Eine Kaskade von kantonalen Testwahlen

Vom Februar bis April 2011 wird in 4 Kantonen gewählt: eine gute Gelegenheit, Trends im Parteiensystem der Schweiz systematisch und vergleichend zu beobachten.

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Der Politikwissenschafter Giovanni Sartori hat eine Systematik entwickelt, um die Entwicklung von Parteiensystemen vergleichend zu beschreiben. Von diesen interessiert die Polarisierung der Parteienlandschaft in der Schweiz am meisten. Die Ein- und Zwei-Parteiensysteme, die durch ein Mehrheitswahlrecht stabilisiert werden, sind fast überall verschwunden. Vorherrschend ist die gemässigte Pluralismus mit einer Mehrzahl an Parteien ohne eigentliche Dominanz, der bisweilen in einen polarisierten Pluralismus mit starken Parteien an den Polen der Parteienlandschaft umschlägt.

Die Wahlen in Appenzell Ausserrhoden (13. Februar 2011) sind vor diesem Hintergrund wenig verallgemeinerungsfähig. Sie erfolgen nach dem Majorzsystem, kennen mit der FDP eine dominante Partei, während alle anderen einen schweren Stand haben, zu bestehen. Erfolgreich waren in jüngster Zeit am ehesten noch parteiunabhängige Gruppierungen, bisweilen auch die SVP. Auch diesmal reduziert sich das Interesse darauf, ob jemand der FDP ernsthaft Konkurrenz machen kann. Doch selbst wenn dies der Fall sein sollte, bekommt Appenzell Ausserrhoden erst ein Zweiparteiensystem.

Ganz anders strukturiert ist das Parteiensystem im urbansten Kanton, der 2011 wählt. In Zürich ist der Uebergang vom gemässigten zum polarisierten Poluralismus am weitest fortgeschritten. Die Zahl der Parteien ist hoch, die ideologische Distanz unter ihnen ebenfalls. 2007 wurden die Sitze erstmals nach dem neuen Verteilungssystem, dem doppelten Pukelsheimer, berechnet, was tendenziell die kleineren Parteien noch aufwertete. Gewinnerinnen waren seit 1991 die SVP und seit 1999 die Grünen, derweil namentlich die SP 2007 den neuen Gegentrend kräftig zu spüren bekam. Die Polarisierung scheint mindestens links an Grenzen gestossen zu sein, was sich im erfolgreichen Auftreten der Grünliberalen als neue Partei mit Mitte-Tendenz zeigte, insgesamt auch durch eine Erstarken der Zentrums-Parteien zum Ausdruck kam. 2011 fragt man sich, ob die BDP punkten kann und damit das Feld erfolgreicher Wahlen über die Ursprungskantone Bern, Graubünden und Glarus erweitern kann. Von Interesse ist zudem, ob die SVP wählermässig nochmals zulegen, und damit die Polarisierung des Parteiensystems nochmals voranschieben kann oder nicht. Schliesslich wird man genau hinschauen, ob es der FDP gelingt, Gegensteuer zu zahlreichen Wahlniederlagen zu geben, und ob die SP die Zürcher Niederlage von 2007 verdaut werden konnte. Selbstredend interessieren die Regierungsratswahlen im bevölkerungsstärksten Kanton der Schweiz. Die Entscheidung dürfte zwischen SP, Grünen, CVP, allenfalls auch FDP fallen.

In Baselland, wo am 27. März 2011 gewählt wird, ist die Polarisierung weniger weit fortgeschritten als im Kanton Zürich, letztlich aber auch der wichtigste Trend. Profitiert hat in erster Linie die SVP, welche die SD geschluckt hat und die FDP konkurrenziert; beschränkten Nutzen konnte auch Rotgrün aus dieser Entwicklung ziehen, legten doch SP und Grüne meist etwas zu. Mit Interesse wird man hier auf die CVP schauen, die eigene Wege zu gehen gedenkt und bemüht ist, in der Mitte einen dritten Pol zu schaffen. Aufmerksam verfolgen wir man auch die Regierungswahlen, denn die FDP, die Staatsgründer-Partei im Kanton, ist im Parlament nur noch die dritte Kraft, in der Regierung mit zwei Vertretern die erste. Schliesslich gilt ein Augenmerk auch der BaslerZeitung, die erstmals seit der neuen Leitung in einem Wahlkampf mitmischt.

Im Tessin, wo die kantonalen Wahlen am 10. April stattfinden, ist der gemässigte Pluralismus mit FDP, CVP und SP durch die Lega schon in den 90er Jahren aufgebrochen worden. Kantonal hat sie sich etabliert, national ist sie nach ein starken Start auf dem absteigenden Ast. Die kantonale Parteienentwicklung determiniert die Lega aber dennoch, weil sie den allgegenwärtigen Aufstieg der SVP bisher weitgehend verhindert hat. Gegen die Polarisierungstendenz spricht hier auch, dass die SP ihren Höhepunkt 2003 hatte, seither aber an Parteistärke verliert, ohne das sich die Grünen namhaft profitieren konnten.

Bleibt der Kanton Luzern, der ebenfalls am 10. April wählt. Hier wird man vor allem das Verhältnis von SVP und CVP studieren können, denn die relevante Verlagerung der letzten Jahre fand im konservativen Lager statt, wo der Rückgang konfessioneller Bindungen an Parteien zur Schwächung der CVP und zur Stärkung der SVP geführt hat. Eine wirkliche Polarisierung findet aber nicht statt, den SP und Grüne sind blieben weitgehend stabil und die FDP verlor hier kaum.

Mit anderen Worten: Die Zürcher Wahlen zeigen die Uebergang der Parteiensystems zum polarisierten Pluralismus am deutlichesten. In Basel-Landschaft und Tessin sind weitere Polarisierungen denkbar, in Luzern ist eher von einer weiteren Umgruppierung der konservativen Wählerschaft auf dem Land auszugehen.

Aus gesamtschweizerischer Sicht ist an der Kaskade verschiedenartig gelagerter kantonaler Wahlen von Belang, ob sich das Parteiensystem weiter weg vom gemässigten hin zum polarisierten Pluralismus entwickelt, ob eine generelle Verlagerung hin zu rechten Parteien gibt resp. ob mit einer parteipolitisch repräsentierten Mitte ein dritten Pol entstehen. Das wird Zeichen setzen, was man national erwarten kann.

Claude Longchamp