Leuenberger: Volkswahl für den Primus oder die Prima

In der heutigen Spiegel-Ausgabe empfiehlt der abtretende Bundesrat Moritz Leuenberger einen Paradigmenwechsel beim Bundespräsidium. Der oder die Vorsitzende des Bundesrates soll für ein Legislatur amten, kein Departement führen und vom Volk gewählt werden.

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Moritz Leuenberger, wäre 2011 Bundespräsident geworden, tritt aber als Bundesrat zurück, und macht einen Vorschlag für eine radikale Neugestaltung des Amtes an der Regierungsspitze

Mathieu von Rohr irrt. Der Schweiz-Korrespondent des Magazins Der Spiegel meint, die Schweiz sei für Revolutionen einfach nicht gemacht. Dabei geht es ihm weniger um die Personenentscheidungen am kommenden Mittwoch, nicht einmal um die parteipolitische Zusammensetzung der Bundesregierung. Nein, es geht ihm um einen Vorschlag von Moritz Leuenberger, bekannter Skeptiker, der, wenn eine Regierungsreform schon nötig sei, mit einem Uebergang zu einem Präsidialsystem liebäugelt.

O-Ton Leuenberger: “Wenn schon eine Veränderung, warum dann nicht einen Bundespräsidenten für vier oder fünf Jahre, der kein eigenes Ministerium führen muss und der vielleicht sogar vom Volk gewählt würde?”

Ohne Zweifel wäre das ein Paradigmenwechsel. BundespräsidentIn zu sein, war in der Konkordanz in erster Linie Ehre, ein repräsentative Amt mit beschränkten Koordinationsaufgaben für das Regierungsgremium selber. Dann nahm die Medialisierung der BundesrätInnen in den letzten 20 Jahren zu, und seit gut 10 Jahren sind sie auch viel im Ausland unterwegs. Da eignet sich die jetzige Regierung ohne eine mittelfristig dauerhafte Spitze immer weniger.

Von daher ist es nur verständlich, wenn man, wie mit der Regierungsreform, sowohl über die Institutionalisierung eines neuen Bundespräsidiums diskutiert, als auch, wie es Leuenberger macht, über die Legitimatierung von aufgewerteten AmsträgerInnen. Der jetzige Bundesrat favorisiert ein Bundespräsidium auf zwei Jahre, weiterhin im Rotationssystem unter den Mitgliedern, wobei der oder die InhaberIn zusätzlich zu den Repräsentationsaufgaben im Innern solche im Ausland übernehmen würde.

Was Leuenberger heute im Spiegel erwägt, kommt durchaus einer kleinen Revolution gleich. Statt das Bundespräsidium in Richtung eines Ministerpräsidentenamtes ohne Volkslegitimation weiterzuentwickeln, wie es die parlamentarischen Demokratien kennen, orientiert es sich mehr am Präsidialsystem, wie es in den USA mustergültig existiert. Demnach würde der primus inter pares, wie er heute zelebriert wird, würde verabschiedet. Der neue Primus oder die neue Prima würde durch die Volkswahl gestärkt auf die Regierungsbildung einzuwirken, hätte wohl auch Weisungsbefugnisse in zentralen Fragen, wäre die Schaltstelle im Innern, Ansprechpartner nach Aussen, und in einem erhöhten Masse direkt vom Volkswillen abhängig.

Leuenberger weiss, dass man in der Schweiz sarken Persönlichkeiten distanziert begegnet, weil sie zu oft polariseiren. So definiert er die Rolle des oder der BundesprädisentIn als Integrationsfigur, verkörpert durch eine Person, die mehrsprachig kommunizieren kann, und die Botschaft der Schweiz nach Innen und Aussen vermitteln würde.

Der jetzige Bundespräsident ist aus dem Landammann der Helvetischen Republik hervorgegangen. Napoleon legte den ersten revolutionären Grundstein für das Regierungssystem der Schweiz, dem 1848, dem Revolutionsjahr par exellence, weitere beigefügt wurden. Entwickelt hat sich eine Kollektivregierung, dei nach dem Kollegialsystem funktioniert, das durch die direkte Demokratie kontrolliert, bisweilen auch geführt wird. Das alles ist nicht einfach seltsam, wie man im Spiegel meint, sondern weltweit ohne Vorbild – und damit revolutionär im wahrsten Sinne. Ueberlagert wird das alles durch einen merkwürdigen Strukturkonservatismus in der Schweiz, der mit Leuenbergers Vorschlag einen kräftigen Schups Richtung Führung bekommen hat, für die sich klarer als bisher jemand verantwortlich fühlen müsste. Das kann ich durchaus unterschreiben.

Claude Longchamp