Der Kanton Bern ist bei nationalen Abstimmungen über die Kernenergie ein Durchschnittskanton – und umgekehrt?

Acht Mal hat die Schweiz bisher über Fragen der Kernenergie in Volksabstimmungen entscheiden. Das neunte Mal dürfte es es 2013 der Fall sein. Schon am nächsten Sonntag entscheiden die Stimmberechtigten des Kantons Bern über die Fortführung des Kernkraftwerkes in Mühleberg. Deshalb stellt sich die Frage, wie repräsentativ der Kanton Bern für die Schweiz in solchen Themen ist.

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Die Volksabstimmung über die Fortführung des Kernkraftwerkes in Mühleberg vom 13. Februar 2011 spaltet die Geister

Zuerst muss man eine klare Relativierung machen: Die Volksentscheidung im Kanton Bern ist konsultativer Natur. Das erhöht die Unsicherheit, denn juristisch verbindlich ist die Entscheidung vom nächsten Sonntag nicht. Hinzu kommt, dass sie einzig den Standort Mühleberg betrifft. Was auf nationaler Ebene geschieht, wird später entschieden – und möglichen Auswirkungen auch auf den Kanton Bern.

Nötig geworden ist die Abstimmung, weil sich das Berner Parlament und die Berner Regierung, beide durch Volkswahlen legitimiert, in den Haaren liegen. Die mehrheitlich rotgrüne Exekutive steuert einen atomkritsichen Kurs und befürwortet Investitionen in andere Energieträger. Derweil steht die mehrheitlich bürgerliche Legislative hinter der BWK als Betreiberin des Kernkraftwerkes in Mühleberg, welche mindestens eine zweite Generation von Atommeilern will.

Zieht man die vier letzten Kernenergie-Abstimmungen in der Schweiz bei, kann über das Verhältnis von Bern und der Schweiz in solchen Frage sagen:

Erstens, die Mehrheiten in Bern und der Schweiz waren immer gleich. Befürwortet wurde 1990 das damalige Moratorium, abgelehnt wurde dieses 2003, genauso wie der Ausstieg aus der Kernenergie 1990 und 2003 scheiterten.
Zweitens, Bern stimmt sehr ähnlich wie die Schweiz. Die Unterschiede in den Mehrheiten waren nie grösser als 2.2 Prozentpunkte. Im Schnitt lag die Abweichung bei 1.2 Prozentpunkten – Trend abnehmend.
Drittens, auch die Beteiligung ist gesamtschweizerisch und bernisch gesehen ähnlich. 1990 und 2003 lagen die kantonalen Teilnahmequoten unwesentlich unter den nationalen. Die Differenz beträgt im Mittel 1 Prozentpunkt, und auch sie wurde über die Zeit geringer.

Mit anderen Worten: Der Kanton Bern ist in Fragen der Kernenergie ein Durchschnittskanton. Seine Grösse, seine Struktur und seine sprachlichen Verhältnisse sprechen genauso dafür, wie die Entscheidungen selber.

Was in der Top-down-Betrachtung gilt, muss in der bottom-op-Sichtweise jedoch nicht unbedingt der Fall sein. Denn es ist schwieriger aus kantonalen Volksabstimmung auf nationale zu schliessen als umgekehrt. Das hat mit der unterschiedlichen Betroffenheit zu tun, ist doch Bern Standortkanton eines der drei schweizerischen Kernkraftwerke. Zudem kommt der ausgesprochen hohe Stellenwert der BKW im Kanton hinzu, der nicht auf jedes andere kantonale oder regionale Energieunternehmen übertragen werden kann. Relativierend kann man jedoch anfügen, dass die Kontroverse über die Energieversorgung im Kanton Bern diesmal diametraler war als auch schon, nicht zuletzt wegen der politisch verfahrenen Situation in den Behörden. Und im Kanton Bern hat die Hauptstadt mit ihrer Entscheidung vom letzten November, bis ins Jahr 2039 aus der Kernenergie aussteigen zu wollen, für Aufsehen gesorgt, das man bisher fast nirgends hatte.

Mit Einschränkungen ist die Berner Entscheidung also auch auf die nationale Ebene übertragbar. Mit Sicherheit wird sie aber die Kernenergiepolitik der Schweiz und des Kantons wie auch immer sie ausgeht, beeinlfussen.

Claude Longchamp