935 Mal gelogen – warum nur?

(zoon politicon) Diese Meldung hat sich am Wochenende bei mir festgesetzt: Die US-Regierung hat in den zwei Jahren vor dem Beginn des Irak-Krieg 935 Mal Falsch-Aussagen ins Spiel gebracht, die es ihr erlaubt hat, diesen Krieg zu legitimieren.

Zeitliche Verteilung der Fehlaussagen der amerikanischen Regierung

“Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit”, das kennt man. Doch muss man es noch radikalisieren: “Die Wahrheit wird geopfert, damit es Krieg gibt”. Und das machen nicht nur Propagandisten, nicht nur Spin-Doctoren. Es ist das Geschäft von Regierungen. Das jedenfall ist die Ansicht von Charles Lewis, dem Gründer des Center for Public Integrity, der die Ausserungen von Spitenvertreter der gegenwärtigen amerikanischen Regierung und Administration untersucht hat.

Besonders oft werden Hinweise auf irakischen Massenvernichtungswaffen und Verbindungen der irakischen Regierung zum Terrornetzwerk Al Kaida genannt. US-Präsident George W. Bush und sein damaliger Außenminister Colin Powell waren dabei 260 resp. 254 bewussten Falschaussagen die Spitzenreiter der Riege. Zu den Spitzenpolitikern zählen gemäss Studie auch Vize-Präsident Dick Cheney, die ehemalige nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice sowie Ex-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Bush und sieben seiner Spitzenleute hätten “methodisch” Fehlinformationen in Umlauf gebracht, schreiben die Autoren. Im August 2002, kurz vor der Kongressdebatte über eine Kriegsresolution, und Anfang 2003, als Bush seine Rede an die Nation gehalten und Powell seinen umstrittenen Auftritt im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gehabt habe, sei die Zahl der Fehlinformationen noch einmal “dramatisch” angestiegen, hieß es weiter.

Im Bericht der NZZ hierzu steht, dass sich neuerdings vor allem Oekonomen damit beschäftigen würden, unter welche Bedingungen Politikerlügen möglich und wahrscheinlich seien. Kurz zusammengefasst, argumentiert sie auf der Basis von rational choice: Wenn es keine Sanktionen gäbe, würde auch Politik nur ihren Interessen folgen, und wenn diese Interessen Lügen bedingen, würden sie Lügen, solange der damit angerichtete Schaden für die geringer als der Nutzen sei.

Ich halte mal dagegen: Das ist keine Erklärung des Phänomens, sondern eine Beschreibung des Problems. Politik werden nicht gewählt, um ihre eigenen Interessen zu realisieren, sondern um dem Gemeinwohl zu dienen. Das ist letztlich keine ökonomische, sondern eine moralische Kategorie. Sicher muss stets verhandelt werden, was das Gemeinwohl in einer gegenwärtigen Situation ist. Doch das gibt niemanden den Freipass, jenseits moralischer Grundsätze, die unantastbar sind, seine Interessen durchzusetzen.

Solange wir ein Menschenbild von PolitikerInnen haben, dass sie ohne Sanktionen amoralisch handelnde Individuen sein dürfen, liegen wir falsch. Sanktionen sollen nur einen Ausnahmefall korrigieren, nicht den Normalfall legitimieren. Kehren wir das um, dürften wir PolitikerInnen auch nicht mehr vertrauen. Denn genau das erlaubt es ihnen, nicht so handeln zu können, wie sie es nicht dürfen.

Die Studie