Wie stumpf sind Gegenentwürfe zu Volksinitiativen?

Gegenentwürfe gehören, ganz anders als Initiativen, zu den am wenigsten gut untersuchten Volksrechten der Schweiz. Eine kritische Analyse der Interdependenz zwischen beiden Instrumenten ist nötig. Denn die Wirkungen im Parlament und in der Bevölkerung sind ungleich.

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Typisch für Initiativen mit Gegenentwürfen: Die Behörden gegen den Rest, obwohl der Rest unter sich so uneins ist, wie sonst niemand

Dass man Ende der 90er Jahre das Abstimmungsverfahren bei Initiative und Gegenvorschlag geändert hat, ist von Vorteil. Denn bis dahin galt, dass man eine Initiative mit einem Gegenvorschlag fast sicher versenken konnte. Ob das neue Verfahren aber viel besser ist, kann bezweifelt werden.

Seit 2000 kommt das heute geltende, neue Verfahren zum Zug. Demnach kann man zuerst für die Initiative und den Gegenvorschlag stimmen; sollte dann eine doppelte Ja-Mehrheit im Volksentscheid resultieren, wird die Stichfrage angewendet.

Nun zeigen die drei Beispiele, bei denen dieses Recht Gültigkeit hatte, dass in keinem Fall der Gegenvorschlag reüssierte. Bei der SVP-Initiative zur Ausschaffung krimineller AusländerInnen setzte sich sogar das härter formulierte Volksbegehren durch. Analoge Feststellungen konnte man in den Kantonen schon früher machen. Das stellt die Frage, wie griffig oder stumpf Gegenentwürfe zur Volksinitiativen sind.

Im Parlament ist man sich einig: Gegenvorschläge lassen sich materiell differenziert formulieren, politisch entsprechend positionieren, und sie verringern die Chancen, dass das Parlament einer Initiative zustimmt.

Das ist in der Volksabstimmung jedoch nicht eindeutig der Fall. Dass zwischenzeitlich sogar Initiativen die grösseren Annahmechancen haben, angenommen zu werden, als das beim Gegenentwurf der Fall ist, hat zuerst Gründe, die mit dem Themenbereich “Ausländer” zu tun haben. Nirgendswo sonst reicht die Unterstützung der rechtskonservativen SVP soweit wie in dieser Frage.

Es hat aber auch mit den Kommunikationsmöglichkeiten zu tun, wie die verschiedenen Nachanalysen zeigen, die heute der Oeffentlichkeit vorgestellt wurden: Initiativen bekämpft man, indem man entweder ihre Legitimation bestreitet, oder aber den Lösungsvorschlag bekämpft. In der Praxis ist es immer ein Mix aus beidem.

Nun werden beide Varianten der Nein-Kommunikation durch die Existenz eines Gegenvorschlages erschwert. Erstens, das Problem der Initiative wird durch den Behördenvorschlag aufgewertet, womit es sich nur noch bedingt bekämpfen lässt. Das zeigte sich bei der Ausschaffungsfrage unter anderem daran, dass die Linke für ein zweifaches Nein warb, die SP aber Mühe hatte, diese Parole durchzusetzen. Zweitens, die übliche Nein-Argumentation zu einer Initiative, die sich auf die schwächste Stelle an der Initiative konzentrieren kann, funktioniert bei einem Gegenentwurf nicht. Denn man ist gefordert, im Vergleich der beiden Vorlagen die Stärken des eigenen Projektes zu begründen, kann sich nicht auf die Schwäche des gegnerischen konzentrieren. Das wurde namentlich bei der FDP zum Probleme, deren wähler mehrheitlich Ja zum Gegenentwurf, aber auch zur Initiative stimmten.

Meine Lehre daraus ist: Im Parlament, speziell im Ständerat, mag das Konzept des Gegenemntwurfs gut funktionieren. Im Abstimmungskampf ist es ein stumpfes Instrument. Die klar polarisierenden Aussagen dominieren hier das Geschehen. Das ist umso eher der Fall, als die Grundsatzfrage entscheidet und nicht die Lösungsvarianten interessieren. Wenn das der Fall ist, kann es sehr gut sein, dass sich die Initiative gegen den Gegenentwurf durchsetzt.

Claude Longchamp