Symptomatischer Zeitenwandel

Anders als gewohnt, ist der Verlauf der Meinungsbildung zur Volkswahl des Bundesrats. Denn bei Volksinitiativen ist es üblich, dass sich mit dem Abstimmungskampf das Nein aufbaut, während das Ja abnimmt. Nun zeigt der Vergleich der beiden Trendbefragungen hierzu, welche das Forschungsinstitut gfs.bern realisiert hat, faktisch eine Konstanz. Was sind die Gründe?

Erstens gilt es zu betonen, dass die Zustimmung zur Volksinitiative schon mit der ersten Befragung tief war. Man könnte argumentieren, der bekannte Meinungsumschwung, der sonst im Abstimmungskampf geschieht, habe schon vorher stattgefunden. In der Tat war die Meinungsbildung schon zu einem frühen Zeitpunkt in weiten Kreisen der interessierten Bürgerschaft fortgeschritten.
Zweitens, reduziert auf die Kernwählerschaft, zeigt die Kampagne der SVP durchaus Wirkungen: Die Geschlossenheit ihrer WählerInnen ist in der zweiten Erhebung höher als in der ersten. Gestiegen ist die Zustimmung auch bei Parteiungebundenen. Zugenommen hat die Ja-Absicht weiter bei regierungsmisstrauischen BürgerInnen, genau so wie bei den untersten Einkommensklassen. Doch sind die Veränderungen geringer als sonst.
Drittens, die Polarisierung hat nicht zwischen der Rechten und der Linken stattgefunden. Faktisch stehen sich die Wählenden des SVP und die Basen aller anderen Parteien gegenüber. Es fehlt das Interesse namentlich der WählerInnen von FDP und CVP, sich der SVP in dieser Sache anzuschliessen. Die Nein-Parolen sitzen, und sie werden auch grossräumig befolgt.

Regierungsvertrauen
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Institutionelle Neuerungen haben es deutlich schwieriger als Politikwechsel. Das zeigt nur schon der Vergleich mit der anderen Abstimmungsvorlage, über die am 9. Juni entschieden wird. Denn eine Verschärfung der Asylpolitik geht weitgehend problemlos durch das Parlament. Die bürgerlichen Allianzen funktionieren hier gut, und die Wählerschaften von rechts bis in die Mitte ziehen nach.
Zahlreiche Volksabstimmungen der letzten 15 Jahren legen nahe, wie schwer es in der Schweiz ist, via Volksabstimmungen einen Wandel der Institutionen durchzusetzen. Drei grosse Projekte, die von rechts lanciert wurden, scheiterten deutlich: Die Beschleunigungsinitiative, welche kürzere Fristen verlangt, während denen über eine Volksinitiativen entschieden werden müssen, wurde im Jahre 2000 mit 70 zu 30 abgelehnt. Gar drei Viertel der Stimmenden votierten gegen die sog. Maulkorb-Initiative, mit der die Opponenten versuchten, den Aktionsspielraum des Bundesrates in Abstimmungskämpfen einzuengen. Genau gleich viele stimmten vor Jahresfrist gegen die Erweiterung des geltenden Staatsvertragsreferendum auf alle Staatsverträge.

Zwar hat die SVP mit dem Extrablatt versucht, nach bekannter, populistischer Manier ihre Kampagne in Gang zu bringen: Der Untergang der Schweiz wurde prognostiziert, und die Volkswahl des Bundesrats wurde als das Mittel zur Lösung zahlreicher Sachfragen propagiert. Nur blieb die erwartete Reaktion weitgehend aus. Man kann sich durchaus die Frage stellen, ob die Zeit für (Rechts-)Populismus vorbei ist?
Das gegenwärtige Klima wird durch das Missfallen an den Managerboni in international tätigen Firmen definitiert. Die angenommenen Minder-Initiative leistete ihre Beitrag dazu; die anhaltende Aufmerksamkeit für die 1:12 Initiative zeigt, wie nachhaltig die so eingeleitete Veränderung wirkt.
Das verblasst selber die Kritik an der classe politique, ausgelöst durch den UNO-Beitritt im Jahre 2002. Vorbei sind auch die Ängste, die Schweiz werde unter den den Folgen der globalen Finanzmarktkrise leiden. Die Wirtschaftszahlen sprechen eine Sprache für sich, und die Politik hat sich als flexibel genug erwiesen, um auf die Probleme wie den hohen Frankenkurs rechtzeitig zu reagieren. Sie hat damit einen Teil des Vertrauens zurückerobert, das durch verdrängte Themen resp. blockierte Entscheidungen durch Schwarz-Weiss-MalerInnen entstanden ist.
Die neuen Herausforderungen finden sich beim internationalem Druck auf die Schweiz, die vernünftige Positionen der Interessenvertretung in einem gewandelten Umfeld einnehmen sollte. Wiederholte Abstimmungen zu gleichen oder verwandten Fragen lösen da keine grossen Diskussionen mehr aus. Ihnen fehlt das Momentum, das sie noch vor kurzer Zeit zum allgemeinen Reisser werden liess. Denn die Polarisierung aus parteitaktischen Gründen ist heute weniger denn je angesagt.

Claude Longchamp