Wahljahr 2011: Wie es die NZZ am Sonntag sieht

2011 ist das grosse Wahljahr in der Schweiz. Was bringt es uns? – Eine kommentierte Uebersicht nach der morgendlichen Lektüre der liberal-konservativen NZZ am Sonntag.

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Der neue Bundesrat: garantiert ein Thema im Wahljahr

Mehrere Artikel der heutigen NZZamSO-Ausgabe beschäftigen sich mit dem Wahljahr – und legen unterschiedliche Schlüsse nahe. Der Reihe nach!

Stefan Bühler und Markus Häfliger blicken sachlich auf den 23. Oktober 2011 und identifizieren acht Brennpunkte:

. Initiativen-Flut: Wie noch nie werden Unterschriften für Volksinitiative gesammelt. Alle grossen Parteien bis zur EVP nutzen die Möglichkeit als Wahlkampf-Vehikel. Das Volksrecht werde so zum Marketing-Instrument.
. Testwahl im Frühling: Kantonale Wahlen gibt es in Baselland, Zürich, Luzern und Tessin, wo die Kantonsparlamente noch vor den nationalen Legislativwahlen neu bestimmt und relevante WählerInnen-Trend benenne werden.
. BDP als Unbekannte: Die BDP muss erstmals zu einer nationalen Wahl antreten. Zuerst geht es darum, ob sich die Partei national etablieren kann, dann ob sie in der Bundesregierung bleibt.
. Atomisierung der Mitte: Die Mitte formiert sich neu – neben der BDP buhlt auch die GLP um ihre Stimmen. Tradtionellerweise sehen sich CVP und EVP dort, während sich die FDP wieder vermehrt abgrenzt. Die Allianz der Mitte entwickelt zwar Einfluss auf den Bundesrat, aber kaum auf Wahlen.
. Neue Konkurrenz für SVP: Rechts der SVP entwickelt ausgehend vom Genf MCG eine neue xenophobe Partei, In den welschen Kantonen macht sie der meist noch jungen SVP Konkurrenz.
. Abwehrschlacht der CVP: Die SVP will vor allem im Ständerat angreifen, um die Vorherrschaft der CVP zu brechen. Entsprechend ist mit Polarisierungen bei Ständeratswahlen zu rechnen, wo die SVP erstarkt, in der kleinen Kammer aber nicht vertreten ist.
. Wahlkampf-Joker der SP: Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey könnte in der September-Session des eidgenössischen Räte zurücktreten, um dem Wahlkampf der Partei Schwung zu verleihen.
. Die Konkordanzfrage: Bei den Bundesratswahlen am 14. Dezember stelle sich die Konkordanzfrage, wofür es drei Szenarien gäbe: den Ersatz der BDP durch die SVP, Opposition der SVP aus Verärgerung über die Wiederwahl von Eveline Widmer-Schlumpf und der geordnete Uebergang zu einer gewollten Mitte/Links- oder Mitte/Rechts-Regierung.

Diskret bleiben die beiden Autoren gegenüber der FDP, deren zwei Sitze im Bundesrat gefährdet sind, sollte sie bei den Parlamentswahlen erneut verlieren und hinter die CVP zurückfallen. Schwierig wird es für die FDP, wenn die Schweizer Wirtschaft schwächelt und die Bilateralen in eine Sackgasse führen. Dann dürfte die grosse europapolitische Debatte mitten im Wahljahr einsetzen und zwischen SVP und SP polarisieren und die FDP in die Arme der SVP treiben.

Desweitern äussert sich Chefredaktor Felix Müller zum Generalthema: Wenn Probleme fehlen, erfinden Parteien solche, ist seine These. Denn das Land habe die Finanzkrise so gut gemeistert und sei von der Schuldenkrisso schwach betroffen, sodass der Erfolg bei der Aufwertung des Frankens als Fluchtwährung resp. bei der Belastung der Infrastruktur durch Einwanderung zu schaffen machten. Die Oppositionsparteien in der Regierung seien hierzu aktiv, aber untauglich: Die SP habe sich ein surreales Parteiprogramm zur Ueberwindung des Kapitalismus verpasst, während die SVP die Schweiz im Ausland lobe, im Inland aber zu immerwährenden Tiraden aushole. Beides bringe das Land nicht weiter, weshalb man aus Mücken Elefanten mache – ganz nach dem amerikanischen Motto: Im Wahlkampf nützt, was die WählerInnen emotionalisiert!

Irgendwie wird man den Eindruck nicht los, da wasche einer die Schweiz weisser als sie ist. Ueberhaupt fällt auf, dass sich niemand mit der offensichtlichsten Eigenheit des Wahljahres beschäftigt: Gerade eine Volksabstimmung werden wir haben – ansonsten wird das Feld der Themenfindung vor dem Wahltag ganz den Parteien und Medien überlassen.

Claude Longchamp