Bei Wahlumfragen interessieren häufig nur Zahlen

Mein Analyseschema, das ich beim heute erschienen Wahlbarometer verwendet habe, kennt keine einzige Prozentzahl. Gerne lege ich es offen, um die Diskussion über politische Zusammenhänge zu lancieren.

Politikwissenschaftliche Schemata zur Wahlentscheidung differenzieren die Einflussfaktoren in erster Linie entlang der zeitlichen Dauer.

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Zu den langfristigen Faktoren zählen das Wahlrecht, der soziale Wandel und die Verän­derungen im Parteiensystem. Die mittelfristigen leiten sich aus der Politik seit den letzten Wahlen ab und die kurzfristigen Determinanten ergeben sich aus dem Wahlkampf selber.

Längerfristig relevant ist, dass die sprichwörtliche Sta­bilität von Schweizer Wahlen rückläufig ist. Drei Phasen lassen sich unter­schei­den: Die Polarisierung der Parteienlandschaft nach dem EWR-Entscheid (bis 2003), der nationalkonservative Rechtsruck (vor allem die Wahlen 2007) und die Bildung neuer Parteien, die sich sowohl von der Mitte wie auch von den Polen abgrenzen (seit 2007). Insgesamt kann das als Folge der Globalisie­rungs­konflikte mit Marktöffnungen und supranationalen Arrangements interpre­tiert werden, welche die Bedeutung des Nationalstaates in der Politikformulie­rung relativiert haben, in der Bevölkerung aber zu einem Gegenreflex geführt haben. Bezogen auf die Parteienlandschaft relevant ist, dass auf der rechten Seite eine Samm­lung unter der SVP entstanden ist, die zwischen Regierung und Opposition politisiert. Davon hat sich als Folge der Bundesratswahlen 2007 ein Teil der ParteivertreterInnen distanziert und die BDP gegründet. Links der Mitte ist mit der Grünliberalen Partei ebenfalls eine erfolgreiche Innovation entstanden, wel­che die ökologische Ansätze mit marktwirtschaftlichen Instru­menten versöh­nen will und deshalb zwischen rotgrünem Lager und bürgerli­cher Mitte politi­siert.

Die mittelfristigen Faktoren entstanden aus der Konkretisierung der neuen Kon­fliktlinie, die sich sowohl ökonomisch (interessenseitig), als auch kulturell (wert­mässig) bestimmen lässt. In der ersten Hälfte der Legislatur dominierte die Aus­dehnung auf weitere Länder und dauerhafte Verankerung der Personenfrei­zü­gig­keit als zentralem Dossier des bilateralen Verhältnisses mit der EU. Die ent­sprechende Volksabstimmung ging positiv aus. Dennoch kippte die Stim­mung im Jahre 2009 zugunsten migrationskritischer Positionen, was sich in der An­nahme der Minarettverbotsinitiative und der Initiative zur Ausweisung krimi­neller AusländerInnen manifestiert. Das Ganze fand vor erheblicher Erschütte­rungen zentraler Prinzipen der Schweizer Politik statt, ausgelöst durch die Ret­tungsaktion des Staates für die UBS, verschärft durch die Aufweichung des Bankgeheimnisse auf Druck der USA und durch die Doppelbesteuerungsab­kommen mit verschiedenen Staaten, um der grauen Liste der OECD zu ent­kommen.

Die kurzfristigen Bestimmungsgründe von Wahlen zeigen sich am klarsten in der Wahlkampfentwicklung. Diese wird zunehmend durch medial definierte und gerahmte Themen bestimmt. Dabei treten die rein nationalen Streitfragen offensichtlich in den Hintergrund und es machen sich solche breit, die global von Bedeutung sind. Erwähnt seien hier die Kritik an der weltweiten Migration, die Umkehr in der Kernenergiepolitik und die Turbulenzen auf den Finanzmärk­ten. National von Bedeutung ist, dass sich die Rahmenbedingungen von Wahl­kämpfen ändern, beispielsweise beim Einsatz von BundesrätInnen in Par­tei­kampagnen, beschränkt auch durch die Problematisierung von Wahlkampf­ausgaben in der Öffentlichkeit, was nicht alle Parteien gleichermassen trifft. Insgesamt heisst das auch, dass die strategische Orientierung einer Parteikampagne, wie es die SVP mit ihren Super-Wahlkämpfen 2003 und 2007 vorgemacht hat, ohne das Mitmachen der Medien erschwert ist.