Das generelle Konfliktmuster in Kernenergiefragen im Kanton Bern

Wenn der Kanton Bern über Fragen der Kernenergie abstimmt, treten regelmässig Gegensätze zwischen Links und Rechts. Wer darüber hinaus atomenerigekritisch stimmt, zeigt eine Re-Analyse der relevanten eidgenössischen Volksabstimmungen aus dem Jahre 2003.

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Wenn es um Kernenergie-Fragen geht, polarisiert in erster Linie der Links/Rechts-Gegensatz. Gegenden mit bürgerlicher Dominanz stimmen eindeutig kernenergiefreundlicher, also solche mit erhöhtem Anteil rot-grüner Parteien.

Der zweite, recht allgemeine Gegensatz betritt im Kanton Bern den Stadt/Land-Unterschied. Namentlich in Kernstädten mehrt sich die Zustimmung zur atomkritischen Vorlagen, während dies auf dem Land weniger der Fall ist. Die Agglomerationen befinden sich zwischen den beiden Polen.

Beschränkt gibt es, drittens, Unterschiede zwischen den Sprachregionen, stimmen doch die deutschsprachigen Kantonsteil etwas kernenergiefreundlicher.

Ueber diese Charakteristiken hinaus gilt, dass die Kritik an der Kernenerige in Kantonsteilen mit einem erhöhten Erwerbsanteil in Land- und Forstwirtschaft weniger Unterstützung hat. Das kann auch für Regionen, wie das Baugewerbe stark ist. Umgekehrtes findet sich dagegen, wenn es viele Menschen hat, die im Unterrichtswesen aktiv sind.

Desweitern gibt es auch Unterschiede in Abhängigkeit von den Vorlagen. Moderate Vorschläge wie das Moratorium finden auch in Gemeinden mit einem höhen Anteil im Gesundheits- und Sozialwesen, aber auch in Forschung und Entwicklung vermehrten Support, derweil dies bei weitreichenden Forderungen nicht der Fall ist.

Der generelle Konflikt, der in solchen Abstimmung auftaucht, hat viel mit Zukunftsvorstellungen zu tun. Seit den späten 70er Jahren des 20. Jahrhunderts werden diese durch signfikante Ereignisse wie Reaktorunfälle politisiert, die zu einem Wertwandel führten. Menschen mit materialistischen resp. postmaterialistischen Haltungen haben andere Lebensweisen, Sicherheitsbedürfnisse und wollen unterschiedliche viele Selbstentfaltungsmöglichkeiten.

Die Hypothesen zu entsprechenden Polarisierungen lauteten, dass die neuen, atomkritischen Werte in oberen Bildungs- und Einkommensschichten schneller entstehen als in unteren. Erwartet wurde auch, dass ein kontinuierlicher Generationenwandel stattfindet, der ausgehend von einer Avantgarde zu einem allgemeinen Uebergang zu postmateriellen Werten führt.

Ersteres konnte gut in vielen Studien gut bestätigt werden. Es spiegelt sich auch in dieser Kurzanalyse wieder. Zweiteres ist in der Sozialforschung umstritten. Denn es konnte nicht gezeigt werden, dass jede nachfolgende Altersgruppe höhere Anteile an PostmaterialistInnen hat. Das zeigt sich auch daran, dass die Zustimmung zu entsprechenden Forderungen nicht automatisch ansteigt. Der Vorlagenvergleich bestätigt dies: Zuerst hatten moderatere Forderungen immer mehr Zustimmung als radikalere. Sodann verringerte sich die Zustimmungshöhe unabhängig von der Forderung in den letzten 10 Jahren.

Das ist keine direkte zum Ausgang der konsultativen Volksabstimmung über Mühleberg II im Kanton Bern, aber der Rahmen der Ergebnisanalyse. Das Resultat selber ist nämlich nicht nur ein Folge der längerfristigen Entwicklungen, sondern auch der kurzfristigen Einflüsse, bedingt durch Vorlage, Konfliktmuster in der politischen Elite und Dynamik im Abstimmungskampf.

Claude Longchamp