabstimmung
Die Krux beim Vergleich mit früheren Abstimmungen in verwandter Sache besteht in der andersartigen Opposition. Bei der jüngsten Revision des Asylgesetzes waren 78,4 Prozent der Stimmenden dafür, nur 21,6 Prozent folgten den Opponenten. Klar Nein sagte vor allem die äussere Linke. Die Nachanalyse im Rahmen der VOX-Untersuchung bestätigte das bekannte, politische Profil der Entscheidung. So polarisierte die Vorlage entlang der Parteibindungen. Sie spaltete entlang von Werten zur Offenheit der Schweiz und Chancengleichheit für AusländerInnen auf der einen Seite, während namentlich Ruhe und Ordnung der übergreifende Wert auf der anderen Seite war. Gegensätze mit diesem Muster finden entlang der sozialen Schicht, insbesondere der Schulbildung, eine gegensätzliche Bewertung, und sie teilten das Land entlang der Siedlungsart auf. Unterschiede waren dabei meist nur gradueller Natur, denn letztlich stimmten fast alle untersuchten Gruppen mehrheitlich für die Revision. Motivmässig war die Verbesserung des Asylverfahrens durch Beschleunigung massgeblich. Weiter spielte der Eindruck einer generellen Überfremdung eine Rolle. Schliesslich begründete ein Teil der Befürworter seine Position ausdrücklich damit, eine restriktivere Asylpolitik anzustreben. Auf der Nein-Seite waren humanitäre Motive entscheidende gepaart mit dem Wunsch, eine Verschlechterung der Asylverfahren vermeiden zu wollen.
In der Vorbefragung für die SRG starte die Revision mit knapp der Hälfte der Stimmen auf der befürwortende Seite. Im Abstimmungskampf nahm diese schnell zulasten einer anfänglichen Unschlüssigkeit zu. Die Gegnerschaft verringerte sich bis zum Schluss.
Unterstellt man für die kommende Entscheidung eine starke Opposition von rechts, dürfte das mindestens 25 Prozent mehr Ablehnung bewirken als vor 3 Jahren. Dafür könnte das linke Nein etwas schwächer sein.

Erste Bilanz
In den kommenden Wochen wird es darauf ankommen, wer im Abstimmungskampf die Deutungshoheit über die Vorlage gewinnt. Ist dies das befürwortende Lager, weil es die gewünschte Beschleunigung der Verfahren verficht, ist mit einer Annahme zu rechnen. Gelingt es der Opposition die Mängel der Vorlage selbst aus gegensätzlicher Richtung zum zentralen Thema zu machen, ist die Ablehnung wahrscheinlicher. Grösste Unbekannte sind die realen und vermittelten Entwicklungen in der europäischen Flüchtlingsfrage. Denn sie bestimmen in einem erheblichen Masse die Stimmung, in der über die Vorlage entschieden wird.
Bis erste Umfragen zur aktuellen Asylgesetzrevision vorliegen, muss man den Ausgang dieser Volksabstimmung wohl als ziemlich offen bezeichnen.

Claude Longchamp